Der Menschenfresser
Wenn ich im Sommer 2010 in Wien war, ich hatte ja zu dieser Zeit auch noch meine kleine Wohnung in Salzburg, daher war ich nicht jedes Wochenende in Wien, saß ich ganz gerne am Samstag Nachmittag im Garten des Restaurants in meinem Wohnhaus in Alterlaa, im „Restaurant in der Wiesenstadt“. An einem dieser Tage im August setzten sich drei jüngere Frauen ebenfalls in den Gastgarten dieses Restaurant. Ich kannte sie zwar nicht, da sie sich allerdings über mich und meine Arbeit bei D. unterhielten war klar für mich, diese drei jungen Frauen mussten mich kennen. Das war für mich überhaupt nichts Ungewöhnliches, denn dies passierte mir fast überall wohin ich auch kam. Doch eines viel mir an diesem Tag besonders auf. Eine der drei jungen Frauen meinte, „jetzt arbeitet er beim Menschenfresser“. Etwas überrascht war ich über diesen Ausdruck schon, denn ich hatte über D. – und den musste sie wohl gemeint haben – schon mehrere Bezeichnungen vernommen, „Menschenfresser“ allerdings zu dieser Zeit noch nicht. Aber auch das sollte sich bald ändern. Egal wo, überall wurde nun davon gesprochen, ich würde beim „Menschenfresser“ arbeiten. Nun, ich kannte D. mittlerweile über ein halbes Jahr und ich kannte auch seine Art mit mir umzugehen, aber ihn selbst als Menschenfresser zu bezeichnen war mir bis dato nicht eingefallen, denn er selbst wirkte manchmal sogar etwas unbeholfen bei seinen Versuchen, mir das Leben schwer zu machen. Aber es ist eben meist nicht D. selbst, sondern er nützt dazu seine sehr guten Beziehungen aus und zudem, er sucht sich seine Mannschaft nach seinen Vorstellungen aus, wie er sie denken und handeln sollen und eben auch mit anderen Mitmenschen umgehen sollen.
In der Konstruktion, also jenem Büro, welches die Schaltpläne für die Fertigung in der Werkstätte erstellt, hatte ich drei Kollegen. Andy A., den Stasi-Mann, Siggi K., den Weinbauer und dann saß da noch ein Kollege, dessen Namen ich nicht mehr weiß Er war allerdings auch etwas unscheinbar, daher hatte ich mit ihm weniger zu tun. Vielleicht habe ich mir deshalb seinen Namen nicht gemerkt. Allerdings muss ich gestehen, dies war eigentlich einer der angenehmsten Kollegen, welche ich bei D. hatte. Doch das sollte sich bald ändern. Es war mir schon seit Beginn meiner Tätigkeit bei D. aufgefallen, auch er hatte keinen leichten Stand in diesem Unternehmen. Obwohl dies überhaupt nicht zu verstehen war. Er war kein Typ wie Andy A., welcher immer recht haben musste und sich selbst als beinahe unfehlbar ansah. Er war auch kein Typ wie Siggi K., der mit seiner schwäbischen, bäuerlichen Art meinte, ohnedies alle an sich binden zu können. Er erledigte schlicht und einfach seine Aufgabe, welche ich ihm zugeteilt hatte, ohne dabei zu murren. Was er auch nicht musste. Hatte er seine Pläne fertiggestellt, kam er selbst zu mir und bat mich, sie zu prüfen und freizugeben, oder gegebenenfalls zu korrigieren und ihm retour zu geben. Falls Änderungen in seinen Plänen notwendig waren, so gab ich sie ihm, er erledigte dies, kam wieder zu mir und bat um Freigabe und dann gingen die Pläne ab in die Werkstatt zur Fertigung. Also alles so wie es eigentlich sein sollte. Doch die Kollegen und vor allem Markus E., der Bereichsleiter sahen dies überhaupt nicht so. Permanent gab es Probleme. Wobei ihm manchmal sogar falsche Vorgaben gemacht wurden, hatte er diese dann aber richtig umgesetzt, dann hieß es, er würde nicht so Arbeiten, wie es gewünscht sei, hatte er sie allerdings so umgesetzt, wie sie ihm vorgegeben wurden, dann hieß es, er würde lediglich Fehler bei seiner Arbeit begehen. So ging es oft von früh morgens um acht, bis in den späten Nachmittag hinein. Ich war, ehrlich gesagt, richtig froh darüber, dass er in erster Linie für die Erstellung von Plänen für die Verkehrstechnik, welche direkt von Armin L. betreut wurde, arbeitete, denn er hat mir richtig leid getan. Helfen konnte ich ihm nicht, denn je mehr ich zu ihm gestanden wäre, und er hätte die auch angenommen, umso mehr hätte ich ihm geschadet. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als dieses widerliche Schauspiel, welches sie mit ihm getrieben haben, mit anzusehen. Er selbst war auch nicht der Typ, welcher sich dagegen wehrt, daher geschah Ende August das Unvermeidliche. Er begann seinen Arbeitsplatz aufzuräumen. Damit war alles klar. Einige Tage später teilte mir Markus E. mit, er sei gekündigt worden, was natürlich wenig überraschend kam. Aber alleine die Freude, welche dabei Markus E. ins Gesicht geschrieben stand, als er mir dies mitteile, sprach Bände. Dabei war dieser Kollege noch gar nicht lange in diesem Unternehmen, vielleicht gut ein Jahr, oder wenig mehr. Ich hatte mich zwar noch mit Armin L. darüber unterhalten, denn auch er fand die Umgangsweise mit ihm widerlich, aber auch er wollte nichts dagegen unternehmen.
Aber was war die Ursache dafür. Anfangs konnte ich es gar nicht verstehen, doch langsam wurde mir es klar. Er war einfach nicht Teil ihres Systems. Er wollte es aber offensichtlich auch nicht, denn sonst hätte man kaum Unterschiede zwischen ihm und anderen Kollegen erkannt. Aber so ist es eben mit ihnen. Ist man nicht Teil ihres Systems, oder man will es nicht sein, so gibt es für den Betreffenden keine Zukunft bei ihnen. Und so wurde ein dreifacher Familienvater einfach aus dem Unternehmen geworfen, weil er nicht Teil ihres Systems sein wollte!
Es ist eben nicht D. selbst, der der Menschenfresser ist, aber er ist es, der sich dafür die entsprechende Mannschaft aussucht, welche in seinem Interesse agiert.
Eines wurde mir allerdings dabei ganz klar, mit mir werden sie nicht anders verfahren, sobald sie nicht mehr auf mich angewiesen sein werden.