Wien, Donnerstag, der 21. Juni 2007:
Es sah tatsächlich so aus, als würde sich nun für mich alles zum Besseren wenden. Denn in der Arbeit nahm dieses neue Projekt im Krankenhaus Baden immer konkretere Formen an. Auch wenn sich die Suche nach einen möglichen Subauftragnehmer, welcher dann den größten Teil der Leistungen übernehmen soll, äußerst schwierig erwies. Manche in der Firma gar davon abrieten, sich um diesen Auftrag zu bemühen. Aber Manfred K., unser Abteilungsleiter und, wie es in seiner Visitenkarte groß stand, Key Account Manager, war fast wie besessen davon, diesen Auftrag zu bekommen. Er meinte gar. Von den Wohnungen und dem, was die anderen drei, wobei damit Frank K., sein junger Adlatus, sowie Herbert W. gemeint waren, könnte die Abteilung nicht länger weiter existieren. Daher bräuchte es eben auch noch etwas anderes.
Ich fand die Idee, ich sollte in diesem Unternehmen, in dieser Abteilung, zusätzlich etwas aufbauen, damit diese Abteilung eben nicht nur von den Aufträgen von Wiener Wohnen, sowie den Kleinaufträgen von Franz K. existieren sollte, auch gar nicht schlecht. Wenn gleich Herbert W. manchmal durchaus an sehr interessanten Vorprojekten saß, wofür er ein Angebot erstellen sollte. Darunter war zum Beispiel eine Bunkeranlage des Militärs, wofür er für ein Rechenzentrum darin die Stromversorgung planen und auch anbieten sollte. Wobei ich allerdings beinahe etwas schockiert darüber war, wie gerade solch ein Unternehmen, solche Leute in solch einem Unternehmen an derartige Projekte gelangen konnten. Denn da gab es in den Erzählungen der Kollegen im Unternehmen stets ein Projekt für ein Spiel Casino in Jericho in Israel, wofür offensichtlich einst gearbeitet wurde. Worüber mir gerade Franz M., mein Obermonteur beim „FMZ“ in den „legendären“ Projektbesprechungen immer wieder erzählte und er dabei meinte, dort hätten sie alle gelegt. Denn dabei wurden offenbar alle davon überzeugt, dass dies eine wahre Goldgrube werden könnte, dies sich danach als einer der größten Flops herausstellte. Ob nun dieses Unternehmen auch mit diesem Projekt etwas zu tun hatte, war nicht herauszufinden. Aber dabei wurde stets von „uns“ und „wir“ gesprochen. Daher saß ich immer wieder innerlich kopfschüttelnd neben Herbert W. an meinem Arbeitsplatz, wenn ich ihn dabei sah, wie er nun an einem Projekt für ein Rechenzentrum in einem Bunker des Militärs arbeitete.
Auch wenn ich durchaus gerne hörte, wenn ich in diesem Unternehmen etwas Zusätzliches aufbauen sollte, wie es aus dem Umfeld von Manfred K. immer wieder zu hören war, dieses Projekt in Baden schien mir dabei nicht gerade geeignet dafür zu sein. Daher hoffte ich immer noch, diesen Auftrag würde gleich ein anderes Unternehmen erhalten und nicht wir, welche uns dafür unbedingt einen Subauftragnehmern suchen mussten, da wir dafür gar nicht ausreichende Kapazitäten in der Montage hatten. Vielleicht würde dies bei einem anderen Projekt besser passen. Denn auch die Zusammenarbeit in der Montage mit Leihpersonal stellte sich in diesem Unternehmen nicht gerade als zukunftsweisend heraus. Zumindest nicht für mich. Denn Franz K. pflegte einen Umgangston mit Leihpersonal, das konnte man gar nicht hören. Bei der kleinsten Verfehlung, beim kleinsten Problem mit solchem Personal wurde daraus eine riesengroße Szene entwickelt und auch gleich einmal ein Mann auf der Stelle nach Hause geschickt! Ganz anders sah dies allerdings bei „seinen“ Monteuren, also jenen drei Männern, mit welchen ich sonst in Wiener Neustadt beim „FMZ“ zu tun hatte. Da schien auch ein mehrtägiger Totalausfall nicht weiter ein Problem zu sein. Da hieß es von Franz K. dazu nur, dieser würde „mit dem Mond gehen“, wie ich es gleich die erste Woche im Mai erleben musste und nun meist dienstags mit Franz M., dem Obermonteur, nach diesen, wie er es bezeichnete, „legendären Projektbesprechungen“ im Anschluss an die Baubegehung am Montag nachmittags.
Aber auch sonst schien sich für mich nun Vieles zum Besseren zu wenden. Denn plötzlich, für mich besonders auffallend, seit Dienstag in dieser Woche, wurde es richtig still um dieses sonst allgegenwärtige „Gerede“! Ich genoss dies richtig.
Noch viel mehr freute ich mich an diesem Abend darauf, in die Wiener Innenstadt zu fahren und dieses Lokal, welches ich dort sonst auch stets aufgesucht hatte, zu besuchen. Denn seit Dienstagabend, als ich in dieser Woche dort schon einmal war, kam mir immer mehr die Idee, vielleicht mit dieser Bedienung in diesem Lokal, meiner „Freundin“, den Versuch zu unternehmen, mich mit „denen“ einzulassen. Denn ohne dies würde ich wohl sonst nie in meinem Leben zur Ruhe kommen. Und als unattraktiv und unsympathisch konnte man diese junge Frau nun auch nicht gerade beschreiben.
Bisher wollte ich dies, wenn überhaupt, nur mit jenen Leuten in diesem Hotel, in welchem ich mein Zimmer hatte, als ich für VA Tech in München tätig war, tun. Und da mir dort die jüngere Tochter von der Chefin des Hauses regelrecht immer wieder angetragen worden war, sah ich darin auch eine gute Möglichkeit, endlich Ruhe zu finden. Aber dies zog sich nun auch schon derart lange hin und es schien sich dort überhaupt nichts zu entwickeln, weshalb ich dies selbst längst aufgegeben hatte, wenngleich ich doch immer wieder dorthin Kontakt hielt, damit ich, falls es mir doch noch gelingen würde, in München einen neuen und endlich auch passenden Job zu erhalten, wenigstens gleich eine Möglichkeit hatte zu wohnen, ohne mir dort sofort eine neue Wohnung suchen zu müssen. Ich hatte dieses Getue von diesen Leuten zwar stets als äußerst komisch empfunden, aber offensichtlich sind diese Leute nun mal so. Daher hatte ich dies mittlerweile auch so einfach hingenommen.
Da sich allerdings nahe München i letzter Zeit gar nichts mehr weiter entwickeln wollte, dachte ich mir, weshalb probiere ich es nicht hier einmal. Mal schauen. Was auch immer sich daraus entwickeln mag, es könne nur besser sein als bisher. Denn dieses ewige gegenseitige Belauern, stets aufpassen, ob nicht wieder ein Generalangriff auf mich und meine Person gestartet wird, dass hing mir schon derart zum Hals heraus, ich hielt dies beinahe nicht mehr aus. Denn, Sinn sah ich darin überhaupt keinen. Ich verstand auch nicht, was „die“ damit überhaupt bezwecken wollten. Das war für mich einfach nur „deppert“!
Daher dachte ich mir, an diesen Abend fahre ich wieder in die Wiener Innenstadt und versuche mein Glück bei dieser Bedienung, welche ohnedies schon längst als meine „Freundin“ bezeichnet wurde. Was auch immer sich daraus entwickeln möge. Manche gar schon Angst davor hatten, dies könnte tatsächlich etwas werden, wie ich dies seit März schon immer wieder zu spüren bekommen hatte. Eigentlich kindisch, muss aber erzählt werden!
So setzte ich mich an diesem Abend, kurz nach acht Uhr, wie meist, wenn ich in die Innenstadt führ, in die U-Bahn, fuhr damit zum Stephansplatz und ging die letzten Meter durch die Kärntner Straße und dann weiter durch die Krugerstraße zu Fuß. Die U-Bahn-Station Karlsplatz mied ich nach wie vor, da ich davon nur Schlechtes zu hören bekommen hatte. Doch kaum bog ich von der Kärntnerstraße in die Krugerstraße, ging dort einige Meter in Richtung des Lokals „1516“, welches ich besuchen wollte, kamen mir zwei Männer entgegen. Wobei einer meinte, gerade als ich an ihnen vorbeigegangen war, mich beide noch von oben bis unten musterten,
„da wird er jetzt sein blaues Wunder erleben!“
Zuerst dachte ich mir noch, das würden wir dann schon sehen. Doch kaum kam ich an das Ende der Krugerstraße staunte ich nicht schlecht. Denn – das Lokal war geschlossen! Fassungslos stand ich nun vor diesem Lokal und musste feststellen, es hatte an diesem Abend nicht geöffnet. Richtig ungläubig dessen, was ich gerade gesehen hatte, ging ich auch noch einmal um den Häuserblock, wieder hin zu diesem Lokal und sah noch einmal nach, ob ich nicht vielleicht etwas übersehen hatte. An diesem Abend vielleicht eine geschlossene Gesellschaft in diesem Lokal wäre. Vielleicht auch nur so wenige Gäste sich darin befänden, sodass ich es einfach nicht sehe, dass das Lokal doch geöffnet ist. Aber es befanden sich darin einfach keine Leute. Sogar jede der Fensterscheiben suchte ich ab, ob ich daran nicht eine Nachricht lesen könnte, weshalb dieses Lokal nun geschlossen sei, aber ich fand nichts. Rein gar nichts. Es war einfach nicht zu erkennen, weshalb dieses Lokal nun geschlossen war! Dabei konnte ich mich doch nur allzu gut daran erinnern, als einer der Kellner hinter der Bar, jener aus Liverpool in England, einst direkt neben mir zu einem anderen gast ganz stolz meinte, dieses Lokal wäre 365 Tage im Jahr geöffnet. Ich mir dabei noch dachte, dies wäre wohl genau so, wie in jener Bar in Salzburg in der Steingasse, welche ebenfalls stolz darauf wäre, sogar am Heiligen Abend geöffnet zu haben. Nun stand ich fassungslos vor diesem Lokal und es war einfach geschlossen. Weshalb auch immer! Es könnte ja durchaus auch etwas passiert sein.
Mein blaues Wunder hatte ich somit nicht gerade erlebt, wenngleich ich nun regelrecht fassungslos war. So bleib mir nichts anderes übrig, als mein Vorhaben auf die nächste Woche zu verschieben. Denn jeden Tag konnte und wollte ich auch nicht ausgehen. Das konnte ich mir auch gar nicht leisten. Dafür extra am Wochenende in Wien bleiben wollte ich schon gar nicht. Daher blieb nichts anderes übrig.
Daher dachte ich mir, ich „nütze“ die Gelegenheit und besuche an diesem Abend diese American Bar in dieser Krugerstraße. Denn dorthin wollte ich ohnedies längst wieder einmal gehen. Ging ich doch beinahe jedes Mal, wenn ich in der Innenstadt war, daran vorbei. Wobei ich mir stets dachte, dies wäre doch ein äußerst schönes und auch ansprechendes Lokal. Doch darin konnte ich so gut wie nie Gäste entdecken. Weshalb ich es dann doch immer wieder ließ, es zu besuchen. Denn einmal war ich dort bereits. Kurz nachdem ich im Herbst 2005 nach Wien gekommen war. An einem Abend, an welchem ich zuvor bereits in diesem Lokal „1516“ war, besuchte ich dies noch schnell, bevor ich nach Hause, beziehungsweise in mein Zimmer zurück in diese Frühstückspension in Oberlaa fuhr. Doch damals wollte ich darin nur noch schnell ein kleines Bier trinken und, obwohl ich damals schon der einzige Gast in diesem Lokal war, meinte darauf offensichtlich der Barchef, ein Nordafrikaner, zu seinem Kollegen,
„solche Leute wollen wir hier nicht!“
Dies in einem Ton, sodass auch ich dies damals deutlich zu hören bekommen hatte. Weshalb ich nun auch mit einem gemischten Gefühl dieses Lokal betrat. Denn auch an diesem Abend war ich wieder der einzige Gast in diesem Lokal. Doch nun bestellte ich mir, da ich sonst kaum Cocktails trinke, schon gar nicht, wenn ich alleine ein Lokal besuche, einen Spritzwein, einen „G’spritzt’n“. Schließlich hatte ich aus meinem ersten besuch in diesem Lokal gelernt. Doch dabei musste ich mit Entsetzen feststellen, der Barchef, dieser Nordafrikaner, welcher mit demselben Kollegen wie schon eineinhalb Jahre zuvor in diesem Lokal arbeitete, nahm dafür drei Flaschen in die Hand! Weshalb ich schon mal die Augen verdrehte, als ich dies sah.
Sonst schien dies Stimmung des Personals mir gegenüber nun allerdings deutlich verändert zu sein. Denn der Barchef, dieser Nordafrikaner, begann sich sogar on sich aus mit mir zu unterhalten. Etwas, dass ich schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte. Denn meist liefen Kellner hinter der Bar nur wie aufgeblasene Gockel an mir vorbei, als wäre ich jemand, mit welchem man sich gar nicht erst unterhalten müsste. Wobei dies allerdings nicht nur mir so ergangen war. Dies schien vielmehr eine neue Haltung der Bediensteten in solchen Bars geworden zu sein. So kam ich an diesem Abend wenigstens noch zu einer amüsanten Unterhaltung.
Allerdings fragte ich mich nun noch viel mehr, weshalb diese Bar offensichtlich derart schlecht besucht ist. Denn mir gefiel dieses Lokal, eingerichtet im Stil Amerikas der 1920er Jahre, äußerst gut. Die Bar glich schon mehr einem Altar, derart imposant waren die Getränke dort in einem hinterleuchteten Regal aufgereiht. Wenngleich viele der Flaschen mehrmals darauf an verschiedenen Plätzen zu finden waren. Aber wer schaut schon so genau. Außer mir. Der offensichtlich jedes Mal, wenn ich diese Bar betrete, diese gerade in einem schlecht besuchten Zustand vorfindet. Aber der Barchef, er nannte mir auch seinen Namen, als er sich sogar bei mir vorstellte, beteuerte mir, an Wochenenden würde die Hütte voll sein.
Allerdings brachte ich den Gedanken nicht aus dem Kopf, mit diesem Lokal würde etwas nicht stimmen. Denn, obwohl der Barchef, dieser Nordafrikaner eine halbwegs vernünftigen Eindruck erweckte, so sonderbar war sein Kollege. Dieser lief nur im Lokal hin und her, obwohl sich darin außer mir keine weiteren Gäste befanden, vermied jedes Gespräch mit mir und, wenn er dann doch einmal ein weiteres Getränk einschenkte, für wen auch immer, dann drehte er mir dabei den Rücken zu.
Nun war ich ohnedies schon etwas irritiert, als mir mein Spritzer aus drei Flaschen zubereitet wurde. Daher bestellte ich mir beim zweiten Kellner noch ein weiteres Getränk. Diesmal allerdings ein Bar Getränk. Einen Mojito. Also eigentlich ein Standardgetränk. Doch nun stand der zweite Kellner, der zudem kaum ein Wort Deutsch gesprochen hatte, offensichtlich vor einem Problem. Denn er wusste nicht recht, was er nun tun sollte. Daher suchte er seinen Barchef, welcher ihm danach erklärte, wie er einen Mojito zubereiten muss. Weshalb ich nun schmunzelnd an der Bar saß und beide dabei beobachtete, bis ich endlich mein Getränk erhielt. Mir dabei zudem dachte, wenn tatsächlich an Wochenenden die Hütte brechend voll sein sollte, dann würden die Gäste allerdings ewig lange auf ihre Getränke warten müssen und, wer weiß, was sie da alles erhalten würden.
Der Barchef, seinen Namen konnte ich mir einfach nicht merken, weshalb ich ihn für mich den „Mohr von Wien“ taufte, bemerkte dies auch noch, wie ich beiden erstaunt bei der Zubereitung meines Getränkes zugesehen hatte. Daher erklärte er mir, da er zuvor schon mitbekommen hatte, wie ich mich vergeblich mit seinem Kollegen unterhalten wollte, bei ihm würde es sich um einem Kubaner handeln. Weshalb ich noch mehr schmunzeln musste. Denn wie ein Kubaner sah der Mann schon gar nicht aus. So ergänzte der Barchef, ein türkischer Kubaner sei sein Kollege. Dabei musste allerdings auch er fast schmunzeln, als er mir dies erzählte.
So wurde aus diesem Abend, an welchem ich hier „mein blaues Wunder“ erleben sollte, wie es einer der beiden Männer, als ich durch die Krugerstraße ging, meinte, sogar noch ein äußerst amüsanter Abend für mich. Allerdings staunte ich nicht schlecht, als ich die Rechnung bekommen hatte. Denn für meinen Spritzwein musste ich fünf Euro, und für meinen Mojito gar elf Euro bezahlen! – Naja. Irgendwo muss das Geld wohl herkommen, wenn ein derartiges Lokal offenbar nicht gerade von Gästen gestürmt wird.
(2021-05-02)