Unterach, Mittwoch, der 3. Juni 1998:
Seit Mittag dieses Tages verfolgte ich die Berichterstattung im Radio und Fernsehen über dieses schreckliche Zugunglück in Enschede in Deutschland. Das war einfach irgendwie beinahe gespenstisch. Einfach nicht zu glauben, dass solch ein Zugunglück geschehen konnte. Dies schien allerdings nicht nur mir so gegangen zu sein. Denn den gesamten Nachmittag, als auch am Abend, als ich, nach der Arbeit, mit meinem Bruder diese „Schirmbar“ am Dorfplatz, welche von der dortigen Weinschenke betrieben wurde, überall wurde über dieses Zugunglück gesprochen.
Es schein fast so, als hätten an diesem Abend viele Gäste auch deshalb diese „Schirmbar“ eher verlassen, denn schon am frühen Abend blieb nur mehr eine Hand voll Gäste übrig. Neben mir und meinem Bruder gerade noch eine Hand voll Gäste, mit welchen wir uns gemeinsam unterhielten. War doch damals diese „Schirmbar“ regelrecht ein Treffpunkt der Dorfbewohner am Abend nach der Arbeit. Vor allem in der Vorsaison.
Doch darunter waren auch Herbert K., einer der Betriebsräte der örtlichen Arzneimittelfabrik und Fraktionsführer der örtlichen Bürgerliste, welche auch im Gemeinderat vertreten war, mit dessen Tochter Eva. Dabei stand er gleich neben mir und hörte unseren Gesprächen zu, mischte sich dabei gelegentlich auch ein. Worüber ich ziemlich überrascht war. Denn Herbert K. galt als ein äußerst streitbarer Dorfbewohner, mit welchem nicht sehr viele etwas zu tun haben wollten und er mit Seinesgleichen sonst gerne an einem eigenen Tisch saßen. Aber auch seine Tochter, damals, ich glaube gerade mal zwanzig Jahre alt geworden, zählte nicht zu jenen Dorfbewohnern, zu welchen ich Kontakt hatte. Auch sie und ihr Freundeskreis hatte gerne einen eigenen Tisch, meist abseits, wo sie kau jemand störte. Nun standen also beide direkt neben mir, während ich mich mit meinem Bruder, dem Betreiber der Schirmbar, sowie zwei weiteren Gästen unterhielt. Wobei er sich eben auch immer wieder einmischte und seine Tochter all dem aufmerksam folgte.
Doch dann hörte ich, wie Herbert K. zu seiner Tochter meinte,
„und? Was haltest Du von dem? – Wäre der was?“
Worauf ich etwas überrascht war. Denn bis zum Sommer 1993 hatte ich so etwas doch des Öfteren vernommen. Aber damit hätte ich mittlerweile schon längst nicht mehr gerechnet. Als wollte er seine Tochter regelrecht auf mich aufmerksam machen. Und das gerade von ihm.
Daher hatte ich im Anschluss daran auch versucht, mich mit Eva etwas zu unterhalten. Allerdings blieb es beim Versuch. Denn es gab so gut wie nichts, kein Thema, kein Scherz, worauf sie einstieg. Ich wusste auch nicht mit ihr umzugehen, kannte ich sie doch überhaupt nicht. Obwohl wir doch eigentlich in diesem Dorf gerade mal vielleicht zwei Kilometer voneinander wohnten. Danach dauerte es nicht lange und beide verließen die „Schirmbar“. Wobei Herbert K. beinahe etwas enttäuscht wirkte. Ich allerdings umso amüsierter. Denn damit hätte ich an diesem Abend nun überhaupt nicht gerechnet. Zudem mich die Reaktion von Eva auch nicht weiter verwunderte, schließlich gehörte sie zu einem Personenkreis im Dorf, mit welchen ich überhaupt keinen Kontakt hatte. Keinen Kontakt hatte, da es eben auch überhaupt keine Gemeinsamkeiten gab.
(2021-04-01)