Salzburg, Dienstag, der 2. September 2003:
Ich glaube, ich war nicht der einzige, welcher Befürchtungen hatte, ich könnte noch in meinem Probemonat von einer Stunde auf die andere gekündigt werden und ich würde danach auf der Straße sitzen. Denn den gesamten August hatte ich überhaupt nichts zu tun, saß lediglich an meinem Arbeitsplatz und versuchte mich, so gut es ging, mit irgendetwas zu beschäftigen. Wenngleich dies meist darin bestand, in das immer noch vor mir liegende Leistungsverzeichnis über die Elektroinstallationsarbeiten bei diesem Neubau eines schwedischen Möbelhauses zu sehen und dies immer wieder vor vorne nach hinten und dann wieder von hinten nach vorne durchzublättern. Ich hätte es beinahe bald auswendig gekannt, aber was sollte ich auch sonst tun. Mehr als diese eine irre Aktion der Beleuchtungsberechnung für einen Technikraum bei diesem Möbelhaus, welche mir „Hörbi“ gleich am ersten Tag aufgetragen hatte und bei der er binnen weniger Stunden erkannt haben will, ich würde nichts können und sei daher für ihn ungeeignet, hatte ich den gesamten August bei meiner neuen Arbeitsstelle bei VA Tech nicht zu tun.
Ich hätte durchdrehen können. Zuvor hatte ich bei diesem Projekt in Linz, dieser „NVD“ derart viel um die Ohren, sodass ich kaum wusste, was ich zuerst tun sollte, weshalb ich dann diesen Job einfach aufgeben musste, denn dies hätte ich nicht mehr länger ausgehalten, und nun, genau das Gegenteil. Ich hatte überhaupt nichts zu tun. Wobei ich dabei allerdings der Meinung war, hier wurde ganz einfach davon ausgegangen, ich würde von selbst wieder kündigen und sich dies dann für all jene, welche hinter dieser Aktion gestanden sind, von selbst lösen. Aber dies konnte ich erst gar nicht tun. Denn eine Arbeitslosigkeit konnte ich mir einfach nicht leisten. Dafür hatte ich mittlerweile viel zu hohe Fixkosten im Monat, wenngleich diese beinahe gänzlich durch dieses unsägliche Theater begründet waren. Aber dieses Theater hätte ich auch trotzdem am Hals gehabt, daher hätte ich auch gar nicht erst darüber nachdenken können, ob ich diesen Arbeitsplatz nicht gleich selbst wieder aufgebe.
Nun schiene es so, als hätte sich etwas getan. Was ich auch gleich mit dem Ende meines Probemonats in Verbindung brachte, denn dies war mehr als auffällig. Bis Freitag hatte dies niemanden gekümmert, wenn ich völlig tatenlos auf meinem Arbeitsplatz sitze. Nun, da der September gekommen war, tat sich plötzlich etwas.
Schon früh am morgen kam unsere kaufmännische Leiterin Beatrix L. zu mir und meinte, ich sollte mich doch um die Abrechnung eines Projektes kümmern, welches zwar bereits beinahe vor einem Jahr abgeschlossen, beziehungsweise der Betrieb eröffnet wurde, allerdings bis jetzt nicht abgerechnet wurde. Dabei handelte es sich um eine neue Raststätte an der Autobahn A12, welche zwar von einer Errichter- und Betreibergesellschaft errichtet wurde, allerdings ein äußerst bekannter Tiroler Fleisch- und Wurstwarenfabrikant dahintersteckt.
Dieses Projekt wurde von einem Kollegen Hermann St. betreut, einem Lungauer und zudem letzter Projektleiter, welcher noch von der alten ELIN in Salzburg übriggeblieben war, der sich allerdings mittlerweile in Altersteilzeit befand und ich ihn daher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Ich hatte mich ja den ganzen August über schon die Frage gestellt, was denn in diesem Betrieb los sein könnte und worin ich da hineingeraten war und dabei fiel mir eben besonders auf, dass sich der gesamte Bereich der technischen Gebäudeausrüstung im Bereich der Elektrotechnik ausschließlich von Mitarbeitern der ehemaligen EBG zusammensetzte. Es fiel überhaupt auf, dass beinahe durch die gesamte Belegschaft eine Art Trennlinie durchging und diese in EBG und ELIN unterteilt schien. Aber dies war auch nicht weiter verwunderlich, waren doch beide Firmen bis 1997 erbitterte Konkurrenten und viele neue Mitarbeiter, also solche, welche erst nach dem Zusammenschluss 1997 in das Unternehmen eingetreten waren, hatte ich bisher nicht erkennen können. Daher hatte ich mir deshalb nicht viel dabei gedacht. Es fiel lediglich sofort auf – die einen und die anderen. Obwohl dies auch nicht politisch zuordenbar war, was ich zunächst angenommen hätte, handelte es sich doch dabei ausschließlich um Firmen, welche aus der ehemaligen verstaatlichten Industrie stammen, denn wie ich mittlerweile im Internet recherchieren konnte, schien „Hörbi“ einem Verein anzugehören, welcher der SPÖ sehr nahe steht. Weshalb ich noch mehr verwundert war, als ich dies zuvor noch war, denn nun konnte ich überhaupt keinen Sinn mehr erkennen, warum sich beide Seiten der Belegschaft so zu bestimmten, wenn auch unterschiedlichen Gruppen zugehörig fühlten, welche offensichtlich weit über die Grenzen des Unternehmens reichten – nämlich auch über die Grenzen von ehemaliger EBG und ELIN, sowie deren Umfeld hinaus. Für mich hatte dies damals überhaupt keinen Sinn mehr ergeben. Denn nicht einmal eine Unterscheidung der einen in ehemalige EBG Mitarbeiter, sowie deren Umfeld und der anderen in ehemalige ELIN Mitarbeiter, sowie deren Umfeld hielt stand. Auch hier gab es immer wieder Vermischungen, welche für mich überhaupt keinen Sinn ergaben.
Es gab lediglich ein Unterscheidungsmerkmal, welches mir schon damals aufgefallen ist und zwar: Hier gab es die „Einen“, welche überhaupt keine Anstalten unternahmen den Betrieb, der offensichtlich tatsächlich nicht besonders gut dastand, aus der Misere zu bringen und die „Anderen“, welche zwar dazu auch überhaupt nichts beitragen wollten, allerdings wenigstens davon sprachen.
Dass ich in dieses Unternehmen mit richtigem Tatendrang gekommen bin und nur darauf wartete, endlich etwas tun zu können, das interessierte nicht nur niemanden, sondern dies störte offensichtlich regelrecht. Ja, es schien so, als wollte man meinen Tatendrang regelrecht abwürgen – mich einfach kaltstellen, aus dem Verkehr ziehen, oder wie auch immer man dies bezeichnen will.
Ich hatte manchmal den Eindruck, um das Unternehmen musste es bereits richtig schlecht stehen. Denn, wenn ich mich an die letzten Monate zurückerinnere, als ich noch bei ABB arbeitete, da war plötzlich Anfang 1995, als klar war, mit unserer Geschäftsstelle würde etwas passieren, mit der Kollegialität, mit dem eigentlich äußerst guten Auskommen untereinander, zu Ende und es begannen regelrechte Kämpfe mit Intrigen, um sich, falls es weitere Maßnahmen wegen der schlechten Ergebnisse des Profitcenters geben würde und es gar zu Kündigungen kommen könnte, damit viele ihren Arbeitsplatz sichern wollten und begannen über Kollegen, mit welchen sie sich noch wenige Wochen zuvor bestens verstanden hatte, verbal herzuziehen, dass es einem dabei schlecht wurde. Und genau dieses Verhalten, welches ich nun in diesem Unternehmen zwischen den neunen Kollegen feststellen musste, erinnerte mich immer wieder an die letzten Monate bei ABB, bis klar war, unsere Geschäftsstelle in Salzburg würde aufgelöst werden. Darüber hatte ich auch einige Male mit meinen beiden Bürokollegen Richard B. und „Zucki“ gesprochen, wobei sie mir dabei auch nicht widersprechen konnten.
Wahrscheinlich war es auch genau dies, was mich immer wieder selbst etwas bei Laune hielt und es nicht soweit kam, dass ich doch einfach diesen Arbeitsplatz aufgegeben habe, obwohl ich es mir ohnedies nicht leisten hätte können, da es aber einfach nicht auszuhalten war. Ich dachte mir immer wieder, dies hier bei VA Tech könnte einfach nicht gut gehen, weshalb ich mir immer wieder zur Ansicht kam, halte einfach durch, zumindest solange, bis mit diesem Unternehmen etwas geschehen würde, denn dann wäre ich wenigstens nicht der einzige, der dieses Unternehmen verlassen müsste. Dies könnte so, wie sich dieser Betrieb mir bisher zeigte, einfach nicht gut gehen. Vielleicht hätte ich dabei auch eine Chance, in einem geänderten Umfeld, unter anderen Bedingungen, auch in diesem Unternehmen etwas zu erreichen, auch wenn ich dabei eigentlich nur meinen Job als Projektleiter für elektrotechnische Anlagen in der Industrie und bei Immobilienprojekten im Auge hatte. Dies war mein einziger Lichtblick, oder meine einzige Hoffnung, welche ich damals hatte. Denn nicht nur das Verhalten anderer Mitarbeiter mir gegenüber, vor allem von „Hörbi“, diese Tatenlosigkeit, welcher ich ausgeliefert war, war schlichtweg nicht auszuhalten, sondern auch die Streitereien zwischen den anderen Kollegen, eben den „Einen“ und den „Anderen“.
Aber wie hatte schon „Zucki“ am 12. August gemeint,
„dann halten sie auf einmal zusammen!“
Wahrscheinlich wenn es darum gehen könnte, ein externer, also einer, der nicht aus einem der beiden Lager käme, könnte irgendjemandem bei ihnen jemandem den Rang ablaufen. Denn um Führungspositionen wurde in diesem Betrieb regelrecht gekämpft, als ginge es dabei um alles. Auch wenn dabei die Arbeit und der Erfolg für das Unternehmen viel zu kurz kamen. Aber dies schien ohnedies kaum jemanden zu interessieren.
Aber nun wieder zurück zu diesem Tag. Den ganzen Tag über stand nun Beatrix L. immer wieder bei mir, berichtete mir, sie hätte auch schon mit Hermann St. Kontakt aufgenommen, sodass er mit mir sprechen könnte und ich ihm danach bei der Abrechnung dieses Projektes behilflich sein könnte. Zudem hatte sie auch schon mit Karl P., dem Leiter des Bereiches für Maschinen in dieser Niederlassung, der ebenfalls bei diesem Projekt mit dabei war, gesprochen und dieser hätte gemeint, wir sollten doch gleich gemeinsam zum Planungsbüro nach Innsbruck fahren, welches nicht nur die Planung für diese Raststätte, sondern auch die Bauleitung im Auftrag hatte, somit auch für die Prüfung der Abrechnung zuständig war. Also wurde gleich für den Folgetag ein Termin mit diesem Planungsbüro vereinbart, bei welcher ich nun gemeinsam mit Hermann St. teilnehmen sollte und zudem auch Karl P., welcher offensichtlich auch eine kurze Zeit mit der Projektleitung bei diesem Auftrag betraut gewesen war, dabei sein sollte.
Gegen Mittag sollte es nun am folgenden Tag nach Innsbruck gehen. Zuvor sollte allerdings noch Hermann St. Mit mir im Büro über dieses Projekt sprechen, damit ich auch gleich in die Abrechnung miteinsteigen kann und, mehr wurde mir offensichtlich nicht zugetraut, oder wollte man mir bei diesem Projekt nicht übertragen, ich Hermann St. Dabei behilflich sein könnte. Dies Obwohl ich ihn einen ganzen Monat lang, seitdem ich in diesem Betrieb arbeite, noch nie zuvor gesehen hatte.
Ich hatte den Eindruck, bei dieser wöchentlichen Besprechung der leitenden Angestellten am Montagnachmittag hatte der Geschäftsführer ein Machtwort gesprochen und gemeint, man könnte mich doch nicht einfach völlig tatenlos an meinem Arbeitsplatz sitzen lassen, denn dieser stand am Vortag kurz am Empfang, sah zu mir ins Büro durch die Glaswand durch, schien etwas ratlos zu sein und meinte,
„da müssen wir wirklich etwas tun,“
weshalb nun wenigstens Beatrix L. aktiv wurde und auf die Fertigstellung der Abrechnung für dieses Projekt drängte und nun auch wieder Hermann St. In die Arbeit kommen sollte.
Trotz allem war ich regelrecht erleichtert, nun wenigstens irgendeine Aufgabe zu bekommen!
(2019-09-11)