Baden, Freitag, der 28. September 2007:
Nun war er also gekommen. Jener Tag, an dem die Übergabe unserer Baustelle an den Krankenanstalten Verband erfolgen sollte. Denn, ohne Übernahme des Objektes durch den Krankenanstalten Verband, können am nächsten Tag die Patienten nicht in diesem Gebäude untergebracht werden. Der Mietvertrag für jenes Objekt, in welchem die Patienten bisher untergebracht waren, war längst gekündigt. Also blieb eigentlich keine Alternative übrig, ohne die Patienten irgendwo notdürftig unterzubringen. Aber es handelte sich ja um eine psychiatrische Abteilung, welche in diesem Gebäude untergebracht werden sollte. Also keine Patienten, welche mit offenen Wunden betreut werden müssten. Allerdings erweckte die Baustelle noch keinesfalls den Eindruck, als könnten hier auch nur irgendwie Patienten untergebracht werden. Daher war die Aufregung umso größer.
Um elf Uhr am Abend war eine große Übernahme Kommission der Krankenanstalten angekündigt, welche das gesamte Gebäude begutachten sollte, ob es für den Betrieb mit Patienten geeignet ist und somit übernommen werden könnte, damit am nächsten Morgen, so wie es geplant war, die Patienten in ihre neue Station überstellt werden könnten.
Vormittags verbrachte ich, wie üblich, wieder im Büro, um dort den allernötigsten Papierkram zu erledigen. Gegen Mittag fuhr ich dann allerdings auch auf die Baustelle. Ich nahm`s mit Humor. Denn schließlich wurde mir ja bereits Ende August klar, eine andere Vorgehensweise meinerseits hätte auch nichts gebracht und zudem, es bin ja nicht ich, der gegebenenfalls den Schaden hat, es ist in erster Linie das Unternehmen. Ich könnte dafür lediglich als Projektleiter zur Verantwortung gezogen werden, welche ich allerdings in diesem Fall gerne hingenommen hätte.
Die Hektik war groß auf der Baustelle. Gar nicht so sehr unter den Arbeitern, sondern viel mehr unter den Verantwortlichen. Vor allem jenen, des Generalunternehmers. Ich hingegen, nachdem ich erst einmal einen kleinen Rundgang durch die Baustelle absolvierte, verzog mich im Baucontainer, wo ich dann auch die meiste Zeit des Tages verbrachte. Dort saß auch schon der Planer der Elektrotechnik für dieses Objekt. Übrigens ein örtlich ansässiges Unternehmen, ein kleines Ingenieurbüro – gar nicht weit entfernt von diesem Objekt. Zusammen plauderten wir dann beinahe stundenlang über dies und dass, alles im Zusammenhang mit dieser Baustelle, mit dem Unternehmen, in welchem ich nun arbeitete, was ich vorher tat, aber auch über Franz K., welchen der Planer schon sehr lange zu kennen schien. Meist gesellte sich auch Franz m., mein bauleitender Obermonteur zu uns. Gelegentlich saß auch Herbert W. bei uns. Wir tranken dabei, so wie es sich auf einer Baustelle eben gehört, Bier aus der Flasche, welches stets reichlich in Reserve vorhanden war. Das dürfte zwar nicht sein, aber, ich glaube, dies war wohl das kleinste Problem auf dieser Baustelle. Ich hatte mich zudem auch sehr zurückgehalten, war ich doch mit dem Auto unterwegs und ich musste doch an diesem Tag noch zurück nach Wien fahren.
Am späten Nachmittag verließ mich dann der Planer. Als er ging, meinte er,
„das wird ein Desaster werden heute Abend!“
Ich verabschiedete mich von ihm bis heute Abend, sah aber, dass er dies selbst bereits mit Humor zu nehmen scheint. Er meinte noch, ich müsste an dieser Abnahme und Übernahme erst gar nicht Teil nehmen, was mich doch etwas verwunderte, denn dies gehörte sich für mich zur Selbstverständlichkeit daran auch als Projektleiter für dieses Unternehmen, für die Errichtung der gesamten Elektrotechnik in diesem Objekt daran Teil zu nehmen.
Nun saß ich also die meiste Zeit alleine im Baucontainer, was mich nicht weiter störte, und wartete auf die „Stunde Null“ um 23:00 Uhr, wenn die Abnahme und Übergabe an die Krankenanstalten erfolgen sollte. Allerdings gesellte sich nun Franz M., der Obermonteur, meist zu mir, war der Baucontainer doch sein Reich und er blieb nur deshalb meist so lange auf der Anlage, da ja auch der Planer bei mir im Container saß und er nicht auch noch einen schlechten Eindruck erwecken wollte – als ob dies noch etwas geholfen hatte.
Aber Franz M. wurde immer unruhiger, als er mit mir im Container saß, denn der Rest der Monteure war immer noch auf der Baustelle tätig, obwohl es bereits längst am Abend wurde. Da packte er auf einmal seine Werkzeugtasche zusammen, ein kleines Täschchen als wäre es eine Handtasche einer Frau, gar ein Beauty Case – ich musste stets lachen, wenn ich ihn damit sah – und es schien, als ginge er nun zu Angriff über, denn er meinte:
„So! Jetzt geh‘ ich`s an!“
Und verschwand aus dem Baucontainer hinaus auf die Baustelle. Mittlerweile war es halb neun am Abend geworden.
Nun saß ich alleine im Container und dachte mir, es ist wie im Kabarett. Brauche aber keinen Eintritt zu bezahlen, sondern ich erhalte auch noch Geld dafür. Daher nahm ich mir auch glatt noch ein Bier aus der gut versteckten Kiste, schließlich war der Abend noch lange.
Gegen 22:00 Uhr ging ich dann selbst noch einmal auf die Baustelle hinaus, um nachzusehen, wie es denn stehen würde und was mich um 23:00 Uhr erwarten würde. Dabei lief ich die gesamte Baustelle ab, aber Franz M., der zuvor noch aus dem Container verschwand, um es anzugehen, war wie vom Erdboden verschluckt. Auch die Kollegen wussten nicht, wohin er gekommen war. Er war einfach weg. Dabei würde es sich auch für einen bauleitenden Obermonteur gehören, bei der Abnahme des Auftraggebers und Übergabe an den Betreiber anwesend zu sein – wenn er etwas auf sich hält. So dachte ich zumindest. Aber er war weg.
Aber nicht nur dies. Als ich so durch die Baustelle ging, kam mir das blanke Grauen. Es war ganz einfach eine Anlage, welche man so niemals zu einer Abnahme meldet – keinesfalls. Nun hatte ich noch versucht, einige Monteure, die immer noch am Arbeiten waren, dazu zu bewegen, wenigstens Abdeckungen auf offene Anschlüsse zu montieren, denn wenn sie schon nicht funktionieren, dann würde dies heute ohnedies nicht kontrolliert und könnte später immer noch behoben werden, aber offene Steckdosen mit blanken Drähten zu hinterlassen – hier bestand beinahe schon Gefahr im Verzug, war doch mittlerweile überall Spannung vorhanden.
Mein Rundgang dauerte ziemlich lange und so sah ich, wie an einem Ende des Gebäudes bereits diese von allen befürchteten Übernahme durch die Krankenanstalten begann. Daher gesellte ich mich zu dieser Gruppe. Wobei Gruppe ist etwas untertrieben. Geschätzte 20 Leute bildeten diese Kommission, welche darüber entscheiden sollte, ob am folgenden Morgen Patienten in dieses Gebäude eingeliefert werden können. Auch der Planer war mittlerweile wiedergekommen und so schritten wir gemeinsam mit dieser Kommission durch das Objekt. Es war eine einzige Katastrophe. Kaum ein Raum, in dem nichts zu beanstanden war. Überall fehlten noch Geräte, waren Abdeckungen nicht vollständig montiert, funktionierte teilweise das Licht nicht einmal. Ja selbst im Schwesterndienstzimmer hingen noch Drähte mit blanken Enden aus Dosen heraus, Wobei diese bereits alle unter Spannung standen.
Da meinte der Planer noch einmal zu mir, ich müsste mir diese Veranstaltung nun wirklich nicht antuen, denn falls Fragen wären, dann sei ohnedies er da. Aber es zeigte sich bald, er wurde mit Fragen regelrecht durchbohrt und so wichen manche der Teilnehmer dieser Kommission auf mich aus, um ihre Antworten zu bekommen. Was mich allerdings dabei wunderte, all dies geschah in einer für mich nicht unangenehmen Form.
Als dann die meisten Fragen der Teilnehmer der Kommission beantwortet waren, da sich ohnedies in jedem Raum beinahe das Gleiche abspielte, standen der Planer und ich wieder zusammen und verfolgten gemeinsam die Begehung. Dabei meinte er zu mir,
„das ist ein Desaster! – Wie ich es erwartet habe.“
Ich konnte ihm nur zustimmen. Mir war dies allerdings egal, wusste ich doch, wie dies zustande gekommen war. Sie hatten eben im August drei ganze Wochen lang überhaupt nichts getan und diese Zeit fehlt e nun eben, auch wenn sie diese mit Überstunden am Abend und auch am Wochenende wieder aufholen wollten. Und all dies war eben von jemanden bewusst so gewollt. – All dies nur, weil einer unbedingt Abteilungsleiter werden will, obwohl ihm dafür so gut wie alles dafür erforderliche fehlt.
Nach einiger Zeit zog allerdings der Vertreter des Bauherren, einer Wohnungsbaugesellschaft aus dem Land, denn eigentlich handelt es sich bei diesem Objekt ja um ein Wohnhaus, welches nur provisorisch als psychiatrische Station für das daneben liegende Krankenhaus für einige Jahre zweckentfremdet ausgestattet wurde, den Planer zu sich und meinte zu ihm,
„kannst ihm aber sagen, dass er nicht weiter mitgehen muss! Es hat ohnedies jeder gesehen, dass er nicht Schuld daran hat, wie das hier aussieht!“
Nun, da ich dies mitbekommen hatte, war mir klar, es wäre nun an der Zeit mich zu verabschieden, ohne mich darüber zu wundern, wie denn das alles abgelaufen ist.
Kurz vor zwei Uhr morgens war ich dann wieder zurück in meiner Wohnung in Wien.
Diese Begehung schien allerdings noch viel länger gelaufen zu sein.
(2019-04-13)