„Both sides are extreme, but the power is in the middle“
Wien – München, Dienstag, der 21. Mai 2013:
Nun ging auch mein Pfingst-Kurzurlaub zu Ende.
Naja! – Urlaub?
Ich hatte mir einfach nur den Dienstag nach Pfingsten auch noch frei genommen, so, wie ich es noch auch meiner Schulzeit kenne. Zudem hatte es den Vorteil, ich musste mich nicht wieder an einem Feiertag in diesen übervollen RJ66 nach München, vollgefüllt mit lauter Ausländern, welche auch Budapest kommen, sitzen.
Also, fuhr ich am späteren Nachmittag, so wie immer, wenn ich aus dem Wochenende zurück nach Stuttgart begab, kurz nach halb vier Uhr mit der U-Bahn zum Westbahnhof, um mit diesem RJ66 zuerst einmal nach München zu fahren und danach mit dem ICE 990 weiter nach Stuttgart. Nach diesem Pfingstwochenende wäre ich beinahe schon froh gewesen, als das verlängerte Wochenende wieder zu Ende ging, derart wurde ich mittlerweile von allen Seiten angegangen. Sogar noch in der U-Bahn und auch noch am Bahnsteig, als ich auf den Zug wartete. Als ich dann endlich in den Zug einsteigen konnte, war ich schon richtig erleichtert, zumal ich anfangs ganz alleine in einem Waggon saß.
Aber kurz bevor der Zug abfuhr, ging die Eingangstür zu meinem Waggon, in welchem ich saß, auf und plötzlich trampelten mehrere Personen in den Waggon. Vorbei war’s mit der Ruhe. Kaum waren diese Personen im Waggon, meinte eine Frau, welche bei dieser Truppe dabei war, über all diesen Trubel lachend,
„… both sides are extreme, but the power is in the middle, so nobody can say anything!“
Zuerst rätselte ich noch, was diese Frau gemeint haben könnte, aber dann, als sich diese Gruppe, es waren vier Personen, an einen Tisch im Waggon setzten, wurde mir schön langsam klar, was sie meinte. Sie war tatsächlich über diesen Trubel, welchen diese „Organisierten“ mittlerweile veranstalteten, höchst erfreut. Anfangs ärgerte ich mich noch über das ständige Geschwätz dieser Leute, nachdem der Zug abgefahren war, schließlich saß ich im Ruhewaggon, aber dann, als ich immer mehr von ihren Gesprächen und, vor allem, worüber sie sprachen, mitbekam, wurden meine Ohren immer größer. Ich konnte gar nicht mehr genug von ihren Gesprächen bekommen, denn sie sprachen in einer Tour über dieses neue System der Organisierten und wie toll denn dabei alles sei, wenn man sich alles untereinander ausmachen kann.
Während ich so ihrem Geplapper lauschte, bekam ich auch mit, woher diese vier Personen, es waren drei Männer, davon zwei offensichtlich aus der Ukraine und ein Wiener, und eine Frau, ebenfalls aus der Ukraine, zumindest war dies aus ihren Gesprächen zu entnehmen, kamen. Alle drei Ukrainer dürften auch direkt aus Kiew gekommen sein, denn ihre Koffer waren noch mit Plastikfolie umwickelt. Diesen Mann aus Wien hatten sie offensichtlich lediglich abgeholt und waren nun mit ihm auf dem Weg nach München.
Die ganze lange Zugfahrt, fast bis Salzburg, sprachen sie ausschließlich über diese neue Welt der Organisierten. Wie toll denn dies alles bereits sei und aber erst werden würde, wenn alles umgesetzt ist. Welche Vorteile dies bringt, wenn man sich alles untereinander ausmachen kann, keinem kapitalistischen Erfolgsdruck mehr ausgesetzt ist, trotzdem aber jeder für sich und sein Leben genug haben sollte.
Aber, als ich ihnen so zuhörte, kam mir immer wieder der Satz, welchen diese Frau, als sie den Waggon betraten, in den Sinn. Ich rätselte immer wieder, was könnte sie damit gemeint haben. Dann aber fand ich eine Erklärung dafür. Denn, wenn ich an meine Erlebnisse mit diesen Organsierten denke, so gibt es eines, was mich immer wieder besonders gestört hat. Und dies war, ich wurde immer wieder von der politisch linken Seite in die äußerst rechte Seite gedrängt und dann aber wieder genau in die entgegengesetzte Richtung von der politisch rechten Seite in die extrem linke Seite gedrängt. Und dies, obwohl ich mich immer für einen Menschen hielt, der, wenn er schon einer politischen Seite angehört, dann nur der Mitte – vielleicht ein kleines bisschen rechts der Mitte, aber stets äußerst liberal. Und dann wurde ich aber permanent in eine extreme Ecke gedrängt. Einmal rechts, dann wieder links und schon wieder umgekehrt. Dies änderte sich an manchen Tagen dreimal am Tag!
Und so wurde mir klar, was diese Frau gemeint hatte. Betrachtet man dieses Unding der Organisierten rein politisch, so gibt es auf der einen Seite jene, welche extrem links orientiert sind, die jeden, der nicht ihre Ansichten teilt, regelrecht offen attackieren, wenn auch meist nur verbal und auf der anderen Seite jene, welche extrem rechts orientiert sind, die ebenfalls jeden, der nicht ihre Ansichten teilt, auch offen attackieren. Dies auch meist nur verbal. Aber beide Seiten in einer Art und Weise, welche jedem Durchschnittsbürger schon unheimlich erscheinen, sodass man beinahe, manchmal auch gar nicht mehr beinahe, Angst vor ihnen bekommen kann.
Aber was ergibt sich daraus? Jene aus der extremen linken Seite verdrängen all jene, welche der politischen Mitte angehören. Und auch jene der extremen rechten Seite verdrängen ebenfalls all jene der politischen Mitte. Übrig bleiben lediglich zwei politisch extreme Seiten. Die Mitte verschwindet.
Und wenn nun jene Personen, welche hinter diesem Unwesen der Organsierten stehen, also jene der politisch linken und der rechten Seite auch noch zusammen gehören, oder zumindest gemeinsame Sache machen, dann verdrängen sie einfach zusammen jene aus der Gesellschaft, welche der politischen Mitte angehören. Somit können sich beide Seiten alles bestens untereinander ausmachen! Und die störende Mitte, welche auch noch vielleicht einer ebenfalls störenden Demokratie und einer freien Markwirtschaft anhänglich sind, verschwinden aus der Gesellschaft. – Mit politisch gemäßigten Gruppierungen wäre dies nur schwer möglich.
Und sie redeten … und redeten … und redeten. Sie störten sich überhaupt nicht an meiner Gegenwart. Sie hatten mich einfach nicht einmal wahr genommen.
Aber auch dabei wurde ich stutzig. Denn allgemein hin galt ich doch als das Feindbild für beide Seiten, sowohl für die Rechten, da ich ihnen ja als Linker präsentiert wurde, als auch für die Linken, da ich ihnen als Nazi präsentiert wurde. Beide Seiten hatten mich für den Aufbau ihrer neuen Gemeinschaft verwendet. Wobei aber beide Seiten jene Methode anwandten, welche in diesem Film über dieses Experiment an einer High School in Palo Alto in Kalifornien aus dem Jahre 1966 verewigt wurde. Diese drei Ukrainer und dieser Wiener störten sich aber über meine Anwesenheit im gleichen Waggon, nur wenige Sitzreihen von ihnen entfernt, nicht im Geringsten. Also musste dieses System, welches sie hier, während der ganzen Zugfahrt bis kurz vor Salzburg besprachen, noch viel größer sein, als ich dies bisher angenommen hatte, denn deren Feindbild konnte ich nicht sein, sonst hätten sie mich erkannt, oder zumindest auf mich reagiert. Aber, ich war wie Luft für sie.
In ihren Gesprächen hatten sie auch erwähnt, dieses System würde allerdings viel Geld kosten. Und dieses Geld muss ja von irgendwo her kommen. Dies soll, unter anderem, durch den Verkauf von Bodenschätzen kommen, welche gerade in der Ukraine reichlich vorhanden sind. Dabei erwähnten sie auch, dass hierfür gerade das Gebiet des Donbas für sie äußerst wichtig ist. Nun gut, damals hatte ich dies einfach nur zur Kenntnis genommen, aber – mittlerweile tat sich etwas im Gebiet des Donbas. Daher bin ich der Meinung, dies alles sollte man noch einmal näher betrachten.
Während ich all dies hörte, viel mir immer wieder dieser Polizist, welcher mir am Samstag zuvor am Weg zum Supermarkt über den Weg lief, ein. Der da meinte, „ohne Anzeige unternehmen wir nichts!“ Aber, wie würde gerade dieser Polizist reagieren, wenn ich ihm all dies erzähle?
Kurz vor Salzburg meinte dann einer der Männer aus der Ukraine, sie müssten nun ruhig sein, denn sie würden sich der Grenze zu Deutschland nähern. Und tatsächlich, kurz vor Salzburg wurde es dann still. Ab Salzburg war nur mehr ein einziger Satz, oder vielmehr, nur mehr ein einziges Wort von ihnen zu hören. Und dies kam so. Dieser Zug blieb ausnahmsweise diesmal auch in Traunstein stehen. Zuerst hatte ich schon Befürchtungen, dieser RJ würde nun alle Stationen eines ICs bis München halten und ich vielleicht meinen Anschlusszug nicht mehr erreichen, aber dann fuhr er ab Traunstein doch wieder ohne Halt bis München durch. Lediglich in Traustein stieg ein Mann zu. Dieser setzte sich zudem auch noch genau gegenüber dieser vier Personen in eine Sitzreihe. Kurz vor Rosenheim verließ er dann seinen Platz, um auf die Toilette zu gehen. Dabei bat er diese vier Personen, während dessen auf sein Gepäck acht zu geben. Und kaum war dieser Mann aus dem Waggon verschwunden, lachte die Ukrainerin und meinte,
„Germans!“