„Jetzt tun wir alle Guten weg!“
Wien, Samstag, der 24. Oktober 2015:
Nachdem ich an diesem Tag endlich wieder halbwegs genesen war, zwei Wochen lang laborierte ich an meiner schweren Erkältung, welche ich mir in der Nacht von Freitag, dem 9. Oktober, auf den folgenden Samstag zugezogen hatte, da in meiner kleinen Wohnung die Heizung ausgefallen war, Wollte ich an diesem Tag einfach einmal in die Innenstadt gehen, um nachzusehen, wie denn nun die Stimmung ist. Ich war zwar die gesamten zwei Wochen arbeiten, dazu war mir die Gefahr, deshalb meinen neuen Job in München zu verlieren, viel zu hoch, aber wirklich gut ging es mir dabei überhaupt nicht. Wenige Jahre zuvor litt ich lediglich zwei, drei Tage an einer Erkältung, mehr nicht, aber mittlerweile war dies ganz anders geworden.
Nun ging ich also am Abend in die Wiener Innenstadt. Zuerst wieder in dieses Lokal „1516“, danach in die Kruger Bar, in welcher ich zwei Wochen zuvor dieses seltsame Erlebnis hatte. Ich wollte einfach nachsehen, was nun los sei. Kurz vor 23 Uhr kam ich also in diese Kruger Bar, eine American Bar. Ich wunderte mich schon, denn als ich an die Bar kam, meinte einer der Kellner, ich sollte mich doch an „ihre“ Seite stellen, also jenes Ende der Bar, an welchem die Kellner stets hin und her pendeln und an der auch sonst ihre „Insider“ standen. Ich wollte dies zunächst überhaupt nicht, denn mit dem Personal hinter der Bar will ich ohnedies nichts zu tun haben und gerade mit diesem Personal in dieser Bar schon gar nicht, Dafür hatte ich mit ihnen und in dieser Bar schon viel zu viel erlebt. Auch wenn dies in früheren Jahren meist amüsante Erlebnisse waren, denn dafür war dieses Personal viel zu einfältig. Beinahe unvergessen viele Erlebnisse mit dem „Mohr von Wien“ jenen Schwarzafrikaner aus Tunesien, welcher noch wenige Monate zuvor der Barchef war. Aber ihn hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.
Die ganze Zeit, die ich an der Bar stand, hatte ich das Gefühl, hinter mir säße jemand, der mich beobachtet. Daher drehte ich mich gelegentlich um und da saßen tatsächlich zwei Männer, etwa um die dreißig Jahre alt. Daher achtete ich darauf, worüber die beiden sich unterhalten würden. Aber sie sprachen kaum etwas miteinander. Ich hatte schon beinahe das Gefühl, beide waren damit mit zu beobachten, dermaßen beschäftig, sodass sie für eine Unterhaltung gar keine Zeit mehr fanden. Aber dann kam doch etwas von ihnen. Da meinte einer der beiden Männer, sie saßen an einen der kleinen hohen Tische links hinter mir,
„das haben wir übersehen! Denn der muss wirklich nur tun!“
Es waren zwei Österreicher, welche mich also dauernd beobachteten. Und ich hatte nicht nur das Gefühl, sie beobachteten mich tatsächlich, sogar mit Argusaugen. Ich dachte mir dabei, manchmal würde ich mir wünschen, jedes Mitglied einer offiziellen Stelle müsste permanent ein Zeichen, für jedermann sofort erkennbar, offen tragen, damit sie jederzeit zugeordnet werden können.
Nun führte dieser äußerst seltsame Serbe mit kahl geschorenem Kopf und seinem Bierranzen, obwohl dieser doch eine andere Ursache haben dürfte, Regie in diesem Lokal. Und es dauerte auch nicht lange, da meinte dieser Serbe, ich konnte mir dessen Namen nie merken, er hatte mich auch überhaupt nicht interessiert, und meinte sich mit mir unterhalten zu wollen. Aber kaum kam er zu mir, er wollte auch noch ein Getränk mit mir trinken, da wurde mir sofort klar, er will mich einfach nur angehen, mich provozieren. Denn er begann seine Ansprache an mich mit den Worten,
„Gentleman …“
Und schon war mir klar, dies wird keine nette Unterhaltung. So hatte er schon öfters versucht, mich anzusprechen, aber ich bin ihm danach stets ausgewichen. Dafür war er mir einfach zu widerlich. Wobei, ich habe überhaupt nichts gegen Ausländer, ganz im Gegenteil. Aber er gehört wohl zu jenen, bei denen ich mich frage, was wollen sie eigentlich hier in Österreich.
Diesmal schien es allerdings so, als wolle er mich richtig angehen. Aber ich hatte wieder nicht reagiert darauf und stieg ihm auch auf seine Versuche, eine Unterhaltung mit mir einzugehen, überhaupt nicht ein. Dies schien ihn allerdings noch mehr gegen mich aufzubringen. Aber was sollte dies werden, denn ich habe dazu nun mal überhaupt keine Lust, mich von Bediensteten eines Lokales angehen zu lassen. Worüber er sich mit mir unterhalten wollte, daran kann ich mich auch kaum mehr erinnern. Was eigentlich seltsam ist, denn meist vergesse ich so gut wie gar nichts, was ich im Zusammenhang mit ihnen erlebe. Aber dieses Lokal war mir schon lange ein Dorn im Auge und wenn ich in dieses Lokal ging, dann auch nur widerwillig. Zudem auch nur, um mich, wenn überhaupt, mit dem „Mohr von Wien“ zu unterhalten. Er faselte irgendetwas davon, er hätte eine Frau und wäre auch stolz darauf, dies müsse auch so sein. Aber, ich dachte mir, wenn dies seine Frau ist, welche gelegentlich bei ihm an der Bar stand und mit der er sich doch etwas zurückhaltend unterhielt, dann war mir alles klar, es geht mich allerdings überhaupt nicht an. – Wo die Liebe eben hinfällt. Und wo solche Liebe hinfällt, da wächst eben auch kein Gras mehr. Zudem hatte ich ihn noch wenige Monate zuvor dabei gesehen, wie er eine seiner Kolleginnen noch während der Arbeit anmachte, allerdings in einer doch eher widerlichen Art, sodass sogar der „Mohr von Wien“ dazwischen ging, und ich danach diese Kellnerin nie mehr in diesem Lokal gesehen hatte, dann war erst recht alles klar. Aber dieses dazwischen Gehen des „Mohrs von Wien“ hatte ich ihm damals auch hoch angerechnet! Es liegt eben nicht an der Herkunft eines Menschen, ob er weiß, wie man sich zu benehmen hat!
Wenige Augenblicke später kam auch noch der andere Kellner, welcher mir zuvor doch so freundlich diesen Platz, direkt am Ende der Bar in ihrer Nähe zugewiesen hatte. Aber von der zunächst doch so freundlichen Art und Weise, wie er dies tat, war nun überhaupt nichts mehr vorhanden.
Nun erlklärten mir beide, und daran kann ich mich dann aber doch sehr wohl wieder bestens erinnern, dieses Lokal hätte mittlerweile einen neuen Eigentümer, eine Familie aus Russland. Zudem erklärten sie mir, jener Tunesier, welcher bisher Barchef in diesem Lokal war, sei mittlerweile weg, er ging, so erzählten sie mir, nach Kapstadt in Südafrika, und nun sei eben dieser Serbe neuer Barchef.
Ehrlich gesagt, ich nahm dies lediglich zur Kenntnis, fand es allerdings doch etwas schade, dass der „Mohr von Wien“ nun nicht mehr da ist, denn dieser hatte das Personal in dieser Bar wenigstens halbwegs im Griff. Denn das Lokal selbst ist ein wunderschönes Lokal, eingerichtet im Stil der Zwanziger Jahre, und hat zudem eine gute Auswahl an Getränken. Wobei bei all dem, was ich gerade im Bezug darauf schon in diesem Lokal erlebt hatte, ist auch um die gute und große Auswahl an Getränken schade.
Aber da ich überhaupt nicht auf beide reagierte, wurden sie beinahe schon aggressiv mir gegenüber. Kurz gesagt, sie wollten mich einfach los werden und dies war von Beginn an sofort zu erkennen. Aber ich wollte darauf nicht einsteigen, denn nun, da ich auch noch zu hören bekam, die einzig letzte verbliebene Person, welche diese Truppe halbwegs im Griff hatte, der „Mohr von Wien“, war dieses Lokal eigentlich erledigt für mich. Doch ich musste noch meinen „Spritzer“ austrinken und so stand ich trotzdem noch einige Zeit an der Bar und so bekam ich auch mit, wie wenige Minuten der neue Barchef, dieser Serbe, zu seinem Kollegen meinte, und dies werde ich nie vergessen,
„wir tun jetzt alle guten Leute raus! Ich will die nicht! Und mit den restlichen kommen wir auch aus. Die brauchen wir nicht.“
Nun war ich allerdings doch etwas überrascht! Denn er sagte dies zudem so laut, dass die auch mehrere andere Gäste an der Bar zu hören bekamen. Wobei allerdings wenige darüber schockiert waren, was mich allerdings auch überhaupt nicht wunderte, denn auch die Gäste in dieser Bar ließen in letzter Zeit immer mehr zu wünschen übrig.
Sie wollen also keine guten Leute in ihrem Lokal haben! – Man bedenke dabei, dies will eine Nobelbar sein! Jedenfalls erweckt es den Eindruck, sieht man sich die Preise in diesem Lokal an. Ich fragte mich, ob dies auch die neuen Eigentümer aus Russland wüssten.
Eins war mir allerdings nun klar, in dieser Bar habe ich nichts mehr verloren, denn wenn sie selbst sagen, sie wollen keine guten Leute haben. Zudem meinen, sie kämen auch mit dem Rest gut zurecht und würden mit denen genug Geld einnehmen, um dieses Lokal führen zu können, dann soll mir dies auch recht sein.
Seit diesem Tag ist mir eines klar, in diesem Lokal können keine guten Leute sein, denn sie wollen sie selbst nicht. Ich muss daran immer wieder denken, wenn ich im Lokal gegenüber bin, diesem „Stadtboden“.