Die Wahl des Neuen
W.-E., Stuttgart, Freitag, der 20. Dezember 2013:
Der letzte Arbeitstag vor Weihnachten – Endlich. Und wieder stand ich kurz vor halb sieben am Morgen vor der Eingangstür zur Gaststätte meiner Vermieterin um eine Zigarette zu rauchen und wieder hatte ich an diesem Tag eine seltsame Begebenheit dabei miterlebt. Diesmal kam allerdings niemand von der Tiefgarage gefahren, sondern ein Gast aus dem Gästehaus räumte gerade sein Gepäck in seinen Wagen, auch ein Mercedes, allerdings ein weißer, und telefonierte dabei mit seinem Mobiltelefon. Alleine durch mein Erlebnis von vergangenem Freitag passte ich genau auf, ob ich nichts etwas zu hören bekommen würde, worüber es bei diesem Telefonat geht. Und da meinte der Mann,
„… wir wählen heute den Neuen!“
Natürlich konnte ich nicht verstehen, was sein Gegenüber am Telefon sagt, aber ich wollte wenigstens hören, was er sagt, denn daraus ergibt sich meist, was das Gegenüber antwortet.
„wir müssen den nehmen, denn er beschwert sich, weil er jetzt nichts davon hat, weil er selbst nichts mehr tun kann!“
„… mag sein, dass der auch nichts ist, aber wir müssen den nehmen! – Dann ist eben der der neue Oberboss, ist eh egal!“
Nun wurde mir schon halbwegs klar, worum es geht, denn als „Oberboss“ wurde auch D. immer wieder bezeichnet. Und wenn sein Nachfolger, Markus R., nun nichts mehr davon hat, könnte es daran liegen, dass eben doch etwas aufgekommen ist und doch nicht alles in Ordnung ist mit diesen „Organsierten“, welche sich ja angeblich nur deshalb organsiert hatte, denn irgendwie müsse man sich ja organisieren.
Kurze Zeit späten war das Telefonat beendet und der Mann hatte auch sein Gepäck mittlerweile in sein Auto eingeräumt und so setzte er sich in sein Auto um wegzufahren. Aber als er seinen Wagen startete, hatte ich den Eindruck, eine Rakete geht nun hoch. Da sitzt nun also ein jüngerer Mann, vielleicht Ende zwanzig in seinem weißen Mercedes mit wohl der stärksten Motorisierung, welche ich solch einem Auto unterzubringen ist. Dies ist also nicht der übliche Geschäftsmann, welcher mit seinem Firmenwagen auf Dienstreise ist. Daher hatte ich mir auch gleich das Kennzeichen gemerkt – S-EKnnnn. Als er dann an mir vorbeführ, würdigte er mich keines Blickes.
So war ich also schon gespannt, was ich vielleicht an diesem Tag noch darüber zu hören bekommen würde. Aber darüber war den ganzen Vormittag nichts zu hören. Allerdings hatte ich um 11:00 Uhr noch einen Abnahmetermin bei einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart Dürrlewang. Also begab ich mich um kurz nach zehn Uhr mit der U-Bahn auf den Weg nach Vaihingen um von dort aus mit der S-Bahn nach Dürrlewang zu fahren – den Rest des Weges legte ich zu Fuß zurück. Kurz vor 11 Uhr kam ich dann auch pünktlich an der Flüchtlingsunterkunft an. Diese Flüchtlingsunterkunft wurde übrigens äußerst kurzfristig in einem ehemaligen Schwesternheim, welches die Stadt ungefähr ein Jahr zuvor gekauft hatte, eingerichtet und da dies ja so äußerst dringend war, der Auftrag dazu kam Anfang August, wurden die für die Adaptierung dieses Gebäudes notwendigen Maßnahmen mit Aufträgen aus dem „Jahreslos“ vergeben, welches eigentlich nur für Kleinmaßnahmen gedacht ist. Mein Auftragsumfang dabei belief sich allerdings schon auf 80.000,- Euro, wobei Jahreslosaufträge eigentlich lediglich bis zu einer Höhe von 15.000,- Euro, in Ausnahmefällen bis 25.000,- Euro vergeben werden dürften. Aber durch die angesprochene Dringlichkeit wurde hier wieder einmal eine Ausnahmegenehmigung erteilt.
Also kam ich kurz vor 11 Uhr pünktlich bei diesem Gebäude an und da ich immer zu Fuß unterwegs war, konnte ich mir auch schon von weitem einen Überblick darüber verschaffen, wer aller der Beteiligten an dieser Abnahme bereits anwesend ist. Aber außer dem Obermonteur des ausführenden Elektrounternehmens, einem Kroaten, war noch niemand da. Und dieser unterhielt sich gerade mit einem der Sozialarbeiter, welche dieses Flüchtlingsheim betreuten.
Nun ging ich direkt auf diesen Obermonteur des Elektrounternehmens zu, um ihn zu begrüßen. Aber da hörte ich, worüber sich die beiden unterhielten und da fragte den Obermonteur dieser Sozialarbeiter,
„… und wie heißt nun Euer Neuer?“
„R.“,
meinte der Obermonteur darauf und dies ist auch genau jener Name des Nachfolgers von D.!
Da fragte ihn dieser Sozialarbeiter weiter,
„und was ändert sich nun, wenn Ihr einen Neuen habt?“
„Gar nichts! – Bleibt alles, wie es ist. Nur den – (und er deutete dabei mit dem Kopf in meine Richtung, er hatte wohl nicht vermutet, dass ich ihnen bereits zugelauscht hatte) – müssen wir halt weg machen!“
Nun war mir alles klar. Sie kurten also an diesem Tag den Nachfolger von D. zu ihrem neuen „Oberboss“, so wie sie diese dubiose Gestalt D. auch nannten. R. sollte also von nun an ihre neue Leitfigur sein.
Mittlerweile war ich an den beiden angekommen und begrüßte sie, daher hatten beide ihr Gespräch beendet.
Nach dieser Abnahme, welche auch seltsamer kaum ablaufen könnte, fuhr ich direkt in die Kantine ins Schwabenzentrum um Mittag zu essen. Als ich dann endlich gegen halb eins wieder in meinem Büro angekommen war, räumte ich nur mehr auf und wartete bis es endlich 13:00 Uhr ist und mein Dienst für dieses Jahr endlich zu Ende ist.
Kurz nach 13:00 Uhr verließ ich dann auch das Amtsgebäude. Wie immer über den Hinterausgang, da von dort aus der Weg zum S-Bahnhof Stadtmitte kürzer ist und auch an diesem Ausgang eine Zeiterfassung installiert ist. Aber kaum hatte ich das Gebäude verlassen, standen zwei jüngere Männer an der gegenüberliegenden Straßenseite der Gerberstraße und lungerten dort herum. Dies ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, da sich im Erdgeschoß des Gebäudes, in welchem sich mein Amt befindet, ein etwas sonderbares Café befindet, in welchem, und deshalb auch vor diesem Lokal, sich fast immer etwas seltsame Gestalten herumtreiben. Aber da sah mich einer dieser beiden jüngeren Männer an und meinte darauf,
„der wird sich schön anschauen! Denn mittlerweile sind wir selbst gut genug und nun brauchen wir den Alten nicht mehr!“
Der Alte? – Auch so wurde immer wieder D. bezeichnet und er scheint also tatsächlich der Wegbereiter für dieses Unwesen gewesen zu sein!
Ich glaube, niemand kann sich vorstellen, wie froh ich an diesem Tag war, als ich kurz nach Mitternacht zu Hause in Wien angekommen war!
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