„Binnu!“
W.-E., Donnerstag, der 22. August 2013:
Man soll es einfach nicht für möglich halten, welch unvorstellbaren Intrigen nun angezettelt wurden, dies in einem für einen Durchschnittsbürger gar nicht mehr vorstellbaren Ausmaß und welche irrsinnigen Gerüchte dabei in Umlauf gebracht wurden. Hier ist eine davon:
Schon am frühen Morgen, als ich am Weg in die Arbeit war, dachte ich mir, heute ist irgendwie eine äußerst seltsame Stimmung. Nicht nur in der S-Bahn, auch am Weg von der S-Bahnstation Stadtmitte in mein Büro, auch sonst.
Kurz nach neun Uhr begab ich mich auf meinen ersten Auswärtstermin und ging dabei, wie meist, zu Fuß zur U-Bahnstation Charlottenplatz. Es schien, als wäre die Stadt an diesem Tag beinahe ausgestorben. Nun sind in den Ferienwochen generell viel weniger Leute unterwegs als sonst, aber an diesem Tag war es besonders schlimm. Als ich auf meine U-Bahn in Richtung stadteinwärts wartete, sah ich zwei ältere Leute auf der anderen Seite der Station. Sie fielen mir regelrecht auf, da sonst niemand dort am Bahnsteig unterwegs war. Es war offensichtlich ein älteres Ehepaar. Die Frau sah zu mir rüber, sah mich dort am Bahnsteig warten und sagte plötzlich zu ihrem Mann,
„der hat sich umgebracht!“
Zwar nicht wirklich laut, aber doch in einer Lautstärke, sodass ich dies klar vernehmen konnte. Nun, ich konnte es allerdings nicht gewesen sein, welchen sie damit meinte, denn ich stand ja lebendig am Bahnsteig und wartete auf meine U-Bahn. Aber wen würde sie wohl sonst gemeint haben? Sie klang dabei regelrecht entsetzt.
Nun dachte ich mir, pass auf, was denn da schon wieder geschehen sein könnte und horch dich einfach etwas um. Aber es war kaum noch etwas zu hören.
Doch als ich am Nachmittag auf meinem nächsten Auswärtstermin unterwegs war, da hörte ich, wie sich zwei jüngere Männer über mich in der U-Bahn unterhielten. Dabei meinte einer, nachdem er mich etwas entgeistert angesehen hatte zu seinem Kollegen, wusste dabei aber nicht, ob er dabei lachen sollte,
„hast schon g’hört? Der Andere soll sich umgebracht haben. – Im Gefängnis!“
„Wer?“
„Den sie immer als den verrückten Wirt bezeichnen!“
Nun war aber auch ich etwas entsetzt, denn dies konnte ich noch doch überhaupt nicht glauben.
Nach der Arbeit ging ich wieder einmal in diesen Biergarten in der Stadt, in welcher ich nun wochentags wohnte. In dieser Zeit war ich relativ häufig dort, denn das Wetter war meist durchgängig schön und heiß und eine andere Möglichkeit hatte ich in diesem Ort nicht, am Abend noch etwas im Freien zu sitzen. Wie meistens saß ich dabei an einem der äußersten Tische, gleich am Gehweg.
Nur zwei Tische von mir entfernt saß an diesem Abend eine kleine Gruppe von einigen Personen, mehrheitlich Frauen. Alle um die gut dreißig Jahre alt. Auch die unterhielten sich anfänglich über mich, dann über diese angebliche Neuigkeit, welche sich in der Nacht zuvor in Salzburg zugetragen haben soll. Da meinte eine der Frauen,
„das ist schon arg! Jetzt hat sich der umgebracht. Ganze drei Tage hat er es im Gefängnis ausgehalten.“
Darauf meinte eine andere Frau,
„dann sind sie nun aber aus dem Schneider, denn der kann nichts mehr sagen.“
Darauf meinte allerdings die erste wieder,
„nein! Selbstmord ist ein Eingeständnis!“
Nun herrschte kurze Zeit ruhe an dem Tisch, dann meinte plötzlich eine der Frauen, regelrecht flehend,
„Binnuh!“
Nun war ich regelrecht erschrocken, denn, egal was auch wirklich geschehen sein mag, man muss wissen, wer mit „Binnu“ gemeint ist und dies hätte ich eigentlich von keinem der Gäste hier in diesem Biergarten erwartet. Ich selbst weiß es auch nur, da ich kurz zuvor eine Biographie über diesen Mann gelesen hatte, die da heißt, „Der Pate der Paten“, von Claire Longrigg. Es ist eine Biographie über den obersten Paten der Cosa Nostra, Bernardo Provenzano, genannt „Binnu“, „der Traktor“. Daher rätselte ich, woher denn diese Frauen dies wissen könnten, denn in den Medien hatte ich dies zuvor noch nie vernommen. Und als jene, welche sich dies ebenfalls in einem Buch aneignen konnten, hätte ich sie nicht eingeschätzt. Eigentlich niemanden der Gäste dieses Biergartens. Daher rätselte ich, woher sie es trotzdem wissen könnten und mir blieben lediglich zwei Möglichkeiten, entweder haben selbst Kontakte zur Cosa Nostra, oder aber sie kennen jemanden, der dies hat. Eine andere Möglichkeit blieb für mich nicht übrig.
Was mich dabei zudem so besonders irritierte war, niemand der Stammgäste dieses Biergartens würde in das Lokal dieses „verrückten Wirtes“ in Mondsee passen. Sie würden auch niemals dort hingehen. Vielleicht der Junior Wirt, aber der auch nur deshalb, weil er selbst im Gastgewerbe tätig ist und mit seinen Eltern eine Weinschenke betreib, zu der eben auch dieser Biergarten gehört, aber sonst sicher nicht! Nun schien man hier regelrecht entsetzt darüber zu sein, dass sich dieser „verrückte Wirt“ offensichtlich selbst das Leben genommen haben soll. Zudem hätte sich dies in 450 Kilometern Entfernung abgespielt und wohl niemand einen zufälligen Kontakt zu ihm gehabt.
Ich war regelrecht schockiert an diesem Abend, welche Personen in dieser Stadt neben mir an einem der Tische in diesem Biergarten saßen!
Zudem, den vermeintlichen Selbstmord des „verrückten Wirtes“, den konnte ich einfach nicht glauben. Dazu müsste ich vorher selbst direkt davon einen Beweis haben. Aber man stelle sich vor, dieses Gerücht sollte sich bis Ostern des folgenden Jahres halten!