„Dann schieben wir einfach unsere Behinderten vor und alles ist wieder gut!“
Stuttgart, Freitag, der 12. Juli 2013:
Am Montag dieser Woche hatte ich endlich doch noch meine Hausarbeit für mein Fernstudium abgeben können. Ich war richtig erleichtert, als ich am Samstag zuvor alle Fragen beantwortet hatte. Diese Hausarbeit per Post abzusenden, dafür war allerdings keine Zeit mehr geblieben, denn spätestens am Montag am Abend musste diese Abgegeben werden. Aber da ich ohnedies bei meiner Tätigkeit für das Hochbauamt der Stadt Stuttgart ständig in der Stadt auf Auswärtsterminen unterwegs bin, machte ich einfach am Montag nach der Mittagspause einen kleinen Umweg und ging am Regionalzentrum in Stuttgart vorbei, um diese Hausarbeit persönlich abzugeben.
Den Rest der Woche versuchte ich einen Weg zu finden, wie ich endlich mein Hinweisschreiben verfassen könnte. Denn dies ist nicht so einfach. Lediglich ein paar Zeilen zusammenzuschreiben, das schien mir dabei nicht gerade angebracht. Aber für eine etwas ausführlichere Beschreibung dessen, was hier vorgeht, dafür fehlte mir einfach die Zeit. Tagsüber bin ich im Amt. Dazu stand ich jeden Tag um halb sieben Uhr morgens auf und kam meist erst gegen 18:00 Uhr, meist wurde es 18:30 Uhr wieder von meinem Dienst zurück. Am Abend alleine in meinem kleinen Appartement, das hielt ich einfach nicht aus, dabei wäre ich an die Decke gegangen und seit mittlerweile gut drei Monate hatte ich kaum mehr eine Nacht mehr als drei bis vier Stunden geschlafen. Wenn ich einmal etwas Ruhe hatte, dann war ich meist derart erledigt, dass ich aus dem Schlafen nicht mehr herauskam. Das hatte ich ja vor drei Wochen, als ich mir Urlaub für die Ausarbeitung meiner Hausarbeit genommen hatte, erleben müssen. Also war ich ständig auf der Suche, einen Weg zu finden, wie ich ein Schreiben, für welches ich sicher mehrere zusammenhängende Stunden benötigen würde, verfassen könnte. Bis dahin fiel mir nichts ein.
Nun war ich wieder einmal richtig froh, am Freitag Nachmittag endlich wieder nach Hause fahren zu können. Vielleicht fiel mir ja zu Hause eine Möglichkeit ein, wie ich dieses Schreiben verfassen könnte. Dazu fuhr ich, wie jeden Freitag Nachmittag kurz nach 15:00 Uhr mit der S-Bahn in die Stadt um zum Hauptbahnhof zu gelangen. Endlich am Hauptbahnhof angelangt, kaufte ich mir dort auch, wie gewöhnlich mein Rückfahrticket bis Salzburg am Fahrkartenautomat. Für die Strecke Salzburg bis Wien hatte ich ja bereits mein Ticket. Danach ging ich, ebenfalls wie beinahe immer auf diesem Weg, zum Gleis 14, wo der IC nach Klagenfurt abfährt, welcher mich bis Salzburg bringen würde.
Aber kaum bog ich am Hauptbahnhof auf diesen Bahnsteig ein, hörte ich, wie einer der Arbeiter an der Baustelle für den neuen Hauptbahnhof, zu der Zeit waren die Arbeiten für den Abriss des Südflügels voll im Gange, mit einem seiner Kollegen sprach. Ich ging nur wenige Meter an ihnen vorbei. Der Mann sah mich an, lächelte dabei etwas hämisch und meinte danach zu seinem Kollegen,
„komm doch auch zu uns und mach‘ mit uns mit! Mit der die wir da haben, da kannst Du machen was Du willst. Da geht alles. Und wenn einmal doch etwas ist, dann schieben wir einfach unsere Behinderten vor und alles ist wieder in Ordnung!“
Und lachte nun dabei laut.
Als ich dies hörte, dachte ich mir, genau diesen Eindruck habe ich auch schon die längste Zeit. Denn es ist ja nicht so, dass alle über dieses Unding froh sind. Aber falls wirklich einmal etwas ist, also jemand mindestens offen seinen Unmut über deren Gehabe und ihre Aktionen zu Ausdruck bringt, dann, egal bei welchem Projekt ich auch immer dies festgestellt hatte, dann sind plötzlich auffallend viele, meist auf den ersten Blick körperlich beeinträchtigte Personen an diesem Projekt tätig. Oder meist ist dann gar eine behinderte Person für jenen Bereich zuständig, in dem es zu den entsprechenden Unmutsäußerungen kam. Und wer um alles in der Welt geht auf eine behinderte Person los. Auch wenn die Probleme, welche in diesem Bereich gerade offen aufgetreten sind, eindeutig auf einfach zu behebende Fehlleistungen, oder gar mangelnde Sorgfalt und Einsatzbereitschaft, oder Ähnliches zurück zu führen sind. Dies tut eben niemand. Jeder normale anständige Mensch, der mit einer behinderten Person zu tun hat, steckt automatisch einen Gang zurück und greift vor allem einen offensichtlich beeinträchtigten Menschen nicht an, auch wenn ein entsprechendes Fehlverhalten vorliegt. Das gebietet einem der Anstand.
Ich fand und finde es immer noch einfach nur widerlich und abstoßend, behinderte Menschen quasi als Schutzschild für dieses Unding zu missbrauchen!