Das sind keine Menschen, das sind Bestien in Menschengestalt!
W.-E., Dienstag, der 11. Dezember 2012:
Erst spät in der Nacht kam ich in Stuttgart an. Es war bereits der 11.12.2012 um 1:00 Uhr in der Nacht. Am nächsten Morgen ging ich, wie jeden Morgen in der Zeit, als ich auf Arbeitssuche war, zu meiner Vermieterin ins Lokal um zu Frühstücken. Dabei saß ich immer am Stammtisch, zusammen mit meiner Vermieterin, welche die Hausgäste mit Frühstück versorgte. Nebenbei setzte sie sich immer wieder zu mir an den Tisch und wir unterhielten uns. Da ich meist erst gegen 9:00 Uhr zum Frühstück kam, waren die meisten Gäste meist schon fort, sodass meine Vermieterin meist sehr lange bei mir am Tisch saß. So auch am 11.12.2012.
Da fragte sie mich an diesem Tag, ob ich denn Frau K. kannte. Natürlich kannte ich Frau K., denn ich bin doch öfters mit ihr genau an diesem Tisch zusammen gesessen und wir hatten uns unterhalten. Auch im Biergarten im Ort hatte ich sie einige Male getroffen und wir hatten uns auch doch sehr gut unterhalten. Für mich war sie immer eine der positivsten Erscheinungen in dieser Stadt. Sie war eben in jungen Jahren so etwas wie eine Karrierefrau. Sie hatte bei Bosch einen tollen Job, hatte dabei gut verdient und zudem, auch mit über fünfzig Jahren sah sie noch sehr gut aus. Doch irgendwann hatte ich von ihrem Schicksal erfahren. Sie hatte geheiratet, jemandem aus der Stadt und noch dazu jemanden der aus einer Wengerter Familie, also einer schwäbischen Weinbauern Familie kam. Und dies dürfte ihr offensichtlich zum Verhängnis geworden sein. Sie hatte nämlich ein schwerst behindertes Kind zur Welt gebracht.
Aber irgendwie war ich überrascht, weil meine Vermieterin meinte, ob ich sie kannte – sie sprach also in der Vergangenheit von ihr. Daher hatte ich nachgefragt, was denn mit ihr geschehen sein. Darauf erzählte sie mir, sie hätte sich am vergangenen Wochenende, am Samstag, vor die S-Bahn geworfen. Direkt am Bahnhof in der Stadt. Sie erzählte mir weiter, zuvor hätte sie noch all ihre Unterlagen fein säuberlich auf dem Küchentisch zusammengestellt und sei dann zum Bahnhof gegangen und sich vor den einfahrenden Zug geworfen. Zudem erzählte sie noch, ihr Sohn Julian hätte die Kinder, welche dies mit ansehen mussten, beinahe heldenhaft vom Bahnhof weg nach Hause gebracht.
Ich war natürlich etwas schockiert, hatte ich sie doch noch am letzten Freitag, dem 30.11.2012, noch als ich am Weg nach Hause nach Wien war und ich kurz zuvor aus dem Haus meiner Vermieterin ging, von weitem gegrüßt als sie mich auf der anderen Straßenseite mit meinem Koffer gehen sah. Dabei war sie auch noch mit ihrem behinderten Sohn, welcher mittlerweile 18 Jahre alt war, mit seinem Liegebett auf der Straße unterwegs. Ich dachte mir noch, sie hat es wirklich nicht leicht in ihrem Leben, aber dies schien sie doch relativ gut zu meistern. Und nun dies.
Während ich mich mit meiner Vermieterin unterhielt, kam auch ihr Mann dazu und stellte sich an die Ausschank. Er mischte sich allerdings nicht in das Gespräch ein. Da ich allerdings doch etwas schockiert war, stand ich kurz nachdem ich dies erfahren hatte, vom Tisch auf um nach draußen zu gehen und eine Zigarette zu rauchen. Kaum war ich vom Tisch aufgestanden, meldete sich dann doch noch mein Vermieter zu Wort und meinte,
„nah! So sind wir eben! Wenn wir einen nicht wollen, dann gehen wir bis zum Letzten!“
Ich konnte es erst gar nicht fassen, was er nun hier gesagt hatte, daher tat ich so, als hätte ich dies nicht gehört und ging zur Tür hinaus. Nun war ich allerdings doppelt geschockt, denn wie kann man nur über einen anderen Menschen derart sprechen. Noch dazu, wenn dieser aus der gleichen Stadt kommt und man ihn über viele Jahre kennt. Zudem hatte ich niemals zuvor etwas darüber mitbekommen, Frau K. wäre ein Mensch, welcher hier nicht gerne gesehen wäre.
Als ich meine Zigarette fertiggeraucht hatte, ging ich wieder zurück ins Lokal und setzte mich wieder an den Tisch. Doch kaum kam ich wieder zur Tür herein, sprachen Herr und Frau L., meine Vermieter über den am kommenden Samstag bei ihnen in ihrem Gasthaus stattfindenden Leichenschmaus nach dem Begräbnis von Frau K. der verbliebenen Angehörigen und taten dabei so, als wäre überhaupt nichts. Nun war ich endgültig baff. Denn, dies sind keine Menschen, dies sind Bestien in Menschengestalt! Wie kann man nur derart kaltblütig über andere Menschen reden.