Linz, Donnerstag, der 3. Juli 2008:
An diesem Tag sollte ich das erste Mal auf eine meiner neuen Baustellen kommen. Nach Linz. Zu diesem Hotelprojekt am Hessenplatz. Ich war richtig froh, endlich aus dem Büro hinauszukommen, denn dort schien es mir schon in den ersten beiden Tagen, in welchen ich in diesem Unternehmen arbeitete, richtig mühsam zu sein. Es war diese unvorstellbare Ruhe im Büro. Eine Ruhe, die nicht normal war. Es war, als würden sich alle gegenseitig belauschen und nur darauf warten, bis jemand etwas Falsches von sich gibt.
Am frühen Vormittag ging es mit dem Firmenwagen meines Kollegen Stjepan M., welchen er noch von seiner Zeit in diesem österreichischen Baukonzern, wo er bis vor kurzem in ähnlicher Funktion tätig war, von dort offensichtlich zu diesem Immobilienentwicklungsunternehmen geholt wurde, da dort zuvor niemand war, der auch den Bereich der Haustechnik abdecken konnte, außer dem Chef Klaus Sch. vom Büro in Floridsdorf nach Linz. Schon die Fahrt nach Linz war eine regelrechte Tortour. Denn der Mann redete einfach nichts! Wobei ich auch nicht gerade der große Geschichtenerzähler bin, wenn ich mit jemandem im Auto unterwegs bin. Aber er war richtig schlimm. Auch sonst. Das fiel mir schon in den ersten tagen in diesem Unternehmen auf. Aber diese Fahrt schien schon einfach nicht zu enden.
Auch die Kurze Kaffeepause in einer der Autobahnstationen am Weg brachte keine Entspannung. Ganz im Gegenteil. Ich wusste einfach nichts mit ihm anzufangen. Ich war richtig froh, als wir endlich gegen zehn Uhr in Linz auf der Baustelle angekommen waren. Aber auch dort wusste ich nicht, was ich mit ihm anfangen, wie ich mit ihm umgehen soll, denn das Einparken auf dem Baustellengelände war eine richtige Herausforderung für ihn. Dabei war er nicht das erste Mal auf dieser Baustelle. Schon monatelang soll er in den wenigen Worten, welche er von sich gegeben hat, soll er regelmäßig auf dieser Baustelle sein.
Daher war ich nun richtig gespannt auf meine neuen Kollegen in Linz. Die beiden Kollegen von der Bautechnik waren bereits auf der Baustelle. Dorthin hatten sie auch bereits ihre Arbeitsplätze vom Büro in Linz in die Baustellencontainer verlegt. Die beiden schienen zunächst in Ordnung zu sein, Wenigstens einer der beiden. Simon W.
Der andere, ein Linzer, der eigentlich nun in Wien wohnte, aber nach Linz in diese Außenstelle versetzt worden war und deshalb nun wieder in Linz wohnte, schien etwas fragwürdig zu sein.
Auch die Sekretärin des Büros in Linz war bereits auf der Baustelle. Denn auch sie hatte mittlerweile ihren Arbeitsplatz in den Baustellencontainern. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Denn sie hatte beinahe denselben Familiennamen wie ich, lediglich ein Buchstabe fehlte dabei. Und dabei musste ich immer wieder an eine junge Frau denken, welche ich vor doch mittlerweile vielen Jahren in meinem alten Heimatdorf beim Baden kennengelernt hatte. Sie war damals mit ihrem Bruder und den Rest der Familie aus Steyr auf einem Tagesausflug zum Baden. Wobei wir damals festgestellt hatten, beinahe den gleichen Familiennamen zu haben. Aber so richtig konnte ich mich daran nicht mehr erinnern und nachfragen, das wollte ich am ersten Tag hier auch nicht gleich. Allerdings hatte ich den Eindruck, auch sie würde mich kennen. Daher beließ ich es bei der Ahnung, welche ich hatte, Genaueres wollte ich gar nicht wissen.
Nun saßen wir alle zusammen im Besprechungscontainer auf der Baustelle, in welcher in weiterer Folge alle zwei Wochen jeweils an Dienstagen Baubesprechungen stattfinden sollten, und warteten auf unseren Chef bei diesem Bauvorhaben, Markus L. Auf den war ich nun ganz besonders gespannt. Denn die ersten Tage in Wien im Büro waren schon mehr als anstrengend. Daher hoffte ich, wenigstens hier eine etwas angenehmere Atmosphäre zu erleben.
Mit fast einer Stunde Verspätung kam er dann auch endlich. Immer wieder hieß es, nun würde er kommen. Aber dann war es doch wieder jemand anderer. Bis nun endlich ein Auto neben den Containern parkte, gleich in der Einfahrt zur Baustelle, weshalb für die Kollegen nun klar war, er müsste es sein. Daher schaute ich ganz gespannt aus den Fenstern der Container, wer denn da nun kommen würde. Und da sah ich ihn auch schon. In seinen rosa Hemdchen, welches mir sofort aufgefallen war. Denn, wer um alles in der Welt, kommt auf eine Baustelle, ist zudem auch noch der Bauherrenvertreter, der Vertreter des Auftraggebers, mit einem rosa Hemdchen auf die Baustelle!
Daher schlug ich gedanklich die Hände über den Kopf zusammen. Denn da hatte ich doch gehofft, etwas anderes zu erleben. Aber dies schien nun so. Wobei das Gelächter der Kollegen, als er an den Fenstern der Containern vorbeigegangen war, etwas irritierend war. Als wüssten sie, dass sie einen etwas eigenartigen, seltsamen Chef hätten. Dies aber wohlwollend zur Kenntnis genommen hätten.
Nachdem ich nun neu in der Mannschaft war, blieben wir im Besprechungscontainer, in welchem nun ich und mein Kollege Stjepan M. unsere Arbeitsplätze haben sollten, wenn wir auf der Baustelle sind, und Markus L., der noch dazu Diplom Ingenieur sein soll, führte mich in die Baustelle ein. Wie er sich den weiteren Verlauf unserer Anwesenheiten auf der Baustelle vorstellen würde, wir nun, sobald der Rohbau fertiggestellt wäre und die ausführenden Unternehmen mit ihren Arbeiten begonnen haben, mindestens alle zwei Wochen Baubesprechungen abhalten sollten und er sich doch erwarten würde, dass wir nicht nur, wie diese Woche vorgesehen, zwei Tage auf der Baustelle verbringen, sondern die ganze Woche in Linz sein sollten. Aber die würde den Vorgaben im Büro in Wien widersprechen, denn schließlich hatten wir, Stjepan M. und ich, auch noch ein weiters Bauvorhaben, welches wir betreuen sollten, den Chitila Logistic Park in Bukarest. Bei welchem wir auch alle zwei Wochen vor Ort sein sollten. Weshalb es wohl so kommen würde, dass wir in einer Woche zwei, drei Tage hier in Linz auf der Baustelle sein werden, die andere Woche ebenfalls zwei, drei Tage in Bukarest sein werden. So sah zumindest zu dieser Zeit der Plan aus. Wobei dies Markus L. überhaupt nicht gefallen hatte.
Erst am späten Nachmittag ging es dann wieder zurück nach Wien. Die war ebenso anstrengend, wie Hinfahrt nach Linz. Denn Stjepan M. redete einfach nichts. Wobei mich dies gar nicht so sehr störte. Es stört mich auch sonst nicht sehr, wenn ich mit jemanden im Auto mitfahre und der Fahrer will einfach mit mir nicht sprechen. Aber mit Stjepan M. war dies anders. Denn offenbar erwartete er sich von mir, ich sollte mich mit ihm unterhalten. Allerdings waren da keine Gesprächsthemen, mit welchen ich mich mit ihm unterhalten konnte. Hatte ich ein Gespräch begonnen, dann kam meist von ihm nichts mehr, weil er sich von mir etwas ganz anderes erwartet hatte. Trug aber selbst überhaupt nichts zu einer Unterhaltung bei. Daher, ich wusste einfach nicht, was ich mit ihm anfangen soll.
Als wir dann endlich in Wien angekommen waren, Stjepan M. fuhr über die Südeinfahrt nach Wien, denn er wollte mich zu Hause absetzen, musste er auch noch tanken. Weshalb er an die nächstgelegene OMV Tankstelle, gleich nach der Autobahnausfahrt fuhr. Doch dabei musste Stjepan M. irgendetwas aufgeschnappt haben. Ich hatte es nicht im Detail mitbekommen, was sich an dieser Tankstelle abgespielt hatte. Allerdings als Stjepan M. von der Kasse wieder zu seinem Auto kam, war er kaum wiederzuerkennen. Denn so eine unscheinbare und stille Erscheinung er sonst war, umso aufgeblasener kam er nun daher. Als hätte ihm jemand in der Tankstelle etwas unter die Achseln geklemmt, was allerdings nicht zu sehen war. Wie ein kleiner Rambo kam er nun daher. Als würde er ohnedies jeden beiseite räumen, der ihm in den Weg kommt. Und einer wie ich, es gar nicht Wert wäre, sich damit abzugeben. Denn da gäbe es etwas, wovon ich ohnedies keine Ahnung hätte. Ihm eine Macht verleihen würde, weshalb er sich mit mir erst gar nicht abgeben müsste. Schließlich würden solche wie ich schon sehen, mit wem sie es zu tun hätten und einem gar nichts anderes übrig bleiben würde, als sich „ihnen“ zu unterwerfen.
Endlich in der Wohnhausanlage, in welcher ich meine kleine Wohnung in Alterlaa hatte, warf er mich regelrecht aus dem Auto hinaus. Blieb einfach stehen, wobei er erst so tat, als hätte er nicht verstanden, wo ich ihn gebeten hatte, stehenzubleiben, ließ mich gerade noch aussteigen, dann brauste er schon davon.
Böse war ich nicht, als dieser Arbeitstag endlich zu Ende war und ich in meiner Wohnung angekommen war. Doch in nächster Zeit würde ich wohl sehr viel mit ihm gemeinsam unterwegs sein müssen.
(2021-08-09, 2021-09-07)