Baden, Dienstag, der 24. Juni 2008:
Nachdem ich tags zuvor endlich wieder eine neue Anstellung in diesem Immobilienentwicklungsunternehmen in Wien erhalten habe, wollte ich, wie schon in Mai eine ganze Woche lang, den Rest der Woche in Wien bleiben, denn mittlerweile hatte es mir, trotz allem, in Wien zu gefallen begonnen. Wien war eben doch nicht nur dieser Wahnsinn, welchen ich in der Zeit von September 2005 bis jetzt erleben musste, sondern hatte auch eine ganz andere Seite. Daher, auch wenn ich nicht gerade glücklich darüber war, nun eigentlich aufgeben zu müssen, was ich mir bisher für mein künftiges Leben gewünscht hätte, nämlich nach München zu gehen, dort ein neues Leben zu beginnen, fand ich es nun gar nicht mehr falsch, wenn ich künftig in Wien leben werde.
Allerdings waren meine Möglichkeiten nach wie vor äußerst begrenzt. Denn dieses Theater wollte ich nun auch nicht gerade überall umherschleppen und es mir gegebenenfalls mit neuen Leuten, welche ich nun doch hoffte, endlich kennenzulernen, damit gleich wieder zu vertun. Deshalb wollte ich mich, zumindest in der näheren Zukunft, auch gar nicht zu sehr aus meiner bisherigen Umgebung entfernen. Denn auch dies hatte ich in Salzburg in den Jahren ab 2002 gelernt, wirklich entkommen würde ich „diesen Leuten“ ohnedies nicht. Schließlich spähten sie regelrecht alles aus, wo ich mich gerade umhergetrieben hatte, nur um danach so richtig gegen mich Stimmung zu machen. Wobei dies eigentlich längst bereits eine regelrechte Hetze wurde, was gegen mich veranstaltet wurde.
Jedoch nun diese eine Woche, welche mir nun bis zu meinem Arbeitsbeginn in diesem Immobilienentwicklungsunternehmen noch blieb, wollte ich auch nicht gerade nur in meiner Wohnung und gegebenenfalls hin und wieder im Café oder an manchen Abenden in einer der beiden Lokale in der Innenstadt verbringen, welche ich bisher immer aufgesucht hatte.
Daher dachte ich mir, die bisherigen Nachmittage, welche ich noch in der Zeit, als ich für dieses Unternehmen in Atzgersdorf gearbeitet hatte, in diesem Bistro in Baden, nur unweit meiner damaligen Baustelle im Krankenhaus in Baden verbracht hatte, waren gar nicht so unangenehm, denn dort konnte ich mich meist wenigstens mit der Wirtin dieses Bistros, einer Rumänin, wobei deren ganze Familie aus Satu Mare stammt, oder mit diesem Frühpensionisten aus der Badener Stadtverwaltung gut unterhalten. So saß ich wenigstens nicht alleine an meinem Tisch, sondern hatte wenigstens etwas Unterhaltung. Weshalb ich mir dachte, an diesem Nachmittag könnte ich doch auch wieder dorthin fahren, auch um etwas zu essen. Was sich danach ergibt, werde ich schon sehen.
Doch kaum hatte ich dort mein Essen erhalten, mich etwas mit der Wirtin unterhalten, kam der Rest der Familie der Wirtin, wie auch zuvor schon einige Male, in das Lokal. Wobei ich allerdings mit beinahe Entsetzen feststellen musste, auch dort hatte es sich längst wieder herumgeschwiegen, wo ich denn nun zu arbeiten beginnen werde. Obwohl mich niemand danach gefragt hatte, ich niemanden davon etwas erzählt hatte, es war einfach bekannt. So fragte sie doch glatt ihr Mann, was sie denn nun davon halten würde, in welchem Unternehmen ich nun zu arbeiten beginnen würde. Worauf diese meinte,
„der soll sich das erst einmal anschauen.“
Nicht aber, als würde sie sich davon besonders viel erwarten. Sondern eher als, ich würde dann schon draufkommen, dass dieses Unternehmen, die Arbeit in diesem Unternehmen nichts für mich sein werde. Wobei, in den Wochen und Monaten zuvor hatte ich mich doch sehr häufig mit ihr unterhalten. Aber dieses Immobilienentwicklungsunternehmen in Wien, obwohl es damals auch zu meinen Kunden gehörte, war niemals ein Thema dabei. Daher war ich nun richtig überrascht, feststellen zu müssen, dass dieses Unternehmen sehr wohl bestens bekannt ist. Zudem, auch nicht gerade mit einem guten Ruf.
Vor allem irritierte es mich mittlerweile doch sehr, miterleben zu müssen, dass ich beinahe nichts mehr tun konnte, ohne dass dies nicht sofort ins Gerede gekommen ist. Man könnte zwar sagen, all dies wäre doch nur Tratsch. Ist es auch. Aber es ist doch eine ganz eigene Art von Tratsch. Tratsch mit einem doch sehr hohen Gehalt an richtigen Informationen, beinahe schon von Insiderwissen. Daher möchte ich dies auch nicht wirklich als Tratsch bezeichnen, sondern als Gerede. Bewusst verbreitete Informationen, damit darüber, auch mit Hintergedanken, in der Öffentlichkeit, oder Halb Öffentlichkeit, wenn man es so bezeichnen will, gesprochen wird, um damit Stimmung zu verbreiten.
Es ist auch gelungen, damit Stimmung zu verbreiten. Denn besonders wohl fühlte ich mich schon zuvor nicht, nun in diesem Unternehmen zu arbeiten. Nun hatte ich ein richtig mulmiges Gefühl dabei. Allerdings hatte ich auch, wieder einmal, keine Alternative dazu!
Mich wunderte, wie der Mann der Wirtin dieses Bistros überhaupt so schnell davon erfahren konnte, welchen neuen Job ich nun hätte. Doch da ich wusste, er arbeitet in einem Unternehmen, welches Zäune herstellt, gab es doch auch einen Bezug zur Bau- und auch zur Immobilienbranche. Einige Male wollte ich mich schon auch mit ihm etwas unterhalten. Allerdings sprach er kaum Deutsch. Wobei er mir aber auch immer etwas unheimlich vorgekommen war. Denn wäre er ein Schauspieler, dann wäre er für eine Rolle als Mafiosi wie gemacht. Mit seiner Statur wie ein Kleiderschrank, seinen grauen Haaren samt Bart, allerdings immer noch mit tiefschwarzem Ansatz, seinen grimmigen, finsteren, durchdringenden und auch beängstigenden Blick. Wenn der einem abends in einer dunklen Ecke unterkommt, dann läuft jeder davon, oder bleibt wie erstarrt einfach stehen und rührt sich nicht mehr.
Allerdings musste ich nur daran denken, wie oft die Tochter der Wirtin von der Schule nach Hause gekommen war, gerade als ich in diesem Lokal saß, und dabei mitverfolgen konnte, wie diese das Theater um meine Person und alles was damit in Verbindung steht, von der Schule, sie ging damals offenbar in eine berufsbildende Mittelschule, irgendwo zwischen Baden und Wien, aber gerade auch vom Weg nach Hause in der Badner Bahn mit nach Hause brachte. Und dabei vor allem, welches Ausmaß dieses Theater längst angenommen hatte. Schließlich hatte ich selbst schon kaum mehr Ruhe davon und war 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und das 365 Tage im Jahr damit konfrontiert, ohne kaum auch nur eine Viertelstunde Ruhe davon zu haben. Daher war ich immer Froh, wenn es kaltes, regnerisches Wetter hatte, somit kaum jemand unterwegs war, und ich zu Hause alle Fenster schließen konnte, um dann wenigstens etwas Ruhe zu haben. Aber wahrscheinlich hatte ich selbst nur ein klitzekleines Bisschen davon mitbekommen, obwohl auch dies schon längst nicht mehr erträglich war. Und dass allerdings mittlerweile schon sehr viele Jahre.
Ich war daher nun richtig gespannt, wie lange ich dann nun wohl in diesem Immobilienentwicklungsunternehmen bleiben werde können, obwohl ich mir dabei dachte, nun endlich einen Job zu haben, bei welchem mir ohnedies niemand mehr ankönnen würde und als quasi nun selbst Bauherrenvertreter auch kaum in die Zange genommen werde können. Aber die Anzeichen, nun wieder nur eine Übergangsbeschäftigung erhalten zu haben, waren schon äußerst deutlich und auch bedenklich.
(2021-07-28)