Wien, Mittwoch, der 11. Juli 2007:
Nachdem der neue Geschäftsführer des neuen Eigentümers des Unternehmens anlässlich einer Versammlung der gesamten Belegschaft die grundsätzlichen Vorstellungen des neuen Eigentümers vorgestellt hatte, wollte dieser auch noch den einzelnen Schichten im Unternehmen weitere Details über die Zukunft des Unternehmens erläutern. Mit den Abteilungsleitern und sonstigen leitenden Angestellten säßen sie nun ohnedies regelmäßig zusammen. Daher sollte nun in einer weiteren Vorstellungsrunde Mitarbeitern, welche keine leitende Funktion im Unternehmen haben, allerdings direkten und eigenen Kontakt zu Kunden und Lieferanten pflegen, also Projektleitern, Verkäufern und dergleichen, aber auch die Buchhaltung, Details vorgestellt werden, die sie in ihrem eigenen Arbeitsalltag betreffen können, ihnen allerdings auch bei Fragen von Kunden helfen könnten. Dazu zählte auch ich als Projektleiter im Bereich der Gebäudetechnik.
Ich fand dies zwar sehr entgegenkommend vom neuen Geschäftsführer. Allerdings auch etwas seltsam, denn dabei bestünde doch auch die Möglichkeit, dass der Geschäftsführer nun uns etwas anderes erzählen könnte, als er zuvor unseren Vorgesetzten bereits erzählt hatte. Er könnte uns somit regelrecht gegen unsere Vorgesetzten ausspielen. Aber das schien wohl nicht die Intention des Geschäftsführers gewesen zu sein. Vielmehr war dieser sich bewusst, nun ein durchaus schwieriges Unternehmen leiten zu müssen. Angesichts der hohen Verluste, welche in den Jahren zuvor eingefahren wurden, schien dies eher der Grund für diese Vorgehensweise gewesen zu sein. Was auch nicht unberechtigt war, wurde doch schon im Jahr zuvor von vorherigen Eigentümer der Bereich der Verkehrstechnik, ein Bereich, der sich in erster Linie mit der elektrotechnischen Ausstattung von Straßentunnel beschäftigte, schon als eigener Teil an ein in Wien ansässiges Unternehmen verkauft. Wobei der Grund dafür in einem Verlust im Jahr zuvor von über 80 Mio. Euro gelegen haben soll. Eine Summe, welche einen beinahe vom Sessel wirft, wenn man dies hört. Fragt man sich doch, wie es in diesem Bereich überhaupt zu so einem Hohen Verlust in einem einzigen Jahr kommen konnte. Noch dazu, da es in den Jahren zuvor ebenfalls nicht gerade rosig ausgesehen haben soll, wenngleich der Verlust nicht so exorbitant hoch gewesen sein soll.
Aber egal. Nun an diesem Vormittag wollte also der neue Geschäftsführer, eingesetzt durch den neuen Eigentümer des Unternehmens, uns Mitarbeitern, die zwar keine leitende Funktion haben, jedoch direkten Kundenkontakt pflegen, in einer kleineren Runde seine Vorstellungen über die Zukunft des Unternehmens präsentieren. Weshalb wir nicht in einen der großen besprechungsräume im Untergeschoß, sondern in einen kleineren Besprechungsraum direkt bei der Geschäftsleitung zusammengerufen wurden. Gut fünfzehn Leute sollten an diesem Termin teilnehmen.
Jedoch fehlte an diesem Tag einer der eingeladenen Teilnehmer aus einer anderen Abteilung. Weshalb in der Runde schnell die Frage aufgekommen war, weshalb denn nun dieser Mitarbeiter fehlte. Vielleicht gar wegen dieses Termins? Aber nein. Ein direkter Arbeitskollege stellte sofort klar, der Kollege wäre bereits die gesamte Woche krank geschrieben, da er an einer Grippe leiden würde! Dies Mitte Juli. Was natürlich auch durchaus der Fall sein konnte. Jedoch äußerte ein weiterer Kollege erst gar keine Zweifel an der tatsächlichen Krankheit des Kollegen, sondern meinte richtig erbost, beinahe wütend darüber,
„schon wieder so einer, der nicht geimpft ist! – Ich weiß nicht, aber solchen Leuten sollte man sofort eine Arbeitserlaubnis entziehen! Damit so etwas erst gar nicht mehr vorkommen könne. – Wahrscheinlich saß er letzte Woche auch schon krank in der Arbeit, steckte damit andere Kollegen auch noch an, bis es nicht mehr ging und er dann doch zu Hause geblieben ist!“
Er klang dabei richtig radikal und schien es zudem auch äußerst ernst damit zu nehmen, Personen, welche nicht gegen Grippe geimpft wären, eine Arbeitserlaubnis zu entziehen. Auch wenn es dies so nicht gäbe. Ihnen allerdings verbieten möchte, arbeiten zu gehen. Denn dabei könnten sie andere Kollegen mit einem Grippevirus anstecken. Wobei er allerdings sofort ergänzte, wenn es nach ihm ginge, dann gäbe es erst gar keine Möglichkeit mehr, dass Arbeitnehmer sich mit einer Grippe infizieren, da ohnedies alle geimpft sein müssten.
Nun saß ich beinahe fassungslos über diese aggressive Haltung dieses Kollegen und dessen Ansichten an meinem Arbeitsplatz und konnte beinahe nicht fassen, was ich da gerade zu hören bekam. Was mir offenbar aber auch deutlich anzumerken war. Schließlich hatte ich, ob dessen Ausführungen, nur mehr den Kopf geschüttelt und dabei wahrscheinlich auch mein Gesicht dementsprechend verzogen. Denn der Kollege hatte noch gar nicht mit seinen Ausführungen über eine Impfpflicht gegen Grippeviren und den Folgen des Entzuges einer Arbeitsbewilligung bei Nichtbefolgung zu Ende gesprochen, sprach mich ein weiterer Kollege, der direkt neben mir an diesem Besprechungstisch saß, an und meinte, ich müsste dessen Ansichten und Ausführungen verstehen, schließlich hätte er als Kunden ein großes Pharmaunternehmen in Wien, weshalb er natürlich auch dessen Interessen vertreten müsste!
Nun hatte sich, da der Geschäftsführer immer noch nicht mit seinen Ausführungen begonnen hatte, eine regelrechte Diskussion über die Notwendigkeit einer Impfpflicht gegen Grippe in der Runde entwickelt. Vor allem mit meinem Sitznachbarn hatte ich nun heftig zu diskutieren begonnen, da ich es einfach nicht fassen konnte, welche Ansichten ich gerade zu hören bekommen hatte. Wobei ich ausführte, es möge durchaus sein, dass für einzelne Krankheiten eine Impfung vorgeschrieben werden müsse, wie zum Beispiel gegen Malaria, falls jemand in ein davon betroffenes Land reisen möchte. Die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung in der Schulzeit durchaus notwendig wäre. Aber sicher keine Impfpflicht gegen Grippeviren. Denn in der Schulzeit wurde uns bereits, damals sogar aus einem aktuellen Fall, erklärt, eine Grippe könne durchaus auch für Jedermann gefährlich werden, falls diese nicht wirklich ausgeheilt werde, da diese dann andere innere Organe schädigen könnte, welche durchaus auch zum Tod führen könnte, wie es damals eben einem Schulkollegen in der Grundschule ergangen war. Zudem wäre erst vor kurzer Zeit ein Freund eines ehemaligen Arbeiters in jenem kleinen Unternehmen, welches ich mit meinem Bruder bis vor wenigen Jahren noch gemeinsam in meinem alten Heimatdorf geführt hatten, an den Folgen einer nicht restlos auskurierten Grippe, welche nach einigen Wochen, dann allerdings als Lungenentzündung, wiederkehrte, daran verstorben. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wäre zudem, als ich noch ein kleines Kind war, ein Familienvater mit zwei Söhnen, beide knapp älter als ich und mein Bruder, wegen eines Beinbruches im Krankenhaus gelegen, sich dabei allerdings nach der Operation im Krankenhaus mit einem Grippevirus infiziert, woran er letztendlich völlig überraschend dann auch gestorben war und eine Witwe hinterließ, welche seit Jahren nur mehr als Hausfrau tätig war, und danach erst einen Weg finden musste, wie sie ihre beiden Jungen durchbringen müsste. Aber deshalb wäre ich niemals auf die Idee gekommen, gegen Grippeviren für eine Impfpflicht einzutreten, oder diese zu befürworten. Eine Grippe ist eben eine Krankheit, welcher man eben mit entsprechendem Respekt begegnen müsste. Aber deshalb braucht es keine Impfpflicht. Vielleicht für Personen, welche andere damit anstecken könnten, bei denen diese danach verheerende Folgen haben könnte, aber sicher nicht für einen Durchschnittsbürger. Ebenso ging es mir mit der damals erst kurz zuvor eingeführten Impfpflicht gegen Masern. Denn diese würde eben zu den drei üblichen Kinderkrankheiten gehören, welche beinahe jedes Kind einmal durchmachen musste, wie Röteln, Mumps und eben Masern. Die, wenn man sie als typische Kinderkrankheit bekommt, auch nicht gefährlich sind. Beinahe jeder meiner Mitschüler, wie auch ich, fehlte in der Volksschule dreimal für mehrere Tage, da er eben diese Kinderkrankheiten durchmachen musste. Daher hatte ich auch dafür kein Verständnis. Nur wer eben gerade Masern als Kind nicht hatte, war auch bereits früher schon eine Impfung angeraten, da sie für Erwachsene durchaus auch gefährlich werden können. Gerade für werdende Mütter. Aber auch dies begründete für mich keine generelle Impfpflicht gegen Masern.
Als dann der Geschäftsführer endlich den Besprechungsraum betrat und mit seinen Ausführungen über die Zukunft des Unternehmens beginnen wollte, meinte unsere „Schöne“ als Abschluss der sich nun entbrannten Diskussion über eine Impfpflicht gegen Grippe, als wollte sie dem neuen Geschäftsführer, die darüber im Unternehmen herrschende Ansicht mit auf den Weg geben,
„ja, so eine Impfpflicht gegen Grippe, die hätte schon etwas!“
Wirklich etwas Neues hatte uns der Geschäftsführer bei diesem Termin nicht gerade vermitteln können. Denn es blieb, zumindest vorerst, ohnedies alles beim Alten. Jedoch könnte es durchaus auch Änderungen im Unternehmen geben, sollten sich diese als notwendig und zielführend ergeben. Ich hatte eher den Eindruck, der neue Geschäftsführer wollte mit diesem Termin die Stimmung im Unternehmen erkunden und dabei auch die Bereitschaft einiger Mitarbeiter, sich gegen deren Vorgesetzte zu positionieren. Denn wirklich gebracht hatte dieser Termin nichts.
Als ich dann am Ende dieser Vorstellung den Besprechungsraum verließ, begann die zuvor begonnene Diskussion über eine Impfpflicht gegen Grippe erneut. Wobei mein Sitznachbar, mit welchem ich mich zuvor darüber so angeregt unterhalten hatte, zu jenem, der diese Diskussion begonnen hatte, meinte,
„so aggressiv dürfen wir mit unseren Forderungen nicht mehr auftreten. Damit vertun wir es uns nur mit allen! – Schau der,“
womit ich gemeint war, da er auf meinen mittlerweile leeren Platz deutete,
„der war gleich ganz entsetzt darüber, dass Du jedem die Arbeit verbieten möchtest, der nicht geimpft ist!“
Ich hatte zuvor so etwas, eine Diskussion über eine Impfpflicht gegen Grippe, niemals für möglich gehalten.
(2021-05-28)