Wien, Mittwoch, der 21. Dezember 2005:
Nachdem ich nun in der Arbeit ohnedies nichts mehr zu tun hatte, sondern nur mehr meine Zeit abgesessen hatte, war ich über jede Abwechslung in der Arbeit froh. So wurden wir an diesem Tag am späteren Vormittag alle in das Sekretariat gerufen, denn eine Mitarbeiterin sollte verabschiedet werden.
So ging ich mit den Kollegen in das Sekretariat, hörte mir die kurze Ansprache von Christian M., unserem stellvertretenden Regionsleiter der Region Ost, an, wie er eine Mitarbeiterin des zentralen Einkaufs, einer Abteilung, welche sich zudem auch im gleichen Großraumbüro befand, gleich rechts beim Eingang, in welchem auch mein Arbeitsplatz lag, verabschiedete, ihr ein kleines Geschenk und ihr für den Ruhestand alles Gute wünschte.
Allerdings hatte ich diese Kollegin des Einkaufs zuvor noch nie gesehen. Zumindest war sie mir noch nie aufgefallen. Denn bisher hatte ich im Einkauf lediglich mit einer jungen Kollegin zu tun, welche nicht einmal direkt im Unternehmen angestellt war, sondern von einem Unternehmen welches Leihpersonal vermittelt, stammte. Ohne diese junge Kollegin lief im Zentraleinkauf nichts. Allerdings war es auch nicht möglich, ohne Zentraleinkauf eine Bestellung auszulösen. So musste man für jedes Teil, welches von einem Lieferanten zu besorgen war, eine Bestellung über den Zentraleinkauf auslösen. Hatte allerdings diese junge Kollegin frei, war krank, oder sonst gerade nicht am Arbeitsplatz, dann hatte man keine Chance Material für eine Baustelle zu bekommen. Nun stellte ich bei dieser Verabschiedung fest, dass es auch noch eine weitere Kollegin im Einkauf gegeben hätte, die mir zuvor jedoch noch nicht aufgefallen war.
Nach dieser Verabschiedung stand ich, wie meist, mit Werner N. am Rauchertisch im Treppenhaus. Doch dazu stieß auch meist diese junge Kollegin aus dem Zentraleinkauf. Denn dieser Rauchertisch war auch meist jener Ort im Betrieb, an welchem am meisten über die aktuelle Situation im Unternehmen, aber auch beim Projekt MCC, gesprochen und diskutiert wurde. Und gerade auch sie hatte mehr als genügend Gründe, ihr Leid in diesem Unternehmen an einem Platz bei Gesprächen anzubringen.
Doch nun fragte ich sie, wie es denn sein könnte, dass im Einkauf gar nichts geschehen würde, wenn sie nicht da wäre, hätte es doch noch eine weitere Kollegin im Einkauf gegeben, die ihre Aufgaben auch übernehmen hätte können. Jedoch schüttelte sie nur verzweifelt den Kopf. Denn ihre Kollegin, welche heute verabschiedet wurde, wäre längst nicht mehr im Unternehmen gewesen. Sie kam nur mehr gelegentlich und dann auch nur, wenn sie etwas vom Dienstgeber brauchte. Als ich dann fragte, wie dies denn überhaupt möglich sein könnte, wurde mir erklärt, diese Kollegin hätte dermaßen viele Überstunden angehäuft, weshalb sie sich ständig im Zeitausgleich befand. Zudem würde diese Kollegin auch gar nicht mehr ins Unternehmen kommen, sondern wäre dieser Tag tatsächlich ihr letzter Arbeitstag gewesen, da nun ihr Antrag auf Altersteilzeit genehmigt wurde, sie allerdings noch immer so viele Überstunden angehäuft hätte, sodass sie das Unternehmen für eine reguläre Arbeit nicht mehr betreten müsste, auch wenn sie bis zu ihrer regulären Pensionierung in Altersteilzeit wäre. Ganz überrascht darüber fragte ich nun nach dem Alter dieser Kollegin, denn so alt schien sie mir auch noch nicht zu sein, als stünde sie kurz vor der Pensionierung. Worauf mir erklärt wurde, diese Kollegin wäre gerade mal 54 Jahre alt!
Nun musste ich den Kopf schütteln als wir alle wieder zurück an unsere Arbeitsplätze gingen. Denn schön langsam wurde mir klar, dass es in diesem Unternehmen wohl eher um das persönliche Wohlbefinden, um das Ausnützen aller bestehenden Möglichkeiten ging, um das Arbeitsleben so angenehm wie möglich zu gestalten. Wobei die tatsächliche Arbeit deshalb von Kollegen aus externen Unternehmen erledigt werden musste. Denn ich war doch sehr verwundert darüber, wie man den Einkauf eines solchen Unternehmens auf eine einzige Mitarbeiterin, die noch dazu als Leihpersonal im Betrieb arbeitete, überlassen konnte.
Allerdings kannte ich schon aus der Zeit, als ich noch bei ABB bei INSSZ in Salzburg arbeitete, viele Erzählungen über doch sehr seltsame Erscheinungen im Zentraleinkauf in Wien, weshalb wir damals in Salzburg stets angehalten wurden, sich nicht an den Zentraleinkauf in Wien zu wenden, egal worum es gerade ging. Was allerdings auch dazu führte, dass wir damals als Projektleiter auch alle Aufgaben des Einkaufs übernehmen mussten. Und dies bereits bei einer Angebotskalkulation bei Anfragen an Lieferanten. Damals in Salzburg erzählte mir mein Chef Josef L. über den Einkauf, dieser hätte lediglich Interesse daran, mittelmäßige Rahmenverträge mit Lieferanten zu vereinbaren, jedoch mit einem sehr hohen Anteil an Skonto bei den Zahlungsbedingungen, da mit diesen Skontobeträgen das Cost Center Zentraleinkauf finanziert werde. Auf das Projekt wurde dabei jeweils nur der Nettobetrag der Rechnung auf das Projekt gebucht, weshalb ein Einkauf über den Zentraleinkauf für das Profit Center INSSZ, wofür ich arbeitete, sich negativ auf die Projekterfolge auswirkt. Allerdings verursachte dies einen extremen zusätzlichen Arbeitsaufwand in der Projektabwicklung in Salzburg, denn so mussten wir jede Bestellung, auch wenn es sich lediglich um Schrauben und dergleichen handelte, selbst schreiben und danach auch bis zur endgültigen Buchung und Bezahlung der Rechnung verfolgen und bearbeiten. Aber auch natürlich auch jede einzelne Anfrage bei Lieferanten für die Kalkulation von Angeboten selbst erstellen. Wie oft hatte ich mich in den letzten Jahren, wenn ich bei einem Vorstellungsgespräch über meine bisherigen Erfahrungen berichten musste und dabei auch anführte, auch den gesamten Einkauf bei meinen Projekten selbst erledigt zu haben, da ich dies auch in meinen Bewerbungsunterlagen anführe, anhören müssen, dies würde ich doch wohl selbst nicht glauben, all dies bei einem Projekt selbst erledigt zu haben.
Daher kam an diesem Tag regelrecht Ärger in mir darüber hoch!
(2020-12-29)