Wien, Donnerstag, der 15. Dezember 2005:
Eigentlich dachte ich mir, nun, da mein Dienstverhältnis bei MCE schon vorzeitig endet, schon Ende Jänner und nicht erst Ende Februar, wie es ohnedies in meinem Dienstvertrag stand, wäre alles vorbei und ich könnte die letzten Tage, die ich noch in Wien bin, genießen. Wobei genießen eigentlich doch sehr übertrieben ist, denn wie ich hier noch jemals etwas genießen könnte, das war mir ein Rätsel. Aber wenigstens wollte ich noch etwas von Wien erleben, ohne diesem permanenten Gerede, ob ich denn nun als Abteilungsleiter passen würde oder nicht. Denn darum ging es in erster Linie bei diesem „Gerede“. Ob ich hier Projektleiter bei diesem Projekt MCC werden würde, das hatte offenbar auch kaum jemanden interessiert. Warum auch. Schließlich hatte ich mich für die Position eines Projektleiters beworben und wäre auch dafür eingestellt worden. Wäre da nicht wieder dieses dämliche „Spielchen“ dieser Verrückten gewesen.
Nachdem ich nun in der Arbeit ohnedies nichts mehr zu tun hatte, war es für mich auch nicht mehr nötig, länger als unbedingt erforderlich in der Arbeit zu bleiben. Daher endete nun mein Arbeitstag meist schon deutlich früher als noch bis Ende November. Daher wollte ich an diesem Abend nicht einfach noch in die Innenstadt fahren, mir dort ein paar kleine Biere genehmigen, sondern erst einmal etwas essen und dann noch ein Lokal aufsuchen. Allerdings nun ein anderes. Denn wozu sollte ich mir nun dies immer noch antun, mich in einem Lokal an die Bar zu stellen und mich umzusehen, was sich in diesem Lokal bezüglich meiner Anwesenheit abspielt und dabei zu lauschen, wie die mit meiner Arbeit zusammenhängt. Schließlich, so war ich der Meinung, war nun ohnedies alles erledigt.
Daher für ich in die Innenstadt und besuchte erst einmal ein Lokal in der Goldschmiedgasse namens „Sparky`s“. Denn dieses Lokal kannte ich auch bereits. Allerdings noch aus einer Zeit, in der ich für dieses Ingenieurbüro in Salzburg gearbeitet hatte, bevor ich zu VA Tech kam. Damals hatte ich in Wien einen Termin für eine Anlagenüberprüfung in einer Privatklinik in Döbling und, da dieser Termin bereits am frühen Morgen begonnen hatte, durfte, oder vielmehr musste ich in der kleinen Wohnung meines damaligen Chefs in der Goldschmiedgasse übernachten. Wobei ich damals am Vorabend, als ich in Wien angekommen war, dort zu Abend gegessen hatte.
Also ging ich an diesem Abend in dieses Lokal, aß dort eine Kleinigkeit und als ich mir nach dem Essen noch ein weiteres Getränk bestellte, fragte ich den Kellner, wo man denn in Wien abends noch ausgehen könnte. Selbst hatte ich davon nun überhaupt keine Ahnung. War ich doch zuvor, vor meiner Dienstzeit bei MCE, nur ein paar Male in Wien und danach fragen, das wollte ich nun auch nicht mehr. Daher fragte ich eben diesen Kellner. Worauf mich dieser zuerst noch einmal etwas musterte und mir dann ein Lokal, angeblich nur unweit von hier, nannte – „Den Roten Engel“. Dies wäre ein Lokal für mich, wie er meinte.
Kaum das Lokal verlassen, begab ich mich auf die Suche nach diesem Lokal. Folgte genau den Anweisungen des Kellners, fand es jedoch nicht. Gott sei Dank muss ich heute sagen. Denn, wie mir später erklärt worden war, soll dies ein Lokal sein – ich kenne es nach wie vor nicht – in welchem vornehmlich politisch links orientierte Gäste verkehren. Und dies wäre nicht gerade meine Umgebung gewesen, welche ich gesucht hätte. Daher hätte es durchaus der Fall sein können, dass ich dann allerdings in einem der umliegenden Lokale eingekehrt wäre und dies danach des Öfteren besucht hätte. Wobei ich mir zwar von diesem sogenannten „Bermuda Dreieck“ fernhalten wollte.
Gut eine Woche nach dem Attentat in der Wiener Innenstadt vom 2. November 2020 lief ich durch die Seitenstettengasse. Nicht als Schaulustiger, sondern weil ich mich dort an den Orten des Geschehens umsehen wollte. Hatte ich doch in Erinnerung, dass gerade in der Seitenstettengasse an beinahe jeder Hausecke eine Überwachungskamera montiert ist und ich daher der Meinung bin, beinahe das gesamte Attentat müsste von diesen Videoüberwachungskameras aufgenommen worden sein. Einige der Bilder davon waren auch am 2. November im Fernsehen zu sehen. So lief ich durch die Seitenstettengasse, aber auch die angrenzenden Gassen entlang und sah mich dort um, bis ich plötzlich vor einem Haus stand, an welchem ganz groß „Der Rote Engel“ stand. Nur wenige Meter vom Ausgang dieses Attentats entfernt am Rabensteig, gleich um die Ecke der Seitenstetengasse. Ich dachte mir, ich sehe nicht recht. Fünfzehn Jahre später finde ich dieses Lokal und bin richtig froh darüber, es damals nicht gefunden zu haben, denn sonst hätte es leicht der Fall sein können, dass ich, wäre ich am 2. November abends in Wien gewesen, auch in einem der umliegenden Lokale gewesen wäre.
Nachdem ich dieses Lokal vergebens gesucht hatte, ich allerdings an diesem Abend doch noch ein Bier wollte, allerdings nicht einfach in irgendein Lokal gehen wollte, besuchte ich, nach einem kleinen Rundgang durch die Innenstadt doch dieses „1516“. Denn ich hatte die Vermutung, dieser Kellner wollte ich einfach auf den Arm nehmen. Daher dachte ich mir, dann ist dies ohnedies schon egal.
Kaum betrat ich dieses Lokal, war es, wie ich es vermutet hatte. Es war – dieses „Theater“ – wirklich vorbei. Und zwar sogar so vorbei, dass ich dort völlig ignoriert worden war. Nach dem Motto, was will denn der noch da, die Sache ist erledigt.
Dies hatte mir wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist, nicht auf diese „Spielchen“ einzugehen. Denn dann würde ich nun ordentlich dumm und am Boden zerstört dastehen. Eine einzige Mail dieses Alois’ H. bedurfte es und ich war überall völlig unten durch. Daher blieb ich auch nicht besonders lange, da ich selbst der Meinung war, dieses Lokal werde ich wohl nicht mehr sehr häufig besuchen.
Eines fand ich zudem damals besonders interessant. Da mich dieser Kellern in diesem „Sparky`s“ in ein offenbar politisch links orientiertes Lokal geschickt hätte. Denn war es in der Zeit bei VA Tech so, dass man mich stets von einer politisch extremen Ecke in die andere drängen wollte, die Ansichten, ob ich nun ein extrem linker oder gar ein Nazi sein sollte, wechselten dabei in Spitzenzeiten dreimal am Tag. So galt ich seit der Zeit, als ich bei MCE zu arbeiten begonnen hatte, vielfach als Nazi. Worüber ich mich damals noch köstlich amüsierte.
(2020-12-26)