Unterach, Samstag, der 3. Dezember 2005:
Eigentlich völlig zufällig fuhr ich an diesem Abend in mein altes Heimatdorf, um dort bei meinem ehemaligen Nachbarn, wobei eigentlich war er zu diesem Zeitpunkt noch mein Nachbar, der Nachbar meines Elternhauses, in dessen Lokal zu gehen. Ich hatte nicht wirklich etwas vorgehabt. Sondern wollte einfach nur wieder einmal in mein ehemaliges Heimatdorf fahren. Denn mittlerweile war das erste Adventwochenende gekommen und dies ist seit dem Ende des Sommers das erste Wochenende, in welchem in diesem Dorf halbwegs etwas los sein könnte. Gerade im November ist dies sonst einfach nur trostlos.
Andere Lokale habe ich seitdem, was sich in den Sommermonaten abgespielt hatte, ohnedies längst gemieden. Daher blieb mein Nachbar als einzige Möglichkeit übrig, in diesem Dorf irgendwo abends hinzugehen. Anfangs stand ich um ab halb acht Uhr abends beinahe alleine an der Bar des Lokals meines Nachbarn. Aber dies hatte mich nicht weiter gewundert, wenngleich doch auch etwas enttäuscht. Ist das erste Adventwochenende doch auch meist ein Wochenende, an welchen viele der Zweitwohnungsbesitzer in diesem Dorf in ihre Wohnungen im Dorf fahren. Gehen diese dann auch abends noch fort, dann hebt dies nicht nur die Anzahl der Gäste, sondern es hebt auch deutlich das Niveau der Gäste in den Lokalen. So was dies zumindest in früheren Jahren. Ich hatte dies gerade in der Zeit, als ich noch in diesem Dorf wohnte, regelrecht genossen. Doch auch dabei schien sich mittlerweile vieles geändert zu haben.
So stand ich da eben beinahe alleine an der Bar meines Nachbarn. Beinahe unbemerkt von anderen Gästen. Doch gegen acht, halb neun Uhr füllte sich plötzlich das Lokal. Als wären auf ein Kommando die Dorfbewohner ausgeschwärmt, um dieses Lokal zu besuchen. Abe es war eben das erste Adventwochenende und an diesem Samstagabend fand nicht nur ein Gottesdienst in der Kirche statt, sondern danach auch noch ein kleiner Adventmarkt. Und offensichtlich kamen all die Dorfbewohner, welche nun in das Lokal strömten, von eben diesem Adventmarkt. Zweitwohnungsbesitzer, welche ich eigentlich beinahe gehofft hatte, an diesem Abend in diesem Lokal anzutreffen, befanden sich allerdings auch keine darunter.
Was mich allerdings nun richtig Verwunderte war, ich hatte mich nicht umsonst seit Sommer dieses Jahres aus diesem Dorf ferngehalten und andere Lokale in diesem Dorf erst gar nicht mehr besucht. Denn die abfällige Art, mit welcher ich seit Beginn des Sommers in diesem Dorf behandelt wurde, wollte ich nicht länger ertragen müssen. Dies war für mich einfach nicht mehr zu ertragen. Doch nun an diesem Abend war die wieder ganz anders. Es war beinahe so, als würden mir meine ehemaligen Mitbürger in diesem Dorf plötzlich wieder so etwas wie Respekt entgegenbringen. Als hätten sie gar etwas an Achtung für mich übrig.
Als dann auch noch die Familie meiner Nachbarn von der anderen Seite, die Betreiber des Supermarktes im Dorf, das Lokal betraten, meinte der Senior Chef, einst etwas wie ein guter Freund meines Vaters, gar,
„der hat`s g‘schafft!“
Wobei er mich allerdings nicht einmal eines Grußes für würdig erachtete. Und an den Gesprächen an deren Tischen, welche ich wegen dieser Bemerkung, als er an mir vorbeigegangen war, mitverfolgt hatte, erzählte er auch, dass ich eben nun in Wien arbeiten würde und es dort tatsächlich geschafft haben soll, nicht nur in diesem Unternehmen Fuß zu fassen, sondern mich dort auch durchgesetzt zu haben. Daher, es musste bestens bekannt gewesen sein, wo ich nun arbeite und wie es mir dort bei meiner Arbeit ergehen würde. Dabei hatte ich dies, ausgenommen meinem Bruder, niemanden erzählt. Denn dies ging auch gar nicht. Hatte ich doch überhaupt keinen Kontakt mehr zu irgendjemanden anderen in diesem Dorf. Erschien ich dort irgendwo, dann wurde ich einfach nur mehr ignoriert. Als wäre ich ein störendes Objekt, welches allerdings ohnedies nicht mehr lange hier sein würde, da es entsorgt werden würde. Nun plötzlich war die gänzlich anders. Es war beinahe so, als hätte man hier in diesem Dorf alles, was ich in den letzten Wochen, aber gerade in den Tagen zuvor, in der Arbeiterlebt hatte, bis ins Detail mitverfolgt.
Mittlerweile hatte es mich aber doch immer mehr bewegt, wie denn dafür die Verbindungen aussehen könnten, dass gerade mein anderer Nachbar derart im Detail darüber bescheid wissen konnte. Von meinem Bruder konnte dies einfach nicht kommen. Denn auch dieser erschien mit seiner Lebensgefährtin, oder wie auch immer man Claudia Z. an seiner Seite bezeichnen sollte, etwas später auch noch in diesem Lokal, und gerade er wusste überhaupt nicht, wie er mit mir nun umgehen sollte. Was mich bei ihm erst recht besonders verwunderte. Gerade sie war regelrecht entsetzt über mich und meine Gegenwart an diesem Abend in diesem Lokal und sie meinte, als beide das Lokal sehr rasch wieder verlassen hatte, zu meinem Bruder,
„jetzt waren wir erst einmal ab, wie das weitergeht mit ihm!“
Irgendwie musste es also Verbindungen von diesem Dorf zu meinem derzeitigen Arbeitgeber geben. Wobei ich keinerlei direkte Verbindungen entdecken konnte. Also musste dies über mehrere, wahrscheinlich über viele Ecken stattfinden. Wie auch immer. An diesem Abend war ich darüber mehr als verwundert.
(2020-12-22)