Wien, Freitag, der 18. November 2005:
Kurz nach Mittag wollte ich schon zusammenräumen und mich auf den Heimweg nach Salzburg begeben. Da rief mich plötzlich Niko R., der stellvertretende Projektleiter bei MCC an und meinte er hätte noch dringend etwas mit mir zu besprechen. Doch, als ich zu ihm in sein Büro kam, schien dies gar nicht so dringend und wichtig zu sein, denn Niko R., von dem kaum jemand wusste – ich zumindest überhaupt nicht – worin seine Tätigkeit den ganzen langen Arbeitstag liegt, war mehr als entspannt. Zudem ging es um nichts anderes, als dass wir bei der Fertigstellung der Pläne für MCC auch die Schwachstrompläne, welche in seiner Verantwortung liegen, auch mitberücksichtigen sollten. Was ich eigentlich als selbstverständlich angesehen hätte. Aber er musste nun unbedingt noch einmal mit mir darüber reden und rief mich deshalb extra in sein Büro.
Doch als ich dann bei ihm im Büro war, begann er auch noch mit mir über allgemeine Angelegenheiten zu sprechen. Dazu bar er mich, beim ihm Platz zu nehmen. Bot mir ein Glas Cherry, aus einer Flasche, welche nicht extra angeschafft oder mitgebracht worden war, sondern sich in seinem Schrank hinter seinem Arbeitsplatz ständig befunden hatte und wahrscheinlich regelmäßig erneuert worden war, an und begann mit mir zu plaudern. Nicht dass er mir nun darüber berichten wollte, wie toll denn hier alles sei, sondern dass er diese Position, welcher er nun hier in dieser Abteilung hatte, nur als Zwischenhalt in seiner beruflichen Karriere ansehen würde, welche er möglichst schnell auch wieder verlassen möchte, denn hier würde er für sich in dieser Umgebung keine Zukunft sehen. Deshalb möchte er sich auch mit den Unternehmen, welche für ihn die Planung der einzelnen Anlagen übernommen hatten und ihm die Pläne zur Verfügung gestellt hatten, welche dann nur noch in die offiziellen Pläne des Unternehmens übernommen werden mussten, gut stellen, damit er, sobald es hier zu Ende gehen würde, auch schnell wieder einen neunen Arbeitsplatz in einer dieser Unternehmen finden würde. Und dies sei ihm bisher auch gut gelungen, wie er meinte.
Schön langsam wurde ich etwas ungeduldig, weil ich längst am Weg nach Hause nach Salzburg sein wollte. Doch er goss mir noch ein Gals ein und begann weiter zu erzählen. Wobei er mir erklärte, nun auch hier in Wien zu wohnen, jedoch selbst aus dem Bezirk Neunkirchen zu stammen und dorthin auch wieder zurückkehren zu wollen. Wobei ich ihm alles Gute dafür wünschen wollte. Aber dies schien er mir nur deshalb zu erzählen, weil er entsprechende Andeutungen darüber fallen lassen wollte, dass er wisse, weshalb ich nun hier in Wien arbeite und auch hierher übersiedeln möchte. Wobei er dabei allerdings nicht mit zynischen Bemerkungen sparte, als wüsste er ganz genau, worin die Ursache meines Dilemmas liege. Was mich zwar nicht unbedingt überraschte, denn dazu gab es schon viel zu viele Anzeichen dafür, dass dies hier bekannt sein müsste, ohne dass ich darüber selbst etwas erzählen musste. Mit Werner N., unserem Angestelltenbetriebsrat und Moderator bei MCC, hatte ich doch schon unzählige Male am Rauchertisch im Stiegenhaus ähnliche Gespräche gehabt. Doch was mich an Niko R. so richtig ärgerte war, seine abfällige Art im Umgang mit mir. Wobei er so tat, als hätte ihm so etwas nie passieren können und ich daran offensichtlich selbst schuld sein müsste.
Bis zum späteren Nachmittag saß ich bei ihm in seinem Büro. Wobei ich nicht verstehen konnte, was er eigentlich von mir wollte. Allerdings begann ich irgendwann die Unterhaltung mit ihm selbst zu genießen, da ich dabei Zusammenhänge erkennen konnte, welche ich nicht uninteressant fand. Die meisten Kollegen waren längst ins Wochenende verschwunden, als ich dann selbst endlich losfahren konnte. Schlau wurde ich jedenfalls aus ihm nicht. Denn mehr als dass es ihm hier besonders gut gehen würde, er sich hier keinesfalls ein Bein bei der Arbeit ausreißen würde, er, durchaus erkennbar, hier unter Alois H. sehr viele Privilegien genießen würde, allerdings anscheinend nur darauf warten würde, dieses Unternehmen zu verlassen, blieb bei mir von diesem Gespräch nicht hängen. Auch wenn dabei einige Zusammenhänge erkennbar waren, welche ich allerdings ohnedies auch schon von anderen Kollegen erfahren hatte.
Daher war dies für mich nicht mehr als ein Gespräch, welches für mich nichts anderes als Zeitverschwendung und eine der unzähligen Besprechungen darstellte, welche man sich durchaus sparen konnte, war. Denn als ich deshalb in Wien von der Arbeit nach Hause, nach Salzburg fahren wollte, wollte ich eigentlich längst zu Hause sein. Doch am folgenden Montag, nach wieder einmal einer der unzähligen internen Projektbesprechungen, fragte Alois H. Niko R,
„und haben Sie ihn auch richtig eingeführt?“
Worauf Niko R. ganz stolz meinte,
„ja! Beinahe den ganzen Nachmittag sind wir am Freitag in meinem Büro gesessen – haben dabei auch ein, zwei Gals Cherry getrunken …“
Worin er auch immer mich dabei „einführen“ wollte, ich wollte damit nichts zu tun haben. Mir hatte dies nur meine mittlerweile ohnedies geringe Freizeit gekostet.
(2021-01-04)