Wien, Mittwoch, der 30. November 2005:
In den letzten Tagen kam ich immer schon etwas früher in die Arbeit als gewöhnlich, denn hatte ich noch eine Menge zu tun. Schließlich war für Freitag der letzte Termin vereinbart worden, bei dem wir die Planung für die elektrotechnischen Anlagen beim Projekt MCC zur Prüfung und Freigabe abgeben sollten, ohne dass es Konsequenzen seitens des Auftraggebers geben würde. Sollten wir diesen Termin wieder nicht einhalten, dann drohte der Auftraggeber nun endgültig mit der Entziehung des Auftrages, beziehungsweise einer Ersatzvornahme.
Abends wollte ich deshalb nun auch nicht unbedingt besonders lange arbeiten, daher kam ich nun meist schon kurz nach sieben Uhr am Morgen in die Arbeit. Jedoch darf man deshalb nicht annehmen, ich wäre einer der ersten in der Arbeit gewesen. Nein. Ganz im Gegenteil. Um diese Zeit waren längst beinahe alle der Kollegen im Büro. Einmal kam ich bereits um viertel vor sieben in die Arbeit. Auch da war ich der letzte in der Abteilung. Allerdings lichteten sich dann nachmittags ab 14:30 Uhr, sobald die Kernzeit der Gleitzeitregelung zu Ende war, die Reihen im Büro sehr schnell. Wobei, der Parkplatz am Firmengelände füllte sich meist erst später. Offensichtlich kamen die meisten der Kollegen ohnedies mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies schien noch ein Überbleibsel aus der Zeit, als dieses Unternehmen noch zu ABB gehörte, zu sein. Denn dort mussten die Mitarbeiter in der Zentrale am Wienerberg für einen Parkplatz in der Tiefgarage bezahlen – und dies wollte nun wirklich niemand. Zudem hatte auch nicht jeder eine Parkberechtigung, um im Firmengelände zu parken. Auch ich nicht.
Alois H. war allerdings einer jener, die meist erst etwas später, meist sogar nach mir, wenn ich zuvor gegen acht Uhr in die Arbeit kam, im Büro erschien. Doch an diesem Morgen, als ich kurz nach sieben Uhr durch das Einfahrtstor das Firmengelände betrat, lief es mir eiskalt über den Rücken. Denn das Auto von Alois H. stand beinahe als einziges Auto schon am Parkplatz. Noch dazu direkt vor dem Eingang in das Bürogebäude. Wobei ich immer wieder innerlich lachen musste, wenn ich sein Auto, diesen schon etwas älteren silbergrauen Mercedes 190, mit rundherum schwarz getönten Scheiben, noch dazu tiefergelegt und mit extra breiten Reifen an den Felgen sah. Denn es fehlte einfach nur mehr der Fuchsschwanz an der Antenne, dann war ein Auto, welches perfekt zum Typ von Alois H. passte, fertig. Allerdings hatte das Auto keine Antenne, daher fehlte der Fuchsschwanz. Wobei ich allerdings glaube, es lag nur an der fehlenden Antenne. In seinen jungen Jahren war Alois H. sicher mit einem Opel Manta unterwegs. Jedoch meinte dazu mein Kollege, Oliver K., als wir uns wieder einmal darüber amüsierten, bei ihm wäre es wohl nur ein C-Kadett gewesen. Beinahe das gesamte Büro witzelte über das Auto von Alois H.
Genau zwei Wochen zuvor war dies allerdings auch schon so. Auch damals stand das Auto von Alois H. einsam und verlassen am Firmenparkplatz, als ich am Morgen in die Arbeit kam. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass er noch spät am Abend ins Büro gekommen war und dann die ganze Nacht über an seinem Schreibtisch verbrachte. Wobei sich allerdings niemand erklären konnte, was er dort die ganze Nacht über getan hatte. Zwar hatte man als Projektleiter in diesem Unternehmen auch eine Menge mit dem Berichtswesen an die nächsthöhere Position zu tun. Aber weshalb er dafür die ganze Nacht im Büro verbrachte, dafür hatte niemand eine Erklärung.
Allerdings stand es mittlerweile äußerst schlecht um dieses Projekt. Daher befürchtete ich schon, als ich an diesem Morgen als ich das Bürogebäude betreten hatte, am Arbeitsplatz würde mich etwas Schreckliches erwarten. Vielleicht sogar, dass jemand aus einer der oberen Verantwortungsebenen bei diesem Projekt die Notbremse gezogen hätte und vielleicht sogar froh darüber wäre, wenn dem Unternehmen der Auftrag für MCC entzogen werden würde und das Projekt in Form einer Ersatzvornahme weitergeführt werden würde. – Für das Unternehmen wäre es mit Sicherheit besser gewesen! Aber dem war dann, Gott sei Dank, nicht so. Schließlich hätte auch dies wieder bedeuten können, dass mein Vertrag somit mit sofortiger Wirkung beendet sein könnte.
Somit blieb es an diesem Tag bei einem weitgehend gewöhnlichen Tag. Auch wenn es wieder äußerst viele Gerüchte um die nächtliche Anwesenheit von Alois H. im Büro gab. Wobei allerdings nicht nur ich der Überzeugung war, er wollte einfach nur den Eindruck erwecken, als würde er sich für seine Abteilung, für dieses Projekt sogar die ganze Nacht im Büro um die Ohren schlagen.
Doch am späteren Nachmittag wurde es regelrecht bedächtig im Büro. Denn an diesem Tag fand die regelmäßige Führungskreissitzung aller leitenden Mitarbeiter aus ganz Österreich in Wien statt. Diesmal sollte es um die zu erwartenden Jahresergebnisse der einzelnen Abteilungen und Regionen gehen. Früher würde diese Besprechung als Profit Center Leiter Sitzung bezeichnet und fand zu jedem Quartal, sowie zusätzlich einmal am Beginn und einmal am Ende des Jahre statt. Zeitweise herrschte aber auch regelrecht Aufregung im Büro deshalb – auch mich betreffend. Denn dabei nahm natürlich auch der Leiter der Region Mitte aus Linz Klaus St., teil, welcher mein erster Chef in meiner Berufslaufbahn war, als ich noch in meinen letzten Ferien in der Zeit meiner Schulausbildung an der HTL in Salzburg dort mein Praktikum absolvierte, welchen ich zudem äußerst schätzte und ihn stets als jenen bezeichnete, wie eben ein Chef sein sollte. Und dies war auch bekannt, dass ich ihn gut kannte und auch schätzte – ich zudem bei ihm offensichtlich auch keinesfalls einen negativen Eindruck hinterlassen hatte. Daher meinte unsere Abteilungssekretärin Andrea S. gegen halb sieben Uhr am Abend sogar, ich sollte doch auch zu denen dazustoßen, da diese um diese Zeit ohnedies bereits in der Kantine zusammensaßen. Allerdings fand dich dies doch mehr als unpassend, nach all dem, was ich bisher hier in Wien erlebt hatte.
(2020-12-22)