Salzburg, Sonntag, der 30. Oktober 2005:
Nach den letzten Tagen und vor allem seit Freitag hatte ich genug von meinem neuen Arbeitsplatz bei dieser MCE in Wien. Son konnte es einfach nicht mehr weitergehen. Mein Vertrag würde ohnedies Ende Februar auslaufen und ich hatte, auch wenn mir immer wieder versichert wurde, meine Tätigkeit bei MCE würde auf jeden Fall nach Ende Februar nächsten Jahres weitergehen. Keinen Glauben mehr daran. Und weshalb sollte ich mich nun bei diesem Projekt MCC aufreiben, die Planung der Starkstromanlagen erstellen, dies unter beinahe nicht mehr ertragbaren Umständen, wenn ich danach ohnedies wieder meinen Arbeitsplatz verlieren würde. Denn innerhalb der Belegschaft wurde schon sehr häufig darüber gesprochen, dass, falls dieses Projekt negativ verlaufen wurde, nicht einmal wirtschaftlich ausgeglichen abschließen würde, dies auch sehr große Konsequenzen für das gesamte Unternehmen haben. Schließlich handelte es sich dabei mit einem Auftragswert von 4,8 Mio. Euro, alleine im Bereich der Elektrotechnik, nicht gerade um ein kleines Projekt.
Beinahe schon täglich gab es nun interne Besprechungen, welche vielmehr Krisengespräche waren, wie der Karren wieder aus dem Dreck gezogen werden könnte. Dabei schien dies gar nicht einmal so schwierig, denn woran das Problem lag, das war eigentlich ohnedies jedem klar. Es lag an der mangelnden Kommunikationsbereitschaft des Projektleiters Alois H. Doch niemand wollte deshalb endlich Konsequenzen fordern.
Mittlerweile wusste ich auch wieder, woher ich den Namen Alois H. kannte. Er war Mitarbeiter in der Exportabteilung, in jener Zeit, als ich selbst noch bei ABB arbeitete. Diese Exportabteilung wurde 1994, nach einem äußerst verlustreichen Projekt in Moskau binnen weniger Tage aufgelöst. Nicht deshalb, weil der Verlust derart groß gewesen wäre. Dabei handelte es sich, soviel ich noch in Erinnerung habe, um gerade mal gut 4 Mio. Schilling. Dies klingt vielleicht etwas seltsam, aber im Vergleich dazu was ich mittlerweile schon alles erlebt habe, war die nur eine Kleinigkeit.
Doch Alois H. war zwar damals in dieser Exportableitung, INSZ4 wurde diese damals bezeichnet, jedoch nicht in dieses Projekt involviert. Er war vielmehr eine Art Außendienstmitarbeiter, ein Akquisiteur, für Wasseraufbereitungsanlagen in Nordafrika. Dort vornehmlich in Libyen und im Sudan tätig. Wobei dies mehr einem Dauer Urlaubsaufenthalt für Alois H. glich. Denn dabei hatte er nicht mehr zu tun, als regelmäßig Bestellungen für Wasseraufbereitungsanlagen, welche meist staatlich finanziert wurden, nach Wien in die Zentrale zu senden. Die restliche Zeit, so sprach man über ihn, sonnte er sich in der nordafrikanischen Sonne und ließ sich, so wurde ebenfalls wörtlich in der Belegschaft gesprochen, von Bimbos mit Palmblättern Frischluft zu wedeln, um dabei auch für Abkühlung zu sorgen. Dies alles allerdings mit einem äußerst üppigem Gehalt. – Bitte, ich gebe lediglich wieder, wie innerhalb der Belegschaft gesprochen wurde.
Als nun diese Exportabteilung im Herbst 1994 binnen drei Tagen aufgelöst wurde, musste nun auch Alois H. von seinem Auslandseinsatz ebenfalls zurück nach Wien in die Zentrale kommen. Doch ihm selbst konnte man nichts zur Last legen. Gerade ihm, den viele damals bereits gerne aus dem Betrieb hinaus haben wollten. So blieb nichts anderes übrig, als ihn weiter zu beschäftigen. Jedoch nicht mehr im Projektgeschäft, dies wollte man schon damals nicht, sondern er wurde in die kaufmännische Projektabwicklung versetzt. Dort könnte er nichts anstellen, wie es hieß.
In dieser kaufmännischen Projektabwicklung blieb Alois H. auch tätig, bis er sich zu Beginn des Jahres als Abteilungsleiter für die Abteilung Industrie zur Verfügung stellte, wie es hieß, da es, nach beinahe jährlichem Wechsel in der Funktion des Abteilungsleiters niemanden mehr gab, welcher sich, Alois H. ausgenommen, für diese Position mehr zur Verfügung stellen wollte. Nun, so schien es, fühlte er sich beinahe unangreifbar, da es ohnedies keine weiteren Kandidaten mehr als Ersatz für ich in dieser Position geben sollte.
Doch nun seit September war ich in diesem Unternehmen. Und es dauerte nicht lange, war auch ich schnell im Gespräch, Alois H. als Projektleiter in diesem Projekt MCC abzulösen, da es mit ihm einfach nicht funktionierte. Aber eben nicht nur dies, denn ich kam auch sehr schnell ins Gespräch, Alois H. auch als Abteilungsleiter in der Abteilung Industrie abzulösen. Was ihm natürlich gar nicht gefiel. Aber auch wenn ich stets betonte, für eine leitende Position, insbesondere jener des Abteilungsleiters in der Industrie, nicht zur Verfügung zu stehen, half dies nichts mein Verhältnis und damit meine ganze Stellung innerhalb des Betriebes, des Standortes Wien, zu verbessern. Auch nicht als ich Alois H. doch darauf drängte, vieles von seiner Funktion als Projektleiter an die einzelnen Mitarbeiter im Projekt abzugeben, die Leute einfach arbeiten zu lassen, und sich selbst nur mehr über den aktuellen Stand informieren zu lassen. Er empfand dies einfach stets als Angriff auf seine Person und mich in seiner Gegenwart, im Unternehmen, als einen möglichen Konkurrenten, welchen es auszuschalten galt.
Daher überlegte ich schon das ganze Wochenende, was ich denn nun unternehmen sollte, denn für mich konnte es so einfach in diesem Unternehmen nicht weitergehen. Warum sollte ich jeden Montag früh nach Wien in die Arbeit fahren, nur damit ich mir das Arbeiten überhaupt leisten konnte, um dann gerade wegen meiner Arbeit wieder aus dem Unternehmen hinausbefördert zu werden – oder ganz einfach mein vertrag nicht verlängert werden. Der Sinn meiner ganzen Tätigkeit bei MCE erschloss sich mir mittlerweile überhaupt nicht mehr. Denn je mehr ich mich für das Projekt einsetzte, umso größer wurde der Widerstand meines direkten Vorgesetzten gegen mich. Umso größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ich spätestens Ende Februar nächsten Jahres mir ohnedies wieder eine neue Arbeit suchen müsste. Hätte ich mich jedoch bei meiner Arbeit, bei meiner Leistungsbereitschaft für das Projekt zurückgehalten, dann wäre ich wegen Unbrauchbarkeit genauso schnell weg gewesen. Egal was auch immer ich getan hätte, ich hätte keine Zukunft in diesem Unternehmen gesehen.
Daher kam ich zum Entschluss, hier muss endlich eine Entscheidung getroffen werden. Und wenn innerhalb des Standortes Wien niemand eine Entscheidung treffen will, dann muss dies eben in der nächsthöheren Ebene fallen. Daher beschloss ich eine Mail an einen der Geschäftsführer, Dietrich F., zu verfassen. Auch wenn dies etwas darstellt, was man, zumindest nach meiner Überzeugung, überhaupt nicht tut, ich sah keine andere Möglichkeit mehr. In dieser Mail schilderte ich ihm die gesamte Situation im Projekt MCC, sowie dass es aus meiner Sicht zu befürchten ist, dass dieses Projekt einen sehr hohen Verlust zu verzeichnen haben wird, wenn sich nicht in der Projektleitung eine Änderung ergäbe, um das Steuer noch herumreißen zu können. Die permanenten Diskussionen darüber brächten nichts, sondern würden dies noch weiter verschlimmern, weshalb es endlich an der Zeit wäre, hier eine Entscheidung zu treffen. Alois H. könnte ja weiter Abteilungsleiter bleiben, aber er sollte doch wenigsten bei solch einem für das gesamte Unternehmen wichtigen Projekt die Projektleitung abgeben, damit in diesem Projekt wieder konstruktiv und produktiv gearbeitet werden könnte. Dafür würde ich auch gerne zur Verfügung stehen. Allerdings hätte ich keinesfalls Ambitionen Alois H. auch in der Funktion als Abteilungsleiter abzulösen.
Mein E-Mail-Account aus dieser Zeit existiert leider nicht mehr. Aber ich habe, so viel ich mich erinnern kann, diese Mail extra ausgedruckt, um sie mir als Erinnerung aufzubewahren. Jedoch nach dreimaligen Umzug scheint sie sehr gut versteckt zu sein. Finde ich sie jedoch, dann werde ich diese auch sofort auf meine Seite hochladen. Denn ich finde, sie war auch gut und sachlich formuliert. Weshalb ich sie nicht verheimlichen müsste.
Über die mögliche Konsequenz meines Vorgehens war ich mir dabei vollends bewusst, denn für mich konnte es so einfach nicht mehr weitergehen. Auch wenn ich mich dabei mehr als unwohl fühlte. Mir ging es dabei regelrecht schlecht. Denn ich setzte nicht nur meinen Job aufs Spiel, sondern ich wusste, ich habe etwas am Hals, wenn ich auch nicht wusste, was dies sein könnte. Nicht nur Alois H., welchen ich dabei am wenigsten fürchtete, oder sonstige einzelne Personen, sondern etwas, das sich mir gegenüber als eine Art von Parallelgesellschaft zeigte, welche jede sich bietende Gelegenheit nützt, mir Schaden zuzufügen, in meiner Umgebung, in meinem Leben beinahe alles ausforscht, um mir alles zu ruinieren.
Das wirklich Schreckliche an dieser „Parallelgesellschaft“ ist, dabei hat man es mit Leuten zu tun, mit denen man selbst über die Probleme, welche sich daraus ergeben, regelrecht kollegial, fast freundschaftlich, ja sogar beinahe kumpelhaft sprechen kann. Denn ich weiß nicht, wie oft ich zum Beispiel mit Werner N. am Rauchertisch im Stiegenhaus gestanden bin, er mich selbst immer wieder dazu aufforderte, mit zum Rauchertisch zu gehen, und wir dann dort über beinahe alles, was mich damals im Zusammenhang damit beschäftigt hat, nicht nur die Situation beim Projekt MCC, nicht nur die allgemeine Situation im Betrieb, sondern darüber, was ich zuvor bei VA Tech erlebt hatte, sonst in Salzburg erlebt hatte, weshalb ich überhaupt aus Salzburg, aus meiner alten Heimat weggegangen bin, unterhalten habe. Und dann, beachtet man solch Personen auch dann, wenn sie nicht unbedingt damit rechnen, dass man ihnen zuhört, dann erfährt man plötzlich, wie solche, beinahe kumpelhafte Personen, mit Personen, welche man eindeutig als Gegner hat, gemeinsame Sache machen, wie dies am Freitag der abgelaufenen Woche der Fall war.
Aber nicht nur das. Dabei ergeben sich plötzlich Verbindungen, welche man überhaupt nicht für möglich gehalten hätte. Wie meine Erlebnisse in diesem Restaurant nahe meiner Pension in Oberlaa, in welcher in nun mein kleines Zimmer die Woche über hatte. Oder auch jenes Erlebnis, mit dieser koreanischen Kellnerin in der Wiener Innenstadt, in welches ich Anfang Oktober rein zufällig hineingestolpert bin.
Auch wenn man solche Erlebnisse zuvor für einfach nur idiotisch hielt. Plötzlich ergeben auch diese einen Sinn. Denn nur angenommen, es hätte tatsächlich jemand die Idee gehabt, mich in dieses Unternehmen hineinzubringen, weil es dort ein Projekt gibt, welches unter der Führung des bestehenden Projektleiters völlig daneben läuft und somit eine Gefahr für das gesamte Unternehmen darstellt. Jemand darauf hoffte, ich könnte den Verlauf dieses Projekt noch herumreißen, damit dies nicht doch zum Desaster für dieses Unternehmen wird. Deshalb vielleicht auch Alois H. gar keine Andere Wahl hatte, als mich, gegen seinen eigentlichen Willen, mich in dieses Unternehmen als sein Mitarbeiter aufzunehmen. Aber vielleicht auch gar jemand daran dachte, ich könnte in diesem Unternehmen vielleicht auch gar die Abteilungsleitung in dieser Abteilung übernehmen, dann ergibt es mehr als einen Sinn, wenn man mich mit solch eigentlich idiotischen Erlebnissen zu diskreditieren und mich für die vorgesehene Aufgabe zu disqualifizieren! Und wenn man sich damit nicht beschäftig, dann hat man überhaupt keine Chance draufzukommen, was dabei gespielt wird.
Die Möglichkeit, jemand hätte dies mit mir vorgehabt, bestand mehr als nur. Doch zu erkennen ergab sich dabei allerdings niemand. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein, es könnte so einfach nicht weitergehen.
Eine Folge hat solch ein Erlebnis wie am Freitag mit Werner N., unserem Angestelltenbetriebsrat und Moderator im Projekt MCC, und Alois H.: Man beginnt Leuten regelrecht zu mistrauen! Man weiß einfach nicht mehr, wem man trauen kann und wem nicht. Auch wenn man, wie ich, zuvor der Meinung gewesen wäre, man wüsste, wie weit man „fremde“ Personen an sich heranlassen kann. Man beginnt regelrecht, grundsätzlich jedem zu mistrauen, niemanden mehr an sich heranzulassen. Auch das ist etwas, was ich endlich wieder loswerden wollte. Denn dies macht einen geplanten Neuanfang im Leben in einem neuen Unternehmen, in einer neunen Gegend, in einer neuen Stadt, beinahe unmöglich!
Daher, ich hatte einfach die Hoffnung, damit könnte es nur mehr besser werden.
(2020-12-11)