Eicherloh, Samstag, der 24. September 2005:
Die ersten drei Wochen, welche ich nun in Wien bei MCE gearbeitet hatte, entsprachen so gar nicht dem, was ich mir vorgestellt hatte. Einmal abgesehen von meinem Dienstvertrag, welcher, schriftlich festgehalten, lediglich bis Ende Februar nächstes Jahr dauerte, wusste ich auch sonst nicht recht, was ich dort sollte. In der ersten Woche, in den ersten tagen, sah es vielleicht noch so aus, als wäre ich nun vielleicht tatsächlich bei „alten“ Kollegen untergekommen, aber schon am Freitag der ersten Woche, als mein neuer Chef Alois H. meinte, nun würden sie mit mir „Schlitten fahren“, zeigte sich eigentlich schon, was mich dort erwarten sollte.
Auch abseits der Arbeit saß ich nun abends in meinem kleinen Zimmer in dieser Frühstückspension in Oberlaa, war auf der Suche nach einer Gastwirtschaft, in der ich wenigstens einmal am Tag eine Warme Mahlzeit zu mir nehmen könnte, wobei ich noch ein paar Tage zuvor glaubte, endlich eine gefunden zu haben, und wusste nicht recht, was ich mit meiner „Freizeit“ nach der Arbeit anfangen soll. Meist ging ich abends noch eine Runde durch diesen „Ort“, eben auf der Suche nach einer Gastwirtschaft zum Abendessen, aber sonst schlug ich nur mehr die Zeit tot, bis ich endlich am Freitagnachmittag wieder zurück nach Salzburg fahren konnte, von wo ich eigentlich weggehen und ein neues Leben in einer neuen Stadt, mit einer neuen Anstellung in einem neuen Unternehmen anfangen wollte. Irgendwie war ich nun in einer Sackgasse in meinem Leben angekommen, in dem es kein Zurück, aber auch kein Weiterkommen mehr gab.
In den Jahren zuvor, gerade, bevor dieses „Theater“ mit dieser „Silly“ begonnen hatte, war ich in dieser Zeit meist mindestens einmal mit meinen Bekannten in München am Oktoberfest. Aber auch dies hatte sich mittlerweile erübrigt. Die Freundschaft blieb zwar weitgehend noch aufrecht. Allerdings ein Besuch am Oktoberfest hatte sich, gerade nach den Vorkommnissen letzten Jahres, erübrigt. Meine Bekannten hatten einfach kein Interesse mehr daran, mit mir das Oktoberfest zu besuchen. Was ich allerdings auch verstehen konnte. Denn auch ich hätte am liebsten all dies, was sich je im Zusammenhang mit dieser „Silly“ abgespielt hatte, einfach vergessen.
Wenigstens war es noch möglich, sich gelegentlich zu treffen und dabei vielleicht auch auf einen Kaffee in ein Lokal zu gehen. So war es auch an diesem Tag. Denn ich brauchte einfach etwas Abwechslung und vereinbarte mit meinem Bekannte, als mehr kann ich sie auch mittlerweile nicht mehr bezeichnen, ein Treffen in München, bei dem wir dann auch gemeinsam am Nachmittag ein Café aufsuchten. Aber dabei war eben auch die Stimmung mehr als gedämpft und das Verhalten mir gegenüber mehr als zurückhaltend, als wäre ich mittlerweile ein anderer Mensch geworden. Dabei, ich selbst hatte mich nicht im Geringsten verändert. Die Meinung über mich hatte sich allerdings einfach stark verändert, angesichts dessen, was ich in den letzten Monaten erleben musste. Mag sein, dass sich mit den „Spielchen“ der VA Tech nun aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen, eine Gemeinschaft mit einem Zusammenhalt gebildet hat, wie es mir der Segmentleiter, angesichts meines Gespräches bei ihm Anfang August 2003 erklärt hatte, aber mir kamen dadurch meine Freunde im Leben abhanden. Mein Privatleben wurde dadurch sukzessive einfach zerstört.
Nach meinem nachmittäglichen Café Besuch mit meinen Bekannten fuhr ich allerdings nicht gleich wieder zurück nach Salzburg, sondern wollte einfach noch in meiner ehemaligen Unterkunft, als für diese VA Tech in „München“ arbeitete, Abendessen. Daher fuhr ich noch in die Gaststätte in Eicherloh. Dort aß ich dann auch. Aber es dauerte nicht lange, da setzte sich die Chefin des Hauses, mit welcher ich mich doch so unzählige Male beim Frühstücken unterhalten hatte, sie mir dabei stets stolz von ihrer jüngeren Tochter erzählt hatte, zu mir an den Tisch. Was mich auch überhaupt nicht störte, denn ganz ohne Hintergedanken war ich dort auch nicht erschienen. Kam ich doch in den letzten Tagen, als ich noch hier meine Unterkunft hatte, zur Ansicht, etwas anderes würde mir nicht übrig bleiben, als mich einmal mit einem dieser „Grüppchen“, welche sich um mich wegen diesen „Spielchen“ gebildet hatte, einzulassen, damit ich wenigstens einmal in meinem Leben zur Ruhe kommen könnte. Und dieses „Grüppchen“ hier schien mir als das harmloseste, das am wenigsten abstoßendste zu sein. Daher hätte ich auch gar nichts dagegen gehabt, würde aus diesem stets stolz erzählen endlich auch einmal etwas mehr, auch wenn es nur eine gute Bekanntschaft würde. Aber irgendwie gab es hier so etwas wie eine Barriere, dies es erst zu überwinden galt, dachte ich mir zumindest.
So plauderte ich etwas mit der Chefin des Hauses. Musste ihr allerdings erst gar nichts darüber erzählen, wie es mir nun bei meinem neuen Arbeitgeber in Wien ergehen würde, sondern sie meinte dazu gleich,
„ist es eh dort auch nichts bei denen!“
Wobei ich dies gar nicht einmal so negativ empfand. Auch wenn ich doch sehr überrascht darüber war, dass auch sie darüber längst Bescheid wusste. Woher auch immer. Aber ihre Aussage „bei denen“ zeigte wenigstens, dass sie wohl tatsächlich nicht Teil von „denen“, also jenen, mit welchen ich es in der Arbeit zu tun hatte, wäre. Und ich wollte eben endlich nichts mehr mit „denen“, mit welchen ich es in der Arbeit zu tun habe, nichts mehr zu tun haben. Daher hätte ich mich mit diesem „Grüppchen“ auch gerne eingelassen, damit ich endlich im Leben zur Ruhe kommen würde.
So saßen wir an diesem Abend noch länger am Tisch und unterhielten uns. Auch wenn sie stets immer wieder den Tisch verließ, hatte sie doch den Betrieb am Laufen zu halten. Aber dann waren eben immer wieder andere Bedienstete bei mir am Tisch, sodass dies eigentlich ein angenehmer Abend war. Ja selbst der Chef des Hauses kam kurz zu mir an den Tisch, um kurz mit mir zu sprechen.
Als die Gäste in der Gaststube immer weniger wurden, blieb die Chefin des Hauses immer länger bei mir am Tisch sitzen. Dabei erzählte sie mir stolz von ihren Besuch am Oktoberfest in einem der Zelte am letzten Wochenende, in welches sie von einem der Wirte eingeladen wurden. Wobei sie mit der gesamten Belegschaft, inklusive der gesamten Familie dort waren. Dazu meinte sie, da hätte ich dabei sein müssen, dabei hätte ich richtig etwas erlebt. Wobei ich bei ihrer Erzählung innerlich fast schmunzeln musste, denn dafür hätte sie nur bei meinem letzten Besuch hier etwas ihre „Barrikade“ abbauen müssen, dann gäbe es längst einen etwas weitergehenden Kontakt und dies hätte ganz einfach der Fall sein können. Doch so wüsste ich nicht, wie ich dies hätte anstellen sollen.
Dann erzählte sie mir auch noch stolz davon, auch am nächsten Wochenende, da sie ohnedies am Montag Ruhetag haben, dies allerdings ein Feiertag wäre, noch einmal dorthin eingeladen zu sein. Allerdings kam keine einzige Andeutung dahingehend, ob denn ich nicht auch Interesse hätte, dabei zu sein. Daher saß ich schon wieder innerlich schmunzelnd am Tisch und lauschte ihren Erzählungen. Wobei ich mich immer wieder fragte, weshalb sie mir denn dies alles erzählen würde, wenn dabei nicht einmal ansatzweise eine Barriere fallen würde, damit man auch einmal vielleicht etwas gemeinsam erleben könnte, wenn ich dies einmal so beschreiben darf. Mir war einfach nicht klar, was sie von mir nun erwarten würde. Mich anzubiedern, mich aufzudrängen, dass war noch nie meine Stärke. Dies entspricht auch gar nicht meinem Wesen. Aber auch nur ein kleiner Hinweis und ich wäre sofort bereit gewesen, mir dafür vielleicht sogar Urlaub zu nehmen, auch wenn ich dabei etwas riskiere. Aber auf Knien zu Boden kriechen, mich selbst hineinzudrängen, das kam für mich nun auch nicht in Frage. Daher nahm ich ihre Erzählungen einfach zur Kenntnis, dachte mir meinen Teil dabei und wartete, ob sich nicht vielleicht doch einmal so etwas wie eine Tür öffnet, wenigstens ein Spalt, oder ein kleines Schlupfloch, um endlich dieses herum Getue weiterzubringen.
Aber es kam einfach nichts. Daher blieb mir auch nichts anderes übrig, als dann am späteren Abend wieder zurück nach Salzburg zu fahren. Auch wenn es diesmal wenigstens ein angenehmer Abend war. Aber es blieb die Hoffnung, vielleicht würde ich doch einmal etwas ergeben. Denn, wie gesagt, eine andere Möglichkeit als mich einem dieser „Grüppchen“ anzuschließen, auch wenn ich damit alle anderen gegen mich aufbringe, um endlich im Leben zur Ruhe zu kommen, sah ich zu dieser Zeit nicht. – Und hier hatte ich die geringsten Bedenken. Aber mir immer nur stolz von ihrer kleinen Tochter zu erzählen, dass würde wohl nicht sehr viel bringen.
Mir hätte es einfach auch gut gefallen, wenn ich hier „Anschluss“ finden würde, ich mich mit diesem Grüppchen einlassen „müsste“, damit wenigstens einmal im Leben zur Ruhe kommen könnte und in München eine neue Arbeit zu finden. Wo auch immer. Wie auch immer dies dann weitergehen würde. Aber so konnte es ohnedies einfach nicht weitergehen.
Mittlerweile hatte ich allerding dazu schon so viel erlebt, sodass ich mir darüber kaum mehr weitere Gedanken machte. Diese Leute sind offensichtlich so. Einfach, auf natürliche Weise, geht da wohl gar nichts.
(2020-11-27)