Wien, Mittwoch, der 28. September 2005:
Seit 12. September hatte ich nun ein Zimmer in einer kleinen Frühstückspension in Oberlaa. Ein Zimmer, welches so groß war, dass man nicht hätte umfallen können. Denn schon bei der geringsten Schräglage wäre man an einem Möbel oder an einer Wand angestoßen. Zudem noch mit einem einzigen Fenster und dies auch noch nach Westen ausgerichtet, sodass abends die Sonne in das Zimmer brannte. Oder man eben die Rollo herunterließ. Aber dann war es eben auch finster im Zimmer.
Noch dazu nur in einer Frühstückspension, was bedeutet, mehr als Frühstück gibt es eben nicht in dieser Pension. Weshalb mir nichts anderes übrig blieb, als mich abends am Weg von der Arbeit, noch im Supermarkt mit Abendessen einzudecken. Aber da es in der Arbeit zwar eine Kantine gab, welche allerdings keine warmen Speisen angeboten hatte, sondern lediglich kleine Imbisse, blieb mir nichts anderes übrig, als mir ein Restaurant, eine Gaststätte, oder was auch immer zu suchen, wo ich wenigstens an einigen der Tagen unter der Woche eine warme Mahlzeit zu mir nehmen konnte.
Das ist natürlich in Wien kein Problem, das war mir auch bewusst, als ich hier her gekommen bin. Allerdings hatte ich eine Befürchtung, auch hier könnte sich ein für mich nicht zu kontrollierendes „Theater“ entwickeln, wie ich es schon in diesem Hotel in der Umgebung von München hatte, als ich noch bei VA Tech arbeitete. Oder sich vielleicht gar ein „Theater“ entwickeln könnte, wie zuvor, als ich noch in Salzburg war. Dies konnte ich nun gar nicht brauchen. Denn ich war ja zu allem anderen, zu meinem ohnedies nur befristeten Vertrag bis Ende Februar im nächsten Jahr, noch in der Probezeit, in der ich jederzeit ohne Angabe von Gründen hätte gekündigt werden können. Daher war ich äußerst vorsichtig dabei, mir eine entsprechende Lokalität zu suchen, um wenigstens abends etwas Warmes zu essen zu bekommen. Dort vielleicht auch noch ein, zwei Biere trinken könnte, damit ich wenigstens halbwegs eine Entspannung am Abend habe, ohne in einem kleinen Zimmer bloß die Decke anstarren zu müssen. Oder dort in den Fernsehen zu glotzen, mit gerade mal ein paar Programmen, welche allerdings auch nicht alle einwandfrei und ohne flimmern funktionierten.
Daher bin ich in den ersten Tagen, seitdem ich in Oberlaa mein Zimmer hatte, abends einige Male durch diesen Stadtteil, eigentlich ist es vielmehr ein Dorf in der Stadt, gegangen, um mich dort umzusehen. Da fand ich auch einige Lokale. Ein paar Heurige, wobei diese allerdings meist nicht geöffnet hatten, oder nur ganz spärlich besucht waren, sodass ich diese nicht als geeignet für mein Anliegen sah. Zudem war ein Heuriger nicht gerade das, was ich gesucht hatte.
Aber da war auch ein Restaurant, direkt an der Hauptstraße durch den Ort gelegen, an der Oberlaaer Straße. Dies sah von außen sehr vernünftig aus, war auch gut besucht, mit einem gepflegten kleinen Gastgarten im Innenhof und auch sonst schien dies genau das zu sein, was ich suchte.
Daher war ich letzte Woche am Mittwoch abends schon dort. Da regnete es allerdings etwas, daher musste ich mich ins Lokal setzen. Aber auch im Inneren schien dies gut zu meinen Vorstellungen passen. Zudem viel ich dort auch gar nicht besonders auf, denn das Lokal war auch von anderen, offensichtlich geschäftlich Reisenden besucht, die ebenfalls alleine auf ihren Tischen saßen. Auch das Essen war äußerst gut und selbst die Bedienung war angenehm freundlich. Ja ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich zunächst dort beinahe schon so, wie zehn Jahre zuvor in Salzburg, wenn ich dort ein Lokal betreten habe und dies einige Zeit später wieder besuchte, als wäre ich dort auch gerne gesehen. Benehmen konnte ich mich ja. Daher war dies ja auch nicht ausgeschlossen. Nun hatte ich auch nicht vor, dort jeden Abend als Gast zu erscheinen. Aber ein, zwei Mal die Woche hätte ich dort schon gerne zu Abend gegessen.
Doch an diesem Tag war ich abends nach der Arbeit wieder in diesem Restaurant. Diesmal, da es ein lauer Herbstabend war, setzte ich mich in den Garten im Innenhof. Dort hätte ich zunächst wenigsten die gleiche Behandlung seitens der Bedienung erwartet. Aber davon war an diesem Tag, nur genau eine Woche später, überhaupt nichts mehr zu entdecken. Ich kam mir vor, als wäre ich in ein völlig falsches Lokal gegangen. Als hätte ich dort überhaupt nichts verloren. Selbst das Essen, worauf ich unendlich lange warten musste, war mehr als bescheiden. Ich kam mir in diesem Lokal vor, als säße ich zum Beispiel in diesem Weinlokal in meinem alten Heimatdorf am Dorfplatz, kurz nachdem ich eine gröbere Auseinandersetzung mit den Wirtsleuten gehabt hätte, und alle wären froh, wenn ich das Lokal schneller wieder verlassen würde, als ich es betreten habe. Ich hatte zunächst keine Erklärung, weshalb dieser Abend sich nun so gänzlich von dem der Vorwoche unterschieden hat. Aber dann meinte eine Frauenstimme aus einem der geöffneten Fenster aus dem Inneren des Lokals, nachdem sie offensichtlich nachgesehen hatte, ob es auch tatsächlich ich sei, der da im Innenhof säße,
„dem werden wir es da jetzt richtig geben!“
Sie lachte dabei auch noch äußerst zufrieden. Doch dann ging es weiter:
„Wenn der glaubt, er könnte sich von seiner Heimat einfach davonschleichen und hier bei uns alle ausstechen – der wird da nichts werden!“
Es ging dann noch weiter, allerdings konnte ich nur mehr Wortfetzen durch das Fenster hören. Aber jetzt war mir klar, was an diesem Abend anders war als noch die Woche zuvor. Hier hatte sich etwas herumgesprochen. Es war bloß die Frage, durch wem?
Anfangs hatte ich meine Vermieterin in der Pension in Verdacht. Denn ihr Haus liegt nur wenige Meter entfernt on hier. Doch als ich ihr am nächsten Morgen erzählte, wo ich an diesem Abend war und was ich dort erlebt hatte, da erweckte sie nicht den Eindruck, als würde sie die Wirtsleute in diesem Lokal besonders gut kennen. Da war zudem auch rein augenscheinlich ein viel zu großer Unterschied zu den beiden. Kurz gesagt, dies passte einfach überhaupt nicht zusammen. Daher musste es wohl einen anderen Zusammenhang geben, wie es nun so schnell kommen konnte, dass sich offensichtlich einiges aus meinem Heimatdort und auch davon, was ich gerade in diesem Unternehmen MCE erlebe, in diesem Restaurant herumgesprochen hatte. Was auch gleich dazu führte, mich beinahe wie den letzten Dreck zu behandeln. Aber das Gastgewerbe hatte ich längst schon im Verdacht, dass auch hier solche Verbindungen bestehen.
Es dauerte lange, bis ich dieses Lokal wieder betreten hatte. Denn damals war ich auch noch nicht besonders interessiert daran, dabei vielleicht gar etwas auszuforschen. Aber Ruhe ließ mir dies trotzdem keine. Schließlich wollte ich nun eigentlich nach Wien gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. Aber unter diesen Umständen schien dies nicht gerade einfach zu werden.
(2020-11-25)