Ismaning, Eichenried, Mittwoch, der 8. Dezember 2004:
Anfangs hatte ich doch etwas Bedenken, ich wäre nun in einer Einheit zugeteilt, in der es keinen wirklichen Plan darüber gäbe, wie ich nun in der Arbeit eingesetzt werden sollte. Handelte es sich doch dabei um die „Organisationseinheit Verarbeitende Industrie“, welche in erster Linie im Bereich der Automatisierung in der Automobilindustrie tätig ist. Ich hingegen hatte bisher in meiner beruflichen Laufbahn beinahe nichts mit dem Bereich Automatisierungstechnik zu tun, sondern war bisher beinahe nur im Bereich der Errichtung von Energieverteilungsanlagen ab einer Trafostation bis zur letzten Steckdose tätig. Auch meine beiden Kollegen in München hatten ausschließlich mit Automatisierungstechnik zu tun. Daher hatte ich schon zu Beginn etwas Bedenken, ich werde auch hier nur vorrübergehend tätig sein.
Allerdings erklärte mit Karl P. am Montag, sein Tätigkeitsbereich würde zwar ausschließlich die Automobilindustrie umfassen, hier allerdings der gesamte Bereich der Elektrotechnik, wobei derzeit allerdings der Schwerpunkt im Bereich der Automatisierungstechnik liegen würde Hier zudem besonders im Bereich der Errichtung von Lackieranlagen in der Automobilindustrie. Nun möchte er allerdings auch in den Bereich der Errichtung von Energieverteilungsanlagen bei seinen Kunden tätig werden. Daher würde ich, mit meiner bisherigen Erfahrung, sehr gut in seinen Bereich passen. Dazu hatte er mir auch gleich eine kleine Ausschreibung für ein Projekt in einem der Automobilwerke in Bayern gegeben, um dafür ein Angebot auszuarbeiten. Somit hatte ich hier auch gleich eine Aufgabe und etwas zu tun, daher bereitete mir dies zunächst keine weiteren Sorgen.
Bei diesem kleinen Projekt handelte es sich um eine Datenverkabelung in einer Fertigungshalle, eine LAN-Verkabelung mit allen dafür erforderlichen passiven Komponenten in einer Fertigungshalle. Wobei ich dabei auch gleich für die Montage der Anlage mit jenem kleinen slowenischen Unternehmen kalkulieren sollte, welches ich bereits am ersten Tag bei der Weihnachtsfeier kennengelernt hatte. Dabei sollte ich zudem auch gleich mit deren unteren Kalkulationspreis von 12 Euro je Stunde kalkulieren, denn Karl P. wollte unbedingt in diesem Werk mit Leistungen im Bereich der Gebäudetechnik einen Auftrag erhalten. Die Abgabe des Angebotes sollte noch vor Weihnachten erfolgen. Daher hatte ich dafür auch noch genügend Zeit. Wenigstens hatte ich hier auch gleich etwas zu tun und musste nicht, wie dies zuvor in Salzburg der Fall war, nur die Zeit totschlagen.
Da wir in dieser Zweigniederlassung nur 4 Kollegen waren, welche permanent hier arbeiteten, war es in diesem großen Bürogebäude, dieser üblichen 400m² Einheit, welche sich aus brandschutztechnischen Anforderungen ergibt, besonders ruhig. Lediglich tags zuvor, als plötzlich und unangekündigt Harald W. schon am Morgen im Büro mit seiner Sekretärin erschienen war, herrschte etwas Aufregung. Heute hingegen verlief der Morgen bis kurz vor Mittag wieder, wie schon in den Tagen zuvor, sehr ruhig.
Doch plötzlich, es war vielleicht gerade mal 11:00 Uhr am Vormittag, öffnete sich die Bürotür und zwei Männer, welche auch niemand kannte, erschienen im Büro und gingen dabei zielstrebig in das letzte freie Bürozimmer, welches zuvor vom Vormieter offensichtlich als Besprechungsraum genützt worden war, und richteten sich dort einen Arbeitsplatz ein. Als sie dabei durch den Gang liefen, grüßten sie alle Anwesenden, wobei es sich daher offensichtlich auch um Kollegen handeln musste.
Wie sich im Laufe des Tages herausstellte, war es der Projektleiter für die Elektrotechnik beim Projekt der Errichtung der Allianz Arena in München, Gerhard G. und einer seiner Mitarbeiter. In dieser Zeit hatte das Unternehmen, vielmehr die Abteilung KL4 in Linz, einen Großauftrag, mit der Errichtung der gesamten Gebäudetechnik im neuen Fußball Stadion in München. Wobei dabei das Auftragsvolumen bei circa 70 Mio. Euro lag, die Elektrotechnik dabei bei circa 30 Mio. Euro und die Kollegen mitten in der Ausführung, beinahe schon in der Fertigstellung der Anlage lagen. Die Mitarbeiter aus der technischen Auftragsabwicklung, welche auch immer wieder vor Ort auf der Baustelle waren, nun gelegentlich auch dieses Büro nützen sollten, da dieses Büro zudem auch von der gesamten Abteilung gemietet wurde, nicht nur jener Organisationseinheit, welcher ich nun zugeteilt war. Daher schien es nun mit der anfänglichen Ruhe vorbei zu sein, denn diese Kollegen würden nun des Öfteren hier im Büro erscheinen. Dies störte mich auch weiter nicht, denn somit war nun auch etwas Leben ins Büro gekommen und vielleicht würde sich für mich daraus auch eine Möglichkeit ergeben, neue Kontakte knüpfen zu können, welche mir die Möglichkeit eröffnen könnten, auch wieder in ein „normales“ Berufsleben zurückkehren zu können. Schließlich stand ich nun am Beginn meines geplanten Neustarts im Leben, welcher auch den Beruf einschloss. Dabei zuerst einmal mit diesem Unternehmen ins Reine zu kommen und dann, egal ob in diesem Unternehmen, oder auch in einem anderen Unternehmen neu zu beginnen.
Nun war ich, gemeinsam mit meinem Kollegen Karl K., in einer kleinen Frühstückspension, noch etwas weiter entfernt von München untergebracht. Daher gab es dort, außer Frühstück, keine Möglichkeit am Abend dort etwas zu essen. Auch der gesamte Ort schien nicht gerade eine Metropole zu sein. Aber ich hatte mich an den letzten Abenden bereits auf die Suche begeben, auch i diesem Ort, ohne noch einmal mit dem Auto wegzufahren, etwas zu essen zu bekommen. Dabei fand ich zwei Gastwirtschaften im Ort. Eine gleich schräg vis-à-vis der Frühstückspension, in welcher ich mein Zimmer hatte. Zudem auch noch ein Restaurant in einem Jagdschloss, etwas außerhalb der Ortschaft, wobei dorthin seltsamer weise kein Fußweg führte, weshalb ich dies als äußerst ungünstig ansah, dorthin zu gehen, da ich dabei mit dem Auto fahren müsste, oder zu Fuß direkt an einer doch etwas stark befahrenen Straße zu laufen.
In dieser Zeit war ich zudem auch noch äußerst unerfahren damit, unter der Woche nicht am Abend nach der Arbeit zurück in meine Wohnung zu kommen und mich dort zu versorgen. Daher gab es an den Abenden zuvor lediglich aus dem Supermarkt mitgebrachte Speisen. Ein richtiges Mittagsessen, oder wenigstens ein Abendessen, hatte ich daher nicht. Aber dies wollte ich nun ändern. Daher nahm ich mir nun vor, wenn ich schon kein ordentliches Mittagsessen kam, wenigstens an den Abenden essen zu gehen. Daher beschloss ich, an diesem Abend noch in diese Gastwirtschaft, gleich schräg vis-à-vis meiner Pension zu gehen. Wobei ich dabei auch noch ziemlich unsicher war, wie ich mich dabei verhalten sollte, denn schließlich war ich dies überhaupt nicht gewohnt und zudem, ich vermutete mich nun in einer Gegend, in welcher mich niemand kennen würde, ich dort allerdings, zumindest mittelfristig, für längere Zeit bleiben würde. Mein Kollege hatte zudem dazu auch keine Lust, weshalb ich dorthin auch alleine gehen musste.
Aber als ich mich in der Gastwirtschaft an einen kleinen Tisch setzte, dort ein Bier und etwas zu essen bestellte, hatte ich nicht mehr den Eindruck, als würde ich hier ein völlig Fremder sein. Es schien eher so zu sein, als hätte man mich dort schon erwartet, dass ich dort, früher oder später, einmal erscheinen werde. Doch da ich hier nun offensichtlich in einem kleinen Dorf untergebracht war, beunruhigte mich dies zunächst nicht. Auch wenn ich darüber doch etwas verwundert war. Denn schließlich befand ich mich bisher nur zwecks Übernachtung in diesem Ort und außer morgens und abends am Weg zum Auto hatte ich mit diesem Dorf bisher kaum etwas zu tun. Ausgenommen meine abendlichen Erkundungsspaziergänge durch den Ort auf der Suche nach einer geeigneten Gastwirtschaft, um abends auch noch etwas essen und vielleicht gelegentlich ein paar Biere trinken zu können.
Nach dem Essen blieb ich noch etwas länger in dieser Gastwirtschaft, welche ich übrigens auch als durchaus angenehm empfunden hatte, um dort noch ein paar Biere zu konsumieren. Schließlich hatte ich bisher in meinem Leben noch nie solch einen 8. Dezember, welcher zudem in Österreich auch noch ein Feiertag ist, erlebt. Also schon gar nicht damit, an diesem Tag arbeiten zu müssen. Allerdings die beiden Kellner, wobei mich davon nur einer bediente, waren mir schon von Beginn an nicht besonders sympathisch. Aber als ich dann zahlte und mich beim Hinausgehen von den beiden verabschiedete, da ich annahm, nun öfters hier Abende zu verbringen, sah mich einer der beiden lediglich argwöhnisch an, grüßte zwar auch, allerdings in einem Ton, der nicht gerade freundlich klang, hörte ich, als ich gerade zur Tür hinausging, wie dieser meinte,
„jetzt probiert er es da!“
Dabei klang dies, als würde er sich dabei amüsieren.
Wobei der andere darauf meinte,
„wenn er da jetzt tut, dann tun wir ihm etwas! – Dann lebt der nicht mehr lange!“
N, Bumm! Dachte ich mir. Dies hätte ich jetzt in Salzburg nicht anders erleben können! Deshalb hätte ich nun nicht hierherkommen müssen! Worauf meine Freude über meinen geplanten Neustart im Leben gleich einmal einen ordentlichen Dämpfer erhalten hatte. Zudem war es dieses „tun“, was mich besonders aufregte, war mir doch längst bekannt, was damit gemeint sei. Und in Bayern reden die Leute nun mal auch nicht viel anders als in Österreich. Schon gar nicht anders als in jener Gegend, aus welcher ich stamme. Wobei ich dabei den Zusammenhang nur über die Gastronomie herstellen konnte.
Dies war es einmal nicht, wie ich mir meinen Neustart vorstellte. Daher war ich an diesem Abend zum ersten und auch gleich zum letzten Mal in dieser Gastwirtschaft! Denn dies hatte ich gleich einmal als Drohung aufgefasst.
(2020-08-13)