Salzburg, Montag, der 8. September 2003:
Es blieb mir leider nichts anderes übrig – ich musste an diesem Tag in die Arbeit gehen. Aber schon bevor ich von zu Hause, von meiner Wohnung in Salzburg, in die Arbeit fuhr, dachte ich mir, es könnte durchaus sein, dass ich in wenigen Stunden schon wieder daheim bin und danach nie mehr in diesen Betrieb fahren muss. Ich ging wirklich davon aus, der Vorfall vom Samstag in der Nacht, im Lokal des „verrückten Wirtes“ könnte in der VA Tech zum Anlass genommen werden, mich aus dem Unternehmen zu werfen. Daher fuhr ich auch mit dementsprechenden Gefühlen und Erwartungen an diesem Morgen in die Arbeit.
Ich hatte auch gar nicht gewusst, wie ich mich an diesem Tag in der Arbeit verhalten sollte. Ich schlich regelrecht zu meinem Arbeitsplatz, aber wirklich verstecken konnte ich mich dort natürlich nicht. Schon gar nicht deshalb, da ich ja nun einen Arbeitsplatz hatte, auf welchen jeder Mitarbeiter, überhaupt jeder, der durch die Büroeingangstür hindurch geht, direkt darauf zugeht. Dazwischen befand sich zwar eine Tür, welche ich hätte schließen können, doch diese war aus Glas. Und jeder, der auch nur irgendetwas am Empfang, bei Frau Andrea H. zu erledigen hatte, hatte direkten Blick auf meinen Arbeitsplatz – durch eine riesige große Glaswand! Also, ich war eigentlich, so empfand ich es jedenfalls, völlig ausgeliefert und müsste ergehen lassen, was sich nun abspielen würde. – Und was ich erwartete war, dass ich nun grenzenloses Gespött über mich ergehen lassen müsste, welches letztendlich dazu führen würde, dass ich aus dem Unternehmen geworfen werde, da dies einfach nicht tragbar wäre und ich daher für meinen Job, für welchen ich engagiert wurde, einfach nun überhaupt nicht mehr zu gebrauchen wäre. Nicht einmal einen Kaffee wollte ich mir am Morgen, kurz nachdem ich ins Büro gekommen war, holen.
Also saß ich nun an meinem Arbeitsplatz und zuckte beinahe zusammen, als das erste Mal die Eingangstür ins Büro aufging und der erste Kollege das Büro betrat, nachdem ich an meinem Arbeitsplatz saß. Aber es blieb ruhig.
Dann sah ich, wie Karl P., schon kurz nach halb neun Uhr am Morgen ins Büro kam und dachte mir, nun geht’s los. Aber er blickte nur kurz zu mir, grinste, wie er das sonst auch immer tat, und stolzierte dann, zwar etwas mehr als sonst, in Richtung seines Büros. Dabei entwickelt solch eine Person einen eigenen Gang, welcher mir später immer wieder in gleicher Weise auffiel. – So zeitig am Morgen hatte ich ihn allerdings noch nie zuvor im Büro gesehen.
Kurz vor halb zehn Uhr betraten dann die beiden Mitarbeiter von Karl P. das Büro. Auch dies soll nicht unerwähnt bleiben, denn ab neun Uhr begann eigentlich die Kernzeit der Arbeitszeit und im Außendienst waren beide nicht tätig. Als beide mich sahen, wie ich auf meinem Arbeitsplatz saß, meinte einer der beiden einfach nur,
„hinausgeworfen!“
„Aussie g’haut!“,
wie er es im Dialekt ausdrückte.
Mir war natürlich sofort klar, was er damit meinte. Zudem wusste ich über jenen, der dies sagte, dass er in der Salzburger Ausgehszene äußerst aktiv ist und dies noch dazu dabei in einer eigenen, speziellen Gruppierung, welche ich immer wieder unter der Bezeichnung „ihre Koksergruppe“ zu hören bekam. Wobei dies mit dieser Gruppe manchmal richtig unangenehm war. Denn es kam schon immer wieder vor, dass man spät Nachtens in diversen Innenstadtlokalen am WC seltsame kleine Päckchen mit mehlartigem Inhalt umherliegen fand, oder die leeren Hüllen dieser Päckchen verstreut am Boden verstreut lagen.
Dies posaunte er allerdings nicht, wie ich es erwartet hätte, regelrecht hinaus, sondern er tuschelte dieses regelrecht zu seinem Kollegen und beide gingen, anfangs etwas kichernd, dann nur mehr grinsend in Richtung ihres Büros am Empfang vorbei. Eines war mir nun klar, all dies, was sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Lokal des „verrückten Wirtes“ in Mondsee zugetragen hatte, war jedem im Büro bekannt. Und wenn es noch irgendjemanden geben sollte, der noch nicht davon gehört hätte, dann würde sich dies nun im Büro sofort ändern.
Ich hätte nun erwartet, es würde sich ein richtiges Getratsche darüber im Büro ausbreiten und jeder würde mit jedem, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, darüber sprechen und ich dem Gespött aller Kollegen nun völlig ausgeliefert sein. Was letztendlich dazu führen würde, dass irgendwann mein Chef „Hörbi“, oder gar Josef Sch., der Geschäftsführer, bei mir am Arbeitsplatz stehen würde, oder mich zu sich rufen lassen würde und ich mitgeteilt bekäme, dies wäre nun gänzlich unbrauchbar in meinem Job, daher müsste ich, oder sollte ich freiwillig, meinen Arbeitsplatz räumen. Denn niemand würde mehr davon ausgehen, dass sich dies wieder legen würde und ich dann meinen Job wieder erwartungsgemäß ausüben können.
Aber es blieb, wider mein Erwarten, den ganzen Tag über völlig ruhig. Das einzige, was ich darüber zu hören bekam, war eben dieses „hinausgeworfen!“ von den beiden Mitarbeitern von Karl P. Sonst verlief der ganze Arbeitstag so, als wäre überhaupt nichts! Nun war ich völlig überrascht.
(2019-10-30)