Salzburg, Mittwoch, der 6. August 2003:
Mein vierter Arbeitstag bei VA Tech in Salzburg verlief nicht viel besser als die Tage zuvor. Irgendwie versuchte ich mir die Zeit zu vertreiben, starrte immer wieder in das noch immer vor mir liegende Leistungsverzeichnis für dieses schwedische Möbelhaus in Salzburg, durchsuchte Dateien auf meinem Rechner, ohne genau zu wissen, was ich eigentlich tun soll. Und so ein Arbeitstag, an welchem man nicht wirklich etwas zu tun hat, auch noch weiß, woran dies liegt, weil man mich offensichtlich kaltstellen wollte, wenn man um acht Uhr morgens zu arbeiten beginnt, aber schon um viertel nach acht Uhr zum ersten Mal auf die Uhr blickt, der kann richtig lang werden.
Zudem hatte ich auch noch die Tür auf den Gang in dem Bürozimmer, in welchem ich mit „Hörbi“, den Kollegen Gerhard F. und Christoph M., direkt links hinter mir im Nacken, welche gelegentlich, wenn „Hörbi“ wieder einmal zur Tür hinausstürmte, offenblieb. Die Situation war mittlerweile mehr als unerträglich für mich und am liebsten wäre ich auf der Stelle davongelaufen.
Aber da hörte ich, als wieder einmal die Tür schräg hinter mir offenblieb, wie Harald Z. den Gang, vom Büro des Chefs kommend in Richtung seines Büros, entlang ging und als er mich an meinem provisorischen Arbeitsplatz sitzen sah, meinte,
„ob der das wird hier?“
Nun war ich regelrecht aufgeschreckt, denn dies passte haargenau zu jenem „Blödsinn“, welchen mir mein Bekannter tags zuvor in Linz, als ich ihn abends in einem Lokal in der Linzer Innenstadt traf, erzählt hatte. Es klang jedenfalls so, als würde dies dazu passen, daher passte ich den Rest des Tages auf, was nun sonst alles so gesprochen werden würde, bei meinem neuen „Arbeitgeber“ – oder sollte ich vielmehr sagen, bei meinem mich aus der bisherigen Arbeitswelt zu eliminieren wollenden Dienstgeber.
Wenig später stand plötzlich Michael B., der Betriebsrat in Salzburg, er arbeitete in der Konstruktion für KSP2, jenem Teil, welcher ursprünglich zu ELIN gehörte, und wollte sich unbedingt mit mir als Betriebsrat mit dem neuen Mitarbeiter unterhalten. Ich war regelrecht froh, als er zu mir kam, denn dies war nicht nur eine Abwechslung, sondern vielleicht konnte ich dabei auch etwas erreichen, um meine nicht mehr zu ertragender Situation etwas zu verbessern.
Wenig später verschwanden wir beide in den kleinen Besprechungsraum, in welchem ich auch schon mit „Hörbi“ bei meinem Vorstellungsgespräch saß, welcher gleich direkt hinter meinem Rücken am Gang schräg gegenüber meinem Büro lag, in welchem ich nun gefangen war. Es war, als hätte ich nun ein zweites Vorstellungsgespräch gehabt. Wobei ich nicht ganz verstand, warum ich nun ihm all dies, was ich bereits „Hörbi“ erzählte, noch einmal erzählen musste. Gut, er war nu mal Betriebsrat, aber ein Gespräch zwischen einem neuen Mitarbeiter und einem Betriebsrat hätte ich mir doch etwas anders vorgestellt. Bisher hatte ich mit Betriebsräten in einem Betrieb noch nie etwas zu tun, denn meine Angelegenheiten hatte ich mir mit meinen Chefs, vor allem als ich noch bei ABB arbeitete, selbst geregelt. Dazu war einfach kein Betriebsrat von Nöten – dieser hätte mir zudem auch nicht weiterhelfen können. Nun schien es so, als wäre dies wieder einmal so, denn den Sinn dieses Gespräches hatte ich einfach nicht verstanden.
Nach gut einer dreiviertel Stunde war dieses Gespräch wieder beendet und ich kehrte an meinen „Arbeitsplatz“ zurück, um für den Rest des Tages die Zeit totzuschlagen, denn zu tun hatte ich ohnedies nichts.
Ich bin zwar nicht gerade froh darüber, ein Raucher zu sein, aber manchmal hilft es einem dann doch immer wieder weiter, vor allem wenn es darum geht die Zeit totzuschlagen und gelegentlich auch damit in Kontakt mit anderen zu treten, welche man sonst nicht treffen würde. So saß ich, wenig später, wieder einmal an dieser kleinen Sitzgruppe mitten im Büro, an welcher zudem auch noch ein Getränkeautomat stand, bei dem man sich auch einen Kaffee kaufen konnte. Dort trafen sich alle Raucher des Betriebes und plauderten dabei immer wieder etwas. Aber kaum war ich anwesend, dann wusste kaum mehr einer was er sagen sollte, weshalb die Situation meist eher gezwungen ablief, aber kaum ein vernünftiges, oder auch ein unterhaltsames Gespräch dabei entstand.
So saß ich eben wieder einmal alleine dort, trankt meinen Automaten Kaffee, etwas anderes gab es in diesem Betrieb nicht, und rauchte dabei eine Zigarette. Aber da bemerkte ich, wie Michael B. aus dem Büro der kaufmännischen Leiterin in diesem Betrieb, Beatrix L., zuständig für Salzburg und Innsbruck, also die gesamte Region West, kam und noch an der Tür meinte,
„also ein Feind der Gewerkschaft dürfte er nicht sein, davon hätte ich nichts mitbekommen, als ich mit ihm gesprochen hatte.“
Nun wurde ich aber richtig hellhörig, denn nun sah es so aus, als würde man herausfinden wollen, wie ich gewissen Institutionen gegenüberstehen würde. Wobei mir noch nicht ganz klar war, weshalb dies nun von solch Bedeutung für die Kollegen sein könnte. Aber dabei hatte ich eben immer wieder diese Aussage von Harald Z. im Ohr, der da meinte, „ob der das hier wird?“, welche haarschar zu jenem passte, was mir mein Bekannter am Vorabend in Linz erzählte.
Kaum war Michael B. wieder Richtung seines Büros verschwunden, kam die Kollegin, vielmehr Mitarbeiterin von ihr, Inge R., aus ihrem Büro, ging an mir vorbei, musterte mich auf das Genaueste, kam wenig später wieder zurück und meinte zu ihr,
„also, mir wäre nichts aufgefallen!“
Worauf diese meinte, aber irgendeinen Grund müsste es doch geben, weshalb der gleich zwei Berechtigungen zur Führung eines Unternehmens hätte.
Nun blieb ich extra an dieser Raucherecke sitzen, denn dies ein schien regelrecht informativer Platz im Betrieb zu sein. Denn gleich darauf kam Beatrix L. wieder aus ihrem Büro, ging kurz in das danebenliegende Büro, in welchem auch Inge R. saß, kehrte allerdings gleich darauf wieder zurück und meinte, ebenfalls noch in der Tür stehend,
„wer weiß? Vielleicht ist das ein Nazi!“
Nun war ich richtig baff. Mich auch noch als Nazi anzusehen, das gab es bisher noch nie!
Aber es ging gleich weiter und sie meinte noch darauf,
„brauchst Dir eh nur ansehen, mit welchen Schuhen der herumläuft!“
Nun saß ich kopfschüttelnd an dieser Raucherecke, denn wie jemand darauf kommen könnte, ich wäre ein Nazi, nur weil ich „solche“ Schuhe trage, das hätte ich niemals für möglich gehalten. Wobei ich dazu vielleicht erklären sollte: Ich lebe nun mal nicht gerade auf großem Fuß, sondern habe für einen Mann eine relativ kleine Schuhgröße von 39. Weshalb es für mich nicht gerade einfach ist, jeden nur erdenklichen Schuh zu tragen, denn viele der Schuhe für Männer gibt es in meiner Größe eben nicht. Daher stieß ich vor unzähligen Jahren einmal auf einen Schuhfabrikanten namens Meindl, ein nicht unbekanntes Unternehmen, welche sogenannte „Haferlschuhe“ in meiner Größe herstellt, die zudem äußerst angenehm zu tragen sind. Meist sind es dabei Schuhe Type „Steiermark“, oder „Sasel“, welche ich wahlweise in schwarz und braun trage, die, sowohl im Winter als auch im Sommer, da sie nun mal aus echtem Leder sind, angenehm zu tragen sind. Zudem sind dies Schuhe, welche auch nicht als die üblichen Haferlschuhe sofort zu erkennen sind, sondern eigentlich aussehen, wie normale Halbschuhe – als Trekking Schuhe werden diese sogar meist bei diversen Anbietern geführt. Aber dass auch nur irgendjemand darauf kommen könnte, ich wäre ein Nazi, nur weil ich solche Schuhe trage, das hätte ich niemals für möglich gehalten. – Übrigens eine Einschätzung, welcher ich noch viele Jahre lang ausgesetzt bleiben würde, denn nur deshalb wollte ich diese Schuhe auch nicht aufgeben. – Diese werden übrigens auch in Oberndorf bei Salzburg hergestellt.
Ich konnte es nicht fassen, was ich hier nun zu hören bekam. Den ganzen Tag lang ging dies nun so dahin und es sollte daraus kein Ende mehr geben, denn noch zu jener Zeit, als ich dies im August 2019 schreibe, musste ich dies immer wieder hören.
Aber diese Frage, ob ich denn nicht ein Nazi sein könnte, da ich „solche“ Schuhe trage, hatte auch etwas Amüsantes. Denn nun beobachtete ich selbst, mit welchen Schuhen die Kollegen umherliefen. Dabei viel mir gleich „Hörbi“ auf, der im Büro nicht mit Straßenschuhen umherlief, sondern mit solch Plastik Latschen, welche man üblicherweise in öffentlichen Bädern trägt, um sich nicht einen Fußpilz einzufangen. Aber offensichtlich hat „Hörbi“ Schweißfüße, denn wenn er wieder einmal den Gang entlang stampfte, als wollte er alles niedertreten was ihm in den Weg kam, da fiel mir von nun an stets dieses Quietschen auf, welches seine Schritte begleitete. So ging es, quick, quick, quick, wenn er mal wieder auf dringender Mission als kleine Dampfwalze in Haus unterwegs war, um mithilfe von Lüge, Intrige und Diffamierung alles retten wollte, was er bisher „erreicht“ hatte. – Wenn er doch wenigstens Socken tragen würde, dachte ich mir, dann würde man dieses widerliche Quietschen nicht schon von weitem hören, wenn er durchs Haus stampft. Aber bei ihm schien es gänzlich egal zu sein, welche Schuhe er trägt, bei mir sah dies nun ganz anders aus – ich wurde als Nazi angesehen, nur weil ich „solche“ Schuhe trage!
Nun sah es aber tatsächlich so aus, als ob die Diskussion im Betrieb entbrannt wäre, ob ich „das“ werde, was auch immer damit gemeint war. Es schien zudem so, als hätte mir mein Bekannter am Vorabend tatsächlich wieder einmal erzählt, was wahr zu sein scheint. Ich allerdings kam dabei nun zur Ansicht, ich wäre hier unter einen Haufen völliger Irrer geraten und wollte das Unternehmen nur mehr auf dem schnellsten Wege wieder verlassen. Denn dies hatte keine Zukunft.
Mittlerweile war es später Nachmittag geworden, denn immer wieder, wenn ich an der Raucherecke saß, bot sich mir das gleiche Schauspiel und ich musste mitverfolgen, wie sich meine Kollegen darüber den Kopf zerbrachen, wer, oder was den hinter mir stecken könnte, oder wie ich denn einzuordnen sein könnte, ohne dabei mit mir selbst, mit Ausnahme des Betriebsrates Michael B., zu sprechen. Aber das Gespräch mit Michael B. sollte auch das einzige bleiben, denn er würde sich sehr bald als einer der eifrigsten „Tratschtanten“ über mich im Büro herausstellen!
Jedenfalls hatte ich mir am Nachmittag dieses, meines vierten Arbeitstages bei VA Tech, vorgenommen, am nächsten Tag die Projektsteuerung bei dem Projekt „NVD“ in Linz anzurufen, ob ich nicht doch noch bei diesem Projekt als Bauleiter weiterarbeiten könnte. Denn dies war nun nicht mehr auszuhalten. Und wenn mir der nur einen Funken Hoffnung geben würde, ich könnte weiterarbeiten, dann würde ich am Freitag erst gar nicht mehr in die Arbeit kommen! Denn nun hatte ich, zu allem Überfluss auch noch dieses Gerede im Betrieb am Hals, ob ich denn „das“ werden würde! Offensichtlich ging es dabei tatsächlich um den Job von Josef Sch., dem Geschäftsführer für die Region West!
Für mich war die Situation nur mehr irre. Am Sonntagabend meinte mein ehemaliger Nachbar, das ÖVP Gemeinderatsmitglied und Obmann des örtlichen Wirtschaftsbundes, ich wäre ein Ultralinker, denn ich müsste ja zu denen gehören, sonst würde ich nicht bei denen arbeiten, nun heute wurde ich als Nazi angesehen, welch ich „solche“ Schuhe trage, zudem als Feind der Betriebsräte und der Gewerkschaft angesehen – was mag da wohl noch alles folgen!
(2019-08-30)