Unterach, Freitag, der 13. Juni 2003:
Nun war also die erste Arbeitswoche nach meiner ungewollten einwöchigen Zwangspause nach dem Tod meiner Mutter vorbei und in dieser Woche hatte sich einiges getan. Mittlerweile hatte ich eine neue Arbeit und auch schon meine bisherige Stelle bei diesem Zivilingenieurbüro in Salzburg gekündigt. So könnte es weitergehen, dachte ich mir zumindest noch zu dieser Zeit.
Nachdem ich kurz nach Mittag mit meiner Arbeit in diesem Ingenieurbüro für diese Woche fertig war, fuhr ich wieder, wie jeden Freitag Nachmittag, nach Unterach, um dort meinen Dienst in diesem kleinen Laden, welcher Teil dieses kleinen Elektroinstallationsunternehmen ist, welches ich, zusammen mit meinem Bruder, führten und bei welchem ich als gewerberechtlicher Gesellschafter fungierte.
Kurz nach halb drei Uhr am Nachmittag kam ich dort an. Dort wollte ich mir noch eine Kleinigkeit in der Bäckerei für den Nachmittagskaffee kaufen, daher begab ich mich gleich zu Fuß auf den Weg in die Dorfmitte zur Bäckerei. Doch kaum war ich wenige Meter unterwegs, kam mir meine Nachbarin, Anna Z., aus diesem Dorf entgegen, eine Freundin meiner Mutter, wie sie mir stets erzählte, mit welcher ich noch am Abend nach dem Begräbnis beinahe bis drei Uhr morgens an der Schirmbar am Dorfplatz stand, wo sie zu später Stunde auch noch über mich meinte, gerade als ich einmal kurz auf die Toilette musste und sie, kaum war ich im Haus dieser Weinschänke, zu welcher diese Schirmbar gehörte,
„der ist eh nett!“
Vielleicht war dies nicht gerade der richtige Anlass für solch ein langes Gespräch bis tief in die Nacht hinein, aber es war einfach notwendig und zu einem anderen Anlass hätte ich mit ihr wahrscheinlich auch nie solch ein Gespräch führen können.
Nun allerdings, als ich sie gut eine Woche später am Weg zum Bäcker auf der Straße wieder treffen würde, ging sie einfach auf die andere Straßenseite als sie mich sah, senkte ihren Blick auf den Boden und ging stumm an mir vorbei. Dabei dachte ich mir, siehst du, so ist es in diesem Dorf. Vor gut einer Woche meinte sie noch, ich wäre eh nett, nun wechselt sie einfach die Straßenseite, wenn ich ihr über den Weg laufe und würdigt mich keines Blickes. Aber, vielleicht bin ich auch selbst daran schuld, dachte ich mir, denn mittlerweile hatte ich mich beinahe gänzlich aus dem Dorf zurückgezogen und so gut wie mit niemandem mehr Kontakt, ausgenommen bei meiner Tätigkeit in diesem kleinen Laden, welcher zu unserem Betrieb gehörte. Daher dachte ich mir, vielleicht sollte ich dies einfach wieder ändern und mich wieder mehr mit Leuten aus diesem Dorf beschäftigen, all das bisher Geschehene einfach vergessen und den Blick einfach in die Zukunft wenden, auch wenn ich mittlerweile doch mit sehr vielen Personen aus diesem Dorf einfach nicht mehr klarkommen mochte. Damit wollte ich noch an diesem Abend anfangen.
Daher ging ich am Abend in diese Allerweltskneipe in diesem Dorf, diesem Siggi’s Pub, um mit dort eine Kleinigkeit zum Essen zu kaufen, wollte danach allerdings nicht, wie sonst, gleich wieder zurück nach Salzburg fahren. Sondern noch etwas länger in dieser Kneipe bleiben, um mich mit den Gästen unterhalten. Schließlich war es ja gerade der Freitag Abend, an dem sich viele der Dorfbewohner in diesem Lokal einfinden. Daher war dies auch relativ gut besucht.
Nun aß ich also meine kleine Pizza und begann mich danach auch mit den neben mir stehenden Gästen des Lokals zu unterhalten. Da war zunächst Engelbert G., damals noch dazu der Vizebürgermeister der SPÖ in diesem Dorf, mit welchem ich auch gleich ins Gespräch kam, dankte ich ihm doch noch für seinen unkonventionellen Einsatz beim Begräbnis meiner Mutter. Aber es schien so, als wollte er sich nicht mit mir unterhalten und aufdringlich wollte ich ihm gegenüber auch nicht werden. Daher ging ich wenige Meter weiter, denn dort stand mein Bruder mit seiner Lebensgefährtin. Am Weg zu ihnen kam ich an einem älteren Mann vorbei, welcher direkt am Gang zwischen der Bar und den Tischen stand und sich dort mit anderen Männern, welche zu den üblichen Gästen an einem Freitag Abend zählten, unterhielt. Ich weiß nicht mehr wie ich mit diesem Mann ins Gespräch kam, dies jedenfalls ging sehr schnell. Obwohl ich eigentlich nicht recht wusste worüber ich mich mit diesem meist seltsam grinsenden Mann unterhalten soll, denn ich wusste einfach nur wer er war und dass er mittlerweile nur mehr sehr selten in diesem Dorf anzutreffen ist. Es war Josef Fritzl und gleich am zweiten Tisch nach dem Eingang saß auch seine Frau. Die anderen Gäste schienen sich bestens mit beiden zu unterhalten. Das wunderte mich allerdings auch nicht, denn hatte Josef Fritzl doch jahrelang selbst ein Lokal in diesem Ort. Jedoch war ich dafür viel zu jung, um selbst je Gast bei ihm gewesen sein zu können.
Ich war beinahe bei meinem Bruder und dessen Lebensgefährtin angekommen, als ich mit Josef Fritzl ins Gespräch kam, doch als ich nicht so recht wusste, worüber ich mich mit ihm unterhalten sollte und es daher doch immer wieder kleinere Pausen in diesem Gespräch gab, bemerkte ich, wie sich Claudia Z., die Lebensgefährtin von meinem Bruder, ihn darauf ansprach und sie dabei meinte,
„sollen wir es ihm sagen, dass er sich mit dem nicht unterhalten soll?“
Darauf meinte mein Bruder,
„der geht eh von selbst weg von ihm! – Und wenn nicht, dann zieh ich ihn kurz beiseite!“
Und dann meinte er nach wenigen Augenblicken weiter,
„aber was sagen wir ihm, warum er sich mit dem nicht unterhalten soll?“
Dazu meinte Claudia Z.,
„mit dem hat es etwas! Aber wir wissen noch nicht genau was!“
Nun hatte ich dies mitverfolgt und wendete mich von Josef Fritzl weg, denn mittlerweile störte mich dieses seltsame Grinsen dieses Mannes doch sehr. Dies störte mich zwar bei jedem, der dies aufsetzt, doch bei diesem Mann störte es mich besonders, wobei ich allerdings nicht genau wusste warum. Ich empfand diesen Mann einfach nur widerlich.
Nun wandte ich mich von Fritzl ab und hin zu Claudia Z. und sie meinte sofort zu mir,
„weißt Du wer das ist?“
Darauf ich,
„natürlich! Das ist Fritzl!“
Dann meinte Claudia Z. weiter,
„mit dem solltest Du Dich aber nicht unbedingt unterhalten!“
Darauf wieder ich,
„und warum nicht? – Wenn man sich mit dem nicht unterhalten soll, dann darf man sich mit niemandem von denen, die um ihn herumstehen, nicht unterhalten, denn die sind alle gleich! Und das sind die gleichen Leute, welche überall in diesem Ort anzutreffen sind, egal wohin man geht!“
Da ich mittlerweile ziemlich genervt war von diesem Abend, ging ich sie dabei auch etwas forsch an, worauf sie weiter meinte,
„das mag ja sein, dass Du da recht hast, aber gerade mit dem solltest Du Dich nicht unterhalten, denn mit dem hat es etwas!“
Und danach wiederholte sie noch
„wir wissen zwar noch nicht was, aber mit dem hat es jedenfalls etwas!“
Ich unterhielt mich danach noch ein wenig mit ihr, über den Brand vor vielen Jahren in dessen Lokal am Ortsrand und all dem, was ich sonst noch über ihn und all die übrigen Personen, welche um ihn herum standen und sich mit ihm und dessen Frau unterhielten, wusste, dabei erzählte ich ihr auch mein Erlebnis vom Nachmittag mit Anna Z., zahlte aber dann und fuhr wieder zurück nach Salzburg in meine Wohnung. Jedenfalls waren meine Ambitionen, mich wieder mehr Kontakt zu Leuten aus dem Dorf zu pflegen, an diesem Abend schnell wieder vorbei!
Nun, da längst bekannt ist, was es mit Josef Fritzl auf sich hatte, stellt sich mir die Frage, wusste vielleicht schon damals jemand etwas über ihn und dem, was er seiner Tochter angetan hat? Oder wussten vielleicht einige wenige etwas, allerdings niemand so viel, dass etwas dagegen unternommen hätte werden können? Oder war vielleicht sogar damals schon so viel bekannt, nur niemand wagte es darüber zu sprechen? – Für mich ist allerdings der Fall Fritzl Grund genug, grundsätzlich gegen solch eingeschworene Gemeinschaften zu sein, in der sich alle alles untereinander ausmachen wollen und niemand etwas darüber sagen darf, denn nur solche Gemeinschaften ermöglichen solch einen schrecklichen Fall wie diesen. Denn, ehrlich gesagt, ich kann es jedenfalls keineswegs glauben, dass niemand etwas über dessen dunkle Seite, über dessen Parallelwelt, in der er lebte, wusste, oder wenigstens so viel ahnte, um dagegen einschreiten zu können! Und dies nicht nur wegen diesem einen Erlebnis an diesem Abend.
(2018-10-01)