Unterach, Samstag, der 12. August 2000:
Dummer Weise hatte ich meiner Mutter tags zuvor versprochen, zu Mittag zum Essen zu kommen. Und da die Nacht etwas länger gedauert hatte, hatte ich keine Zeit mehr zu Hause zu duschen, bevor ich mich auf den Weg begeben musste, um rechtzeitig zu Mittag bei meiner Mutter zu sein. Daher stank ich noch regelrecht vom Parfum meiner Bekanntschaft vom Vorabend, als wir, mein Bruder, meine Mutter und ich am Mittagstisch saßen. Ich möchte ja nicht wissen, was sie sich dabei über mich gedacht hatte. Sie hatte dazu nichts gesagt, auch keine Bemerkung fallen lassen, auch in der Zeit darauf nicht. Mir hingegen war es richtig unangenehm. Aber ich war eben so etwas auch längst nicht mehr gewohnt. Daher kam es eben so. – Eine Beziehung sollte aus meiner Sicht daraus nicht entstehen, daher war dies für mich auch weiter nicht bedeutend.
Am Abend fand ich Dorf das jährliche Seefest statt. Das Großereignis des gesamten Jahres im Dorf. Allerdings ist es auch jenes Ereignis, bei welchem man viele Dorfbewohner, welche sonst längst nicht mehr im Dorf irgendwo anzutreffen sind, weil sie meist auch längst nicht mehr im Dorf leben, antreffen kann. Daher hatte ich bis vor einigen Jahren dieses Seefest im Dorf auch sehr geschätzt und es immer und gerne aufgesucht.
Auch an diesem Abend wollte ich dies tun und hatte mir deshalb überhaupt nichts anderes vorgenommen. Allerdings stellte sich an diesem Abend nicht das ein, was ich erhofft hatte, Leute, welche ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte, zu treffen, sondern außer den ohnedies stets anzutreffenden Leute aus dem Dorf, traf ich niemanden. Weshalb dieser Abend, wie schon einige Male an solch einem Seefest, alles andere als ein interessanter Abend wurde. Eigentlich eher ein Abend, um ihn so schnell als möglich wieder zu vergessen.
Jedoch eines blieb mir von diesem Abend am Seefest im Dorf besonders in Erinnerung: Ich traf einen unserer ehemaligen Monteure aus dem Unternehmen, Christian D., welcher vor einem Jahr i Herbst das Unternehmen verlassen hatte. Er hatte sich einfach etwas besseres gefunden. Auch wenn man glauben möchte, dies wäre in solch einer Gegend nicht so einfach.
Doch da Christian D. auch Mitglied der örtlichen Wasserrettung war und diese eigentlich der Veranstalter, neben der Gemeinde selbst, ist, traf ich ihn erst spät am Abend, als das Fest bereits mehr oder weniger schon wieder vorüber war. Aber trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, auch mit ihm etwas zu trinken und mich mit ihm zu unterhalten. Schließlich gehörte er nicht zu den schlechtesten Arbeitern im Unternehmen.
Bei der Unterhaltung mit ihm ging es allerdings auch um private Angelegenheiten. Denn auch dies war einer der Gründe, weshalb er unser Unternehmen verlassen wollte. Dabei meinte er zu mir, er verstünde nicht, weshalb gerade ich immer noch meist alleine anzutreffen wäre und ich nicht längst liiert, oder gar verheiratet wäre. Worauf ich ihm aber auch schnell eine Antwort geben konnte, denn dies verstand auch ich längst selbst nicht mehr. Jedoch wäre dies eben in solch einer gesellschaftlichen Umgebung, wie im Dorf, eben offenbar für jemanden wie mich nicht gerade einfach. Gäbe es dafür doch stets viel zu viel Intrigen und dergleichen. Bei welchem einem schon schnell einmal eine Partnerin im Leben zugedacht werde und wehe man hielt sich nicht daran. Den Fall mit Karin U. musste ich dabei nicht erst auch noch erwähnen, denn diesen kannten, und eben auch er, ohnedies viele.
Doch nun sei eben auch noch etwas anderes dazugekommen. Hatte doch mein Bruder mit Claudia Z. seit gut einem Jahr eine neue Bekanntschaft, Freundin, oder wie auch immer man dies bezeichnen möchte. Worüber man denken mochte, was auch immer man wollte. Es allerdings sehr schnell dazu kam, dass sich viele darüber das Maul zerrissen, wie es eben so ist, in so einem kleinen Dorf. Aber dem nicht genug. Auch wenn mir dies durchaus völlig egal war. Es gab da etwas, was auch mich dabei beschäftigte. Hatte doch Claudia Z. aus ihrer Ehe zwei Töchter. Wobei die ältere längst aus dem Dorf verswunden war. Jedoch ihre jüngere Tochter, Tanja Z., nun um die zwanzig Jahre alt, immer noch im Dorf lebt. Allerdings auch selbst in ihrer Partnerwahl nicht immer auf Zustimmung stößt. Schon gar nicht auf jene ihrer Mutter. Doch diese, und nicht nur diese, es ganz gern sähe, wenn ich mich ihrer annehmen würde. Wenn man das mal so bezeichnen möchte.
Nun konnte ich zwar Tanja Z. selbst ganz gut leiden, sie war auch eine richtig hübsche junge Frau, doch dies eher auf einer platonischen Ebene. Vielleicht auch deshalb, oder auch gerade deshalb, da mein Bruder nun mit ihrer Mutter liiert war und ich sie daher eher als meine Nichte ansah, auch wenn wir eigentlich überhaupt nicht miteinander verwandt waren.
Dazu meinte Christian D., als ich ihm dies erzählte, na dies wäre aber erst etwas. Der große Bruder mit der Mutter und der jüngere der beiden mit der Tochter. Da würden sich aber alle darüber das Maul zerreißen. Was ich eben auch so sah. Weshalb mich auch dies ziemlich belastete. Nicht nun, weil ich dies als etwas absurd ansah, sondern weil ich Tanja Z. eben auch sehr gut leiden konnte. Ihr allerdings keinesfalls weh tun wollte, indem ich sie deshalb grundsätzlich abgewiesen hätte, um wenigstens den Dorftratsch darüber zu entgehen. Zudem war ich auch immer froh darüber, sie zu treffen. War es doch manchmal dabei auch richtig lustig. Und vor allem, an zu vielen guten Bekannten im Dorf, worüber ich zudem auch noch froh war, sie zu treffen, musste ich mittlerweile im Dorf wirklich nicht klagen.
So ist es eben. Das Dorfleben. Angeblich das einzig wahre Leben. Alles andere als einfach. So erlebte ich eben wieder einmal einen, wenn auch trotzdem langen Abend, der eigentlich zum vergessen war.
(2023-05-03)