„Schade um ihn!“
Unterach, Montag, der 2. November 1998 – Allerseelentag:
Irgendwie hatte sich die Kneipe eines meiner damaligen Noch Nachbarn zu einem Treffpunkt an Montagabenden entwickelt. Gerade außerhalb der Saison. Damals hieß sein Lokal noch „Bar Pizzeria Don Quichotte“. Aber, trotz allem, der Kreis der Gäste, welche sich öfters an einem dieser Montagabende bei ihm einfand, blieb doch sehr überschaubar. Doch an diesem Montagabend war dies anders. Gut, es war Allerseelentag und wer dies selbst einmal erlebt hat, einen Angehörigen im abgelaufenen Jahr zu verlieren, weiß, dass es an solch einem Abend gilt, sich in der Kirche blicken zu lassen. Gerade in solch einem kleinen Dorf wie diesem. Danach gibt es eben doch auch immer wieder sehr viele, welche sich danach noch in einem Lokal einfinden. Zudem existierte schon damals ein Stammtisch der Kirchengänger am Sonntag, welche sich dort nach dem Gottesdienst einfinden und Punkt 12 Uhr das Lokal verlassen, denn schließlich und endlich müssen sie ja pünktlich zu Mittag zu Hause sein.
An diesem Abend waren allerdings nicht nur die üblichen Montagabend Gäste und die Kirchengänger anwesend, sondern dieses Lokal war regelrecht gut besucht. Auch von anderen Gästen, welche man sonst dort eigentlich kaum sah. Unter diesen Gästen waren auch zwei Mädchen. Die Tochter der Partnerin meines Bruders und ihre Freundin aus dem Dorf. Mit beiden verstand ich mich damals relativ gut und ein Zusammentreffen war meist auch durchaus angenehm und lustig. Wobei man dies keinesfalls falsch verstehen darf, denn beide gingen damals noch zur Schule. Noch dazu war eben eine der beiden die Tochter der Freundin meines Bruders, oder wie auch immer man diese Partnerschaft bezeichnen soll.
Nun setzte ich mich also an den Tisch, an welchem die beiden Mädchen saßen und wir hatten auch regelrecht Spaß an diesem Abend. Aber plötzlich sah ich meine Nachbarin, die Wirtin dieses Lokals, wie sie von einem der Tische, an welchem sie gerade bediente, zurück hinter den Tresen ging und mich dabei ansah, etwas lächelte und sagte,
„schade um ihn!“
Sie sah mich dabei direkt an, auch noch, als ich sie ansah, lächelte, dabei sogar zusätzlich mit einem zufriedenen Gesamteindruck und verschwand hinter dem Tresen. Dabei sprach sie allerdings mit niemandem, sondern sie sagte dies einfach laut und deutlich vor sich her. Nun war ich doch etwas verwundert, denn warum meinte sie, es sei schade um mich? Ich konnte mir darauf einfach keinen Reim bilden. Es ergab für mich keinen Sinn. Gut, unser Verhältnis zueinander war bei weitem nicht dies, wie man es sich zwischen Nachbarn erwarten könnte, aber warum sie nun meinte, es sei schade um mich, dafür hatte ich keine Erklärung. Daher achtete ich nun darauf, was sie sonst noch so von sich gibt, sobald ich sie irgendwo im Lokal erblickte, vielleicht würde ich dahinter kommen, was sie denn meinte. Unser Spaß am Tisch war nun beinahe schlagartig vorbei, denn ich war mit meinen Gedanken mittlerweile meist ganz woanders. Danach gingen die beiden Mädchen auch, denn sie mussten doch am Tag darauf, früh morgens bereits in die Schule nach Bad Ischl fahren.
Als ich nun an die Bar zurück ging, denn ich wollte noch etwas in der Kneipe bleiben, sah ich, wie Peter B., der zu den Stammgästen in diesem Lokal zählt, meine Nachbarin fragte,
„wieso? Was ist denn mit ihm?“
Worüber die beiden zuvor sprachen, hatte ich leider nicht mitbekommen. Aber darauf antwortete meine Nachbarin,
„Der G. (Bruno G.) hat ihn der Mafia ausgeliefert! Er hat gesagt, ihn wollen wir nicht, sie sollen ihn weg tun.“
Danach sah sie mich, wie ich zur Bar gekommen war, sah mich dabei an und lächelte wieder zufrieden.
Nun war ich erst recht verwirrt. Denn mit Brune G., gelegentlich wurde er auch „Brunsky“ genannt, hatte ich in meinem Leben noch nie etwas zu tun. Ich kannte ihn lediglich und wusste, wer er war. Aber ich hatte noch nie mit ihm auch nur eine einzige Unterhaltung. Mehr als Grüßen hatten wir noch nie ein Wort miteinander gewechselt. Ich kann mich auch heute nur an eine einzige Begegnung mit ihm erinnern, bei der ich ihn direkt angetroffen hatte, dabei allerdings auch kein einziges Wort außer einen Gruß miteinander wechselten und dies war kurz nach der damaligen Wahl des neuen Bürgermeisters, als er sich schon als sicherer Nachfolger des damaligen Bürgermeisters der ÖVP fühlte, die Wahl danach allerdings kläglich an den Kandidaten der SPÖ, Hermann P., verloren hatte. Damals hatte sich beinahe das gesamte Dorf über ihn und seine arrogante Art lustig gemacht und er trotzdem meinte, neuer Bürgermeister zu werden. Sogar Mitglieder der örtlichen ÖVP schlossen sich dem Spott über ihn an. Und kurz nach dieser Wahl sah ich ihn eines Tages, als er an einer öffentlichen Anschlagtafel am Kirchenplatz ein Blatt Papier hinter der Glasscheibe anbrachte und dabei völlig genervt und beinahe fluchend meinte, alles könne er selbst machen. Genau in diesem Augenblick ging ich an ihm vorbei und er entdeckte mich etwas erschrocken, grüßte mich dann allerdings auch. Dies war die einzige Begegnung, welche ich mit ihm jemals hatte! Und nun soll er mich an die Mafia ausgeliefert haben, damit sie mich weg tun, da sie mich nicht mochten. Hätte Beate Sch., meine Nachbarin, so manch anderen Namen genannt, dann hätte ich dies sogar verstanden, aber mit Bruno B. hatte ich bisher einfach keinen Kontakt, sodass er der Meinung sein könnte, mich nicht zu mögen.
Und dann war da noch die Aussage, er hätte mich der Mafia ausgeliefert! Welche Mafia sollte das sein? – Wobei ich eines sagen muss, damals gab es sehr wohl in diesem Dorf etwas, was als Mafia bezeichnet worden war. Dies meist im Zusammenhang mit einem ehemaligen Hotel am Mondsee, in Kreuzstein, welches bereits in den 1950er Jahren geschlossen wurde. Hier hieß es öfter Mals, dort würde es mafiose Umtriebe geben. Dieses Hotel hatte nie mehr wirklich aufgesperrt, aber gelegentlich gab es dort so etwas wie ein Café, oder dergleichen, welches in den Sommermonaten aufgesperrt hatte. Doch dahin verlief sich kaum ein Einheimischer des Dorfes. Außerdem war das gesamte Haus sehr verrufen und niemand wusste so recht, was hier geschah. Zudem gab es im Dorf eine Kneipe, welche in einem Firmengelände einer ehemaligen Möbelfabrik untergebracht war, mit dem Namen Captain’s Pub. Aber damals hielt ich sogar die Existenz dieser Kneipe lediglich für dummes Geschwätz, denn ich wusste nie wo diese Kneipe eigentlich sein sollte, denn es gab weder irgendwelche Schilder an den umliegenden Straßen, noch war sonst ein auffälliger Verkehr um dieses ehemalige Firmengelände der Burgauer Möbelfabrik zu erkennen, von dem man hätte schließen können, dort würde sich ein Lokal befinden. Erst einige Zeit später, als ich eines Tages mit dem Fahrrad der Seeache zwischen Attersee und Mondsee entlang fuhr und kurz vor dem Mondsee nicht dem üblichen Weg um das Firmengelände dieser Möbelfabrik nahm, sondern einfach durch fuhr, sah ich an einem der Gebäude tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift Captain’s Pub“. Erst ab diesem Zeitpunkt glaubte ich an die Existenz dieses Lokals. Zudem, wenn über dieses Lokal gesprochen wurde, dann ausschließlich von den üblichen Verdächtigen, welche sich regelmäßig in einem der Bordelle, von denen es in dieser Zeit gleich drei im Umkreis von vier Kilometern gab, gesprochen. Und erst, als ich noch längere Zeit später an einem Sonntagabend mehrere Personen in diesem „Sigi’s Pub“ im Dorf sah, bei denen es hieß, dies sei Personal aus dem Captain’s Pub, nach ich aus das restliche Gerede über dieses Lokal ernst. Denn diese Personen passten so gar nicht in diese sonst so ländliche Gegend. Gerade außerhalb der Saison, welche in diesem Dorf im Sommer lediglich von Juli bis August geht.
Aber, trotz allem, ich konnte damals überhaupt keinerlei Verbindung zwischen Bruno G. und diesen beiden Orten herstellen, in denen es, sie hieß es, mafiose Umtriebe geben soll. Gut, bei diesem Hotel in Kreuzstein befindet sich auch ein Tennisplatz, welcher vom örtlichen Tennisverein mit benützt wird und ich wusste natürlich auch, dass Bruno G. ein regelmäßiger Tennisspieler und im Sportverein ist, aber trotzdem, hier brachte ich einfach keinerlei Verbindungen zusammen.
Daher wurde ich an diesem Abend das erste Mal richtig stutzig. Denn, falls es hier tatsächlich etwas gäben sollte und ich dem ausgeliefert wäre, dann wäre dies eine Erklärung für all die vielen persönlichen Tiefschläge, welche ich nun immer häufiger einstecken musste. Dies war gerade damals im abgelaufenen Sommer so schlimm, aber auch die Jahre zuvor schon, dass ich dadurch beinahe psychische Probleme bekommen hätte. Wäre da nicht auch noch ein doch sehr übertriebenes abfälliges Verhalten anderer Mitbürger gewesen, was mich gerade im Sommer, an manchen sonnigen und heißen Tag so weit brachte, dass ich mich zu Mittag nicht, wie früher, an den See begab, sondern ich mich ins Auto setzte und nach Salzburg fuhr, nur um dort die Mittagspause zu verbringen, ich musste einfach gelegentlich ganz andere Leuten sehen, dann hätte ich wirklich echte psychische Probleme bekommen. Aber so dachte ich mir, hier gibt es eben verschiedene Personen, welche mich einfach nicht mögen und daher eben auf mich los gehen. Im Allgemeinen würde man dies einfach als Mobbing bezeichnen. Aber dies ging schon weit über das übliche Maß hinaus, sodass ich schon seit längerer Zeit vermutete, meine persönlichen Tiefschläge, welche ich immer öfters hinnehmen musste und zudem in immer kürzeren Abständen, können einfach kein Zufall sein.
Nun an diesem Abend hörte ich zum ersten Male, ich wäre der Mafia ausgeliefert worden und diese sollte mich eliminieren, da man mich in diesem Dorf nicht wolle. Daher war für mich eines klar, in der Folge galt es für mich herauszufinden, was denn dies sein könnte und welche Zusammenhänge es denn dabei gäbe. Dazu muss ich erwähnen, die Situation war für mich bereits damals so in diesem Dorf, als würde ich den Gehsteig entlang gehen, vor mir eine Bananenschale am Boden liegen sehen und wusste, ich könnte tun und lassen was ich wollte, ich werde auf die Bananenschale treten und danach darauf ausrutschen. Denn, wenn ich nur an die Angelegenheit im Zusammenhang mit der Umwidmung unseres Grundstückes denke, dann wurde ich bereits damals, sobald irgendwo darüber gesprochen wurde, ja nicht einmal mehr ignoriert. Daher, es war nicht so, dass ich mich aus Jux und Tollerei auf die Fährte dieser angeblichen Mafia begab, sondern für mich war es eine Notwendigkeit zu wissen, worin das Problem liegt, denn es ging schon damals so nicht länger weiter. Ich musste eben etwas ändern in meinem Leben und dafür musste ich eben wissen, was die Ursache für die Probleme sind. Ich wollte auch keinen Schuldigen finden, sondern lediglich wissen, was los ist, um danach in meinem Leben die richtige Änderung vornehmen. Dass ich in dieses Dorf, in diese Dorfgemeinschaft kaum passen würde, das war mich auch schon viele Jahre zuvor klar. Aber ich konnte leider Vieles nicht ändern, denn da gab es noch das Problem mit meiner Mutter, welche sich seit dem Tode meines Vaters nicht mehr erholt hatte, und da war auch noch das kleine Unternehmen meines Vaters, welches zwar mein Bruder weiter führte, ihm allerdings dafür die gewerberechtlichen Voraussetzungen fehlten, welche ich hatte und daher als gewerberechtlicher Geschäftsführer in diesem Unternehmen im Firmenbuch eingetragen war. All dies konnte ich damals einfach selbst nicht ändern, daher blieb mir überhaupt nichts anderes übrig, als mich mit der Dorfgemeinschaft in Unterach zu arrangieren. Oder es zumindest zu versuchen. Wobei ich allerdings auch sagen muss, wirkliche Probleme hatte ich gerade mal mit einer Hand voll Personen. Mit sehr vielen aus diesem Dorf verstand ich mich damals noch äußerst gut und es hätte für mich keinen Anlass gegeben, tatsächlich ganz aus diesem Dorf weg zu ziehen.
Also blieb für mich nur ein Weg – herauszufinden wo das Problem liegt und zu versuchen, dies zu lösen! Und die Lösung dafür schien mir durchaus möglich, denn damals hatte ich lediglich in Unterach und gelegentlich in Mondsee Probleme, sonst nirgends. Schon gar nicht in Salzburg, wo ich zwar mittlerweile meine Wohnung hatte, allerdings trotzdem sehr viel Zeit in diesem Dorf verbrachte – ja verbringen musste. Vielleicht gab es wirklich für all meine Probleme im Leben eine Erklärung, vielleicht auch nur für einige, und auch einen direkten Zusammenhang – ich sah ihn damals einfach noch nicht. Ich hätte es allerdings auch niemals für möglich gehalten, was ich in den folgenden Jahren darüber noch in Erfahrung bringen würde – niemals! Schon gar nicht in Österreich.
Wirklich problematisch waren lediglich Personen, wie meine damalige Nachbarin, welche mich offensichtlich an diesem Tag bereits abgeschrieben hatte, dies genüsslich anderen Gästen in ihrem Lokal erzählte und sich darüber sogar noch zu freuen schien. Ich hatte meiner Mutter oft viele Vorwürfe gemacht, da sie sich nach dem Tode meines Vaters nicht mehr zu fangen schien, heute weiß ich, ich habe ihr dabei viel Unrecht getan, denn in solch einer Gemeinschaft, in der sie sich befand, hätte niemand jemals mehr eine Chance!