Unterach, Sonntag, der 4. Oktober 1998:
Jene zwei Wochen, in welchen „Michi“ diesem Sommer noch einmal zurück in das Dorf kommen wollte, schienen nun doch endgültig zu Ende zu sein. Denn wenn sie im Oktober eine höhere Schule, was auch immer das sein mochte, beginnen wollte, dann würde sie dies spätestens nun am folgenden Montag tun. Gesehen hatte ich sie allerdings nie!
Allerdings wurde mir bewusst, dass ich am Abend des Kirtags, als ich sie doch noch einmal getroffen hatte, einen gravierenden Fehler begangen hatte. Ich hätte ihr wenigstens meine Telefonnummer geben sollen, wenn ich ihre schon nicht erhalten hatte. Denn es konnte nun ja gut sein, dass sie schon wieder belagert wurde und ich sie deshalb nicht mehr zu sehen bekommen hatte. Zudem hatte ich auch von diesen seit Ende August niemanden mehr gesehen. Aber für mich schien dies so fix zu sein, dass sie am Samstag, den 12. September wiederkommen würde, sodass ich mir deshalb nichts gedacht hatte. Zudem wäre zu dieser Zeit die Saison längst zu Ende, weshalb ich auch nicht daran gedacht hätte, sie vielleicht irgendwo zu verfehlen, oder dass wir aneinander vorbeilaufen.
So ging ich an diesem Abend, wie früher an Sonntagabenden, wenn ich im Dorf war, zu „Sigi’s Pub“. Dort trafen sich gerade an Sonntagabenden ganz anderen Leute als gerade an Wochenenden, wobei dies dann auch manchmal richtig lustig und auch interessant wurde.
Aber an diesem Abend füllte sich plötzlich das Lokal mit jener Truppe aus dem Sommer. Dann kam auch noch „Fritz“, sein langjähriger Partner Andreas G., und noch weitere Leute aus dessen Umfeld. Weshalb ich mir schon dachte, es könnte durchaus sein, dass mir heute noch einmal eine Trophäe präsentiert wird! Daher war die Situation doch ziemlich angespannt.
Doch da höre ich, wie „Sigi“, der Wirt des Lokals, nachdem er mich zunächst skeptisch angeblickt und regelrecht gemustert hatte, zu seiner Frau meinte und dabei mit dem Kopf in meine Richtung deutete,
„was ist denn mit ihm schon wieder los? Ich dachte, die kommt noch einmal heuer?“
Worauf dessen Frau Christa meinte,
„die wäre eh noch einmal gekommen! Sie hätte sich auch schon das Zimmer und alles andere organisiert!“
Sigi,
„und warum ist sie dann nicht wiedergekommen?“
Christa,
„angerufen hat sie bei denen wegen ihm und der (wobei sie auf Fritz deutete) hat ihr gesagt, das ist ein Salzburger! Der ist längst schon wieder irgendwo! Wegen dem brauchst Du heuer nicht mehr kommen!“
Da sehe ich ein Kopfschütteln on „Sigi“. Allerdings sehe ich auch, dass „Fritz“ dies mitgehört hatte und nun hämisch zu grinsen beginnt.
Worauf „Sigi“ zu seiner Frau meint,
„ja, wenn er dann wenigstens auch drinnen bleiben würde! – Denn so gibt es bei uns dann immer wieder die Probleme.“
Nun dachte ich mir, jetzt haben wir aber dann wirklich wieder ein Problem bis nächsten Sommer. Denn nächste Woche ist nun auch meine Lebenspartnerin wieder regelmäßig in Salzburg und ich sehe aber nicht ein, weshalb ich mich nun nach Salzburg zurückziehen soll, mich von hier vertreiben lassen soll, wenn hier derart dämlich, ja richtig kindisch, um es zu sagen, wie es ist, intrigiert wird.
Allerdings ging es dann an der Bar weiter. Denn Andreas M., der langjährige Partner in der Gastronomie von „Fritz“, hörte dies ebenfalls mit, mischte sich ein und meinte darauf,
„die kommt schon wieder! Nächstes Jahr kommt sie bestimmt wieder!“
Die Nase hatte ich nun allerdings voll und mischte mich ebenfalls in das Gespräch ein. Ich tat zwar so, als hätte ich den Beginn nicht gehört. Weshalb ich zuerst Andreas G. fragte, wer denn nächstes Jahr wieder kommen würde. Diese „Michi“? Doch darauf antwortete ich ihm, die würde nächstes Jahr mit Sicherheit nicht mehr kommen. Gerade nachdem was sie mir am Abend des Kirtags, als ich sie hier noch getroffen hatte, erzählt hatte. Sie den ganzen Sommer regelrecht belagert wurde, bis sie endlich hergegangen wäre – und dann war es doch nichts. Daher wird sie sich so einen Sommer sicher nicht noch einmal antun.
Intrigiert wird überall. Die gesamte Weltliteratur ist voll davon. Neid und Missgunst mag auch nicht selten sein. Manchmal läuft es auch einfach dumm. Daher wäre dazu grundsätzlich nichts weiter zu sagen. Doch was sich in diesem Sommer seit Anfang Juli abgespielt hatte, das schien mir nun nicht mehr normal zu sein. Denn manchmal kam es richtig geballt. Von allen Seiten. Zuerst mit dieser schallenden Absage, welche ich auf meine Bewerbung im Landeskrankenhaus Salzburg erhalten hatte, worauf ich dummerweise reagiert hatte. Aber dann, als es mit meiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter in diesem Ingenieurbüro tatsächlich zu Ende ging, plötzlich auch noch diese groben Unstimmigkeiten mit meinem Bruder entstanden, die gar in einem heftigen Streit in diesem Lokal endeten, und nun auch noch das. Das schien mir einfach kein Zufall mehr zu sein. Wobei ich dem damals noch keine große Bedeutung beimaß. Denn es konnte sehr gut sein, dass das Ergebnis meiner Bewerbung eben durch irgendjemanden ins Dorf geschleppt wurde, auch über meinen Bruder sehr viel über meine sonstige Tätigkeit außerhalb des Unternehmens daheim als freier Mitarbeiter eines Ingenieurbüros in Salzburg weitererzählt wurde. Aber dass man danach auch noch dermaßen geballt auf einen losgehen konnte.
Zudem war dann auch noch jene Situation, als sich plötzlich die „Bürgerliste“ aus dem Gemeinderat, deren Obmann dieser Herbert K., der Vater von Eva K., war, sich um unsere Umwidmung annehmen wollte, ich dabei allerdings völlig außen vorgelassen wurde. Helmut L., ein Mitglied der „Bürgerliste“ bei uns im Laden auftauchte, aber als er nur mich angetroffen hatte, meinen Bruder verlangte, um mit ihm über unser Grundstück und in welcher Form sich nun die „Bürgerliste“ darum annehmen möchte, das schien mir auch kein Zufall mehr zu sein.
Daher kam ich zur Ansicht, mein „Freundeskreis“ in diesem Dorf dürfte wohl deutlich größer sein, als ich bisher angenommen hatte. Denn bei den Leuten aus der Weinschänke am Dorfplatz wusste ich ja, woher dies kam und was ich von ihnen mittlerweile erwarten musste. Auch in diesem Lokal, in „Sigi’s Pub“, wusste ich schon einige Zeit, dass es hier größere Spannungen gäbe, welche schon beinahe so weit gehen würden, dass mich der Wirt Siegfried T. aus dem Lokal hinaushaben möchte. Was sich auch an diesem Abend wieder deutlich zeigte.
Aber da schiene noch andere zu meinem „Freundeskreis“ zu gehören, bei welchem ich mich wohl künftig in Acht nehmen sollte. Wobei ich dies gerade bei „Fritz“, aber auch bei Andreas G. bisher nicht vermutete. Und da gab es offensichtlich noch eine Menge anderer, mit denen ich bisher gar nicht gerechnet hatte. Da wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als künftig darauf zu achten, wer sich hier untereinander so gut kennt, sodass derart konzertiert gegen mich intrigiert werden konnte.
Eines fiel mir allerdings dabei auch auf. In all diesen Grüppchen, welche da zu meinen „Freunden“ zu zählen waren, sind immer auch Personen mit dabei, welche regelrechte Stammkunden in einem der umliegenden Bordelle sind. Nicht umsonst gab es zu dieser Zeit im Umkreis von drei Kilometern auch drei Bordelle. Und die schienen richtig gut besucht zu sein.
Bei Andreas M., dem Wirt der Weinschenke am Dorfplatz, war dies ja hinlänglich bekannt, dass er regelmäßig zu seinen „Schnuckies“, wie er sie nannte, in das Bordell im Dorf geht. Dort seinen „Saft“ trinkt, was nichts anderes als Bacardi Cola ist, dies allerdings in rauen Mengen, und diesen, weil es ihn offenbar an so schöne Abende erinnert, auch in anderen Lokalen in nicht geringeren Mengen genoss. Ja selbst an der Bar in seinem Lokal trank er an einem Abend mehr davon, als es der Durst erforderte.
Auch dieses Lokal war hinlänglich bekannt dafür, dass ganze Truppen, gemeinsam mit dem Wirt, geschlossen das nächste Bordell aufsuchten. Dies allerdings nicht irgendwie diskret, sondern nach dem Motto, Tuff, Tuff, Tuff, wir fahren in den Puff.
Ganz abgesehen von diversen Frauenbesuchen, welche der Wirt dieses Lokals nachts, als seine Frau im Wohnhaus bereits vor dem Fernseher saß, hatte und mit denen er dann doch etwas länger in der Küche verschwunden war. Ich dachte mir immer, dies wäre auch der einzige Grund dafür, weshalb mich Siegfried T. noch nicht aus seinem Lokal hinausgeworfen hatte. Schließlich könnte ich da etwas erzählen.
Aber diese Doppelmoral ärgerte mich schon damals so sehr. Denn wie konnte man sich einerseits derart benehmen und andererseits dann auf mich derart losgehen, nur weil ich angeblich nicht „tuen“ würde. Und würde ich dann einmal „tun“, dann wird derart intrigiert, sodass daraus nichts werden konnte.
Da gab es nun allerdings offenbar noch eine Menge anderer Leute, mit welchen ich nun die gleichen Probleme zu haben schien, welche ich allerdings überhaupt keinem dieser Grüppchen in Dorf zuordnen konnte. Weshalb ich zur Ansicht gekommen war, hier könnte es nur um andere Begehrlichkeiten gehen.
Und gerade diese Begehrlichkeiten brachten mich immer wieder auf den Gedanken, dabei könnte es sich um die Umwidmung unseres Grundstückes in der Kohlstatt handeln. Denn dabei handelte es sich um 13.500 m² Grund, welchen wir gerne als Bauland gewidmet haben wollten. Wobei der mittlere Preis für ein Grundstück in dieser Lage damals circa 2.000 Schillinge pro Quadratmeter betrug. Sollte nun jemand, der sich nicht weiter um unser gesamtes Anliegen in dieser Sache kümmerte, den Taschenrechner zücken, diese 13.500 m² mit 2.000 Schillingen pro Quadratmeter multiplizieren, so würde er auf 27 Millionen Schilling kommen. Heute circa 2 Millionen Euro. Und das ist vielen der handelnden Personen jederzeit sofort zuzutrauen – das schafft eben Begehrlichkeiten. Noch dazu da dies von der Zustimmung des Gemeinderates abhängig ist. Und nichts einfacher ist, als jemanden als derart unmögliche Person hinzustellen, sodass es den Gemeinderatsmitgliedern beinahe unmöglich ist, dem zuzustimmen.
Darin lag die Erklärung, weshalb ich, sobald es an einem Fest, in einem Lokal, oder wo auch immer, lustig wurde, wenn nur Einheimische anwesend waren. Ich dann keinesfalls als Herumtreiber, oder als einer, der nicht „täte“ hingestellt wurde. Denn so wäre eben bei mir etwas zu holen. Jedoch, sobald Auswärtige mit im Speil waren, auch Zweitwohnungsbesitzer und deren Töchter, oder wie in diesem Sommer eine junge Frau, welche nur die Saison über im Dorf arbeitete, dann sähe dies gleich anders aus. Denn hier bestünde ja die Gefahr, dass ich jene Vorbehalte gegen mich ausräumen könnte, allerdings daran niemand aus dem Dorf mit dabei sei!
Daher kam ich immer wieder zum Ergebnis, das Einreichen der Umwidmung für unser Grundstück muss wohl der Auslöser für jene Feindseligkeiten gegen mich sein, welche 1993 noch ziemlich harmlos begonnen hatte, nun allerdings bereits ein beinahe unerträgliches Ausmaß angenommen hatten. Zumindest in diesem Dorf.
Nun dachte ich mir, da wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als ausfindig zu machen, wer sich hier aller in der Feindseligkeit gegen mich derart gut versteht, sodass daraus ein Sommer wie dieser werden kann. Denn sonst werde ich dieses Problem in meinem Heimatdorf wohl nie aus der Welt schaffen können. Denn es hätte in diesem Sommer auch alles ganz anders ausgehen können. Auch dieser Abend an jenem unsäglichen Kunsthandwerker Markt. Aber hätte es mir tatsächlich etwas gebracht, wenn danach derart intrigiert wird? Wahrscheinlich wäre es nach ein paar Tagen oder ein paar Wochen ohnedies wieder vorbei gewesen. Oder vielleicht ist dies auch der Grund dafür, weshalb ich so viele Leute, auch junge, hübsche Dorfbewohner, zwar meist aus Zweitwohnungshaushalten, so gut wie nie zu sehen bekomme, obwohl ich wusste, dass sie hier sind?
In diesem Dorf müsste ich eben wie eine Maschine funktionieren. Aber das bin ich eben nicht. Und unter vielen der Umstände, in welchen ich damals zu leben hatte, ginge das auch keinesfalls.
(2022-08-20)