Unterach, Mondsee, Samstag, der 19. September 1998:
Die ganze Woche übe, seit letzten Samstag, war ich brav in meinem alten Heimatdorf geblieben. Damit nur ja nicht wieder irgendjemand auf die Idee kommen könnte, ich würde mich nun herumtreiben. Aber „Michi“ hatte ich nirgends mehr gesehen.
Daher bin ich nun zur Ansicht gekommen, in diesem Jahr werde ich sie auch in diesem Dorf nicht mehr sehen. Das Wetter ist seit Anfang September zudem auch sehr schlecht geworden. Von Badewetter war schon längst keine Spur mehr. Und wenn es erst einmal schlechtes Wetter geworden ist, meist regnet und zudem auch noch kalt ist, dann kann es hier ziemlich trostlos sein. Besonders dann, wenn nur einige Tage, wenige Wochen zuvor schönstes Hochsommerwetter herrschte. So war es auch mehr als unwahrscheinlich, sie hier in diesem Jahr noch einmal zu sehen. Denn, ich fragte mich immer wieder, was macht ein junger Mensch Anfang zwanzig, der noch dazu nicht aus der Gegend stammt, in diesem Dorf im Urlaub? Es hätte zwar einen Grund gegeben, aber da ich sie in dieser Woche nicht gesehen hatte, schien es wohl so zu sein, als war’s das für dieses Jahr.
Zudem hatte ich schon die Befürchtung, die überhaupt nicht unbegründet war, deshalb gleich in die nächste „Geschichte“ hineingedrängt zu werden. Braucht es doch nur die Möglichkeit, ein junges Mädel, die unvergeben im Dorf herumläuft, dann werden daraus gleich wieder die größten Geschichten entwickelt. Wie jene Bedienung, die über den Sommer in diesem „Sigi’s Pub“ arbeitete, und immer noch dort arbeitet. Da es ihr offenbar in diesem Dorf zu gefallen scheint. Und nun ich, beinahe jeden Tag abends in diesem Lokal, da ich darauf hoffte, diese „Michi“ vielleicht doch noch anzutreffen, mehr braucht es nicht, um mir gleich die nächste „Geschichte“ anzudrehen. Irgendwie scheint sich ja für manche Leute das ganze Leben nur ums „Tun“ zu drehen. Und wo Möglichkeit gestehen könnte, da muss doch einer „tun“. So kam es, dass ich mir dachte, es sei wohl besser, wenn ich mich nun wieder mehr aus dem Dorf verziehe, sonst übersehe ich es wieder und es heißt, der „tut nicht“. – Aber ich hatte es leider schon wieder übersehen. Aber dazu erst später.
So fuhr ich wieder einmal abends nach Mondsee, um dort Ralphs Schlossbar zu besuchen. Dort war ich ja schon längere Zeit nicht mehr. Aber da kam mir auf der Fahrt mit dem Auto nach Mondsee die Idee, vielleicht ist „Michi“ mit ihrer Freundin zurück in das Dorf gekommen, will aber mit den Einheimischen nicht mehr viel zu tun haben, vielleicht auch nicht einfach wieder die ganze Zeit regelrecht belagert werden, sondern unternimmt nun all das, was im Sommer nicht möglich war. Zum Beispiel, durch diese Belagerung, abends anderswo auszugehen. Da bestünde doch durchaus die Möglichkeit, sie in Mondsee anzutreffen. Dort hat mittlerweile dieses „Big Bamboo“ auch wieder geschlossen, weshalb es nun dort auch nicht mehr viele Möglichkeiten gibt, ein Lokal zu besuchen. Daher könnte ich doch, bevor ich in Ralphs Schlossbar gehe, wo durchaus auch die Möglichkeit bestand, sie anzutreffen, mal in andere Lokale nachschauen, ob ich sie nicht dort irgendwo sehe. – Und wenn ich „Michi“ schon nicht treffe, dann könnte ich zudem nachschauen, ob ich nicht jene junge Frau, mit welcher ich mich am Freitagabend vor einer Woche im „Big Bamboo“ so angenehm unterhalten habe.
Daher stellte ich mein Auto, wie üblich, im Schlosshof in Mondsee ab, ging allerdings nicht gleich in Ralphs Schlossbar, sondern wollte er die beiden anderen Lokale, welche nun eigentlich nur mehr übrigblieben, um dort jemanden zu treffen, ehrlich gesagt, um samstagabends auszugehen, dieses „K.u.k. Postamt“ und das gleich danebenliegende „Mexx“, wie es damals hieß.
Doch kaum gehe ich dort bei der Tür rein, schien es, als sei an diesem Abend hier gar nichts los zu sein. Daher ging ich erst einmal in dieses „Mexx“. Und als ich dieses Lokal betrete, kommt mir Klaus O., der Barchef des „Big Bamboos“, entgegen. Ich grüße ihn, da ich ihn ja nun auch seit einer Woche persönlich kenne, als ich mich mit dieser jungen Frau aus Mondsee in seinem Lokal so nett unterhalten hatte. Doch er sagt nicht, sieht mich nur fürchterlich böse an und faucht mich auch regelrecht an dabei. Zunächst dachte ich mir nichts weiter dabei. Vielleicht würde er mich mit jemanden verwechseln – aber dann dachte ich mir wieder, das scheint es wohl nicht zu sein. Also gehe ich weiter, um mich im Lokal umzusehen. Aber da waren keine weiteren Gäste mehr zu sehen. Es schien, als wäre Klaus O. zuvor dort der einzige gast gewesen. Weshalb ich leise, aber für jemanden der neben mir steht, doch deutlich zu hören, vor mich her,
„na, da ist heut‘ nicht viel los!“
Denn im Augenwinkel sehe ich, dass Klaus O., nachdem ich ihn begrüßt hatte, er mich allerdings nur angefaucht hatte, stehengeblieben war und nun ganz genau verfolgte, was ich tue. Irgendwie wollte ich ihn damit beruhigen und ihm zeigen, dass ich lediglich nachsehen wollte, was in diesem Lokal an diesem Abend los sei.
Als ich sonst niemanden, ausgenommen der Bediensteten, mit denen ich nichts zu tun hatte, in diesem Lokal sehen konnte, drehte ich wieder um und ging in das andere Lokal rüber. Doch da bemerkte ich, wie mir Klaus O. nun folgte. Aber als ich nun in dieses „K.u.k“ eintrat, musste ich feststellen, dort sind überhaupt keine Gäste. Lediglich die Bediensteten. Daher drehte ich auch hier wieder um, um das Lokal zu verlassen. Doch Klaus O. stand hinter mir, blickte mich immer noch an, als wollte er mich fressen und verfolgte ganz genau was ich tat. Daher fragte ich ihn,
„was ist denn?“
Als ich nun noch einmal an ihm vorbeiging. Doch dieser fauchte mich wieder nur an.
Nun wollte ich allerdings das Lokal wieder verlassen. Stellte allerdings fest, gerade als ich die Ausgangstür öffnen wollte, Klaus O. hatte mich nun schon wieder regelrecht verfolgt und beobachtete immer noch ganz genau was ich tat. Daher blieb ich in der Tür noch einmal kurz stehen, drehte mich zu ihm um und fragte ihn noch einmal,
„was ist denn!“
Doch aus dessen Mund kam immer noch nichts. Er blickte mich einfach immer noch unvorstellbar böse an. Als hätte ich etwas ganz Schlimmes angestellt und er mich dabei erwischt. Allerdings wurde ich nicht schlau daraus, worin die Ursache liegen könnte. Er hätte mich ja nur fragen müssen, was ich hier verloren hätte. Einen Teil davon hätte ich ihm ja erzählt. Darin wäre auch er vorgekommen.
Daher dachte ich mir, als ich dann wieder aus dem Lokal draußen war, der mag mich wohl nicht. Rätselte dabei aber den ganzen Weg rüber zu „Ralphs Schlossbar“, worin die Ursache für dieses für mich doch äußerst seltsame und unverständliche Verhalten von Klaus O. Als wäre vielleicht ich schuld daran, dass an diesem Abend in diesen beiden Lokalen aber schon gar nichts los sei. Allerdings hatte ich mit niemandem in diesem beiden Lokalen bisher etwas zu tun, daher konnte es doch auch nicht an mir gelegen sein. Dass er mich mit jemanden verwechselte, das konnte auch nicht sein. Schließlich war es gerade mal eine Woche aus, als ich mich mit ihm in dessen Lokal unterhalten hatte.
Aber es könnte ja durchaus sein, dass irgendjemand aus Unterach den Weg zu ihm gefunden hatte und ihn gegen mich aufgebracht hatte. Und da gab es wohl einige, die da infrage kämen. Daher hatte mich dies nun richtig beunruhigt. Schließlich hatte ich keine Lust daran, nun hier in Mondsee, da ich mich bisher so schön überall herausgehalten hatte, mich nirgendwo einmischte, mich stets brav zurückgehalten hatte, vielleicht dasselbe erleben zu müssen, wie nun in meinem alten Heimatdorf. Denn auch wenn dieses „Big Bamboo“ nun bis Ende April, Anfang Mai geschlossen hatte, nächstes Jahr wollte ich schon wieder dort hingehen, wie bisher. Ohne irgendwelchen Intrigenspielen und bösem Gerede, oder gar Streit.
Nun stand ich in „Ralphs Schlossbar“ und rätselte immer noch darüber, was ich gerade mit diesem Klaus O. erlebt hatte. Denn das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Dort ging ich dann auch gleich auf das WC, aber nur um zu sehen, wer sich sonst noch in diesem Lokal befindet. Denn gerade die hinteren Tische waren von der Bar so gut wie gar nicht zu sehen. Aber auch hier konnte ich weder „Michi“ noch jene junge Frau vom Freitagabend der Vorwoche aus dem „Big Bamboo“ erkennen.
Das Lokal war zudem an diesem Abend, ganz im Gegenteil zu den beiden, in welchen ich gerade gewesen wäre, richtig gut besucht. Worüber ich richtig überrascht war. Aber es war auch im Jahr zuvor schon so, dass, kaum war dieses „Big Bamboo“ geschlossen, besuchten viele Gäste dieses Lokals nun „Ralphs Schlossbar“. Daher wäre es nicht undenkbar gewesen, nun hier jemanden wie „Michi“ zu treffen. – Wenn sie nun wieder gekommen wäre.
Nun stand ich doch ziemlich enttäuscht an der Bar. Daher kam ich auch richtig ins Grübeln darüber, was nun diese Aktion mit diesem Klaus O. bedeuten könnte. Doch da ging plötzlich die Eingangstür auf und drei junge Frauen standen im Lokal. Alle drei kannte ich, Eine davon arbeitete im Friseurladen, in welchem ich mir in Mondsee stets die Haare schneiden ließ. Die kam auch gleich auf mich zu und nach Begrüßung und kurzem Small Talk meinte sie,
„Du heut‘ gar nicht auf der Hochzeit?“
Ich, ganz verwundert, fragte, bei welcher Hochzeit? Doch da meinte sie bloß, nachdem sie mich letzte Woche so nett mit der Braut unterhalten sah, dachte sie, ich würde sie besser kennen. Weshalb sie mich auf der heute, noch dazu im Markt in einer Gaststätte stattfindenden Hochzeit vermutet hätte.
Nun musste ich regelrecht lachen. Erst recht, als ich ihr erklärte, die Braut erst eine Woche zuvor kennengelernt zu haben, und sie mir deren Namen nannte. Denn damit hätte ich nun überhaupt nicht gerechnet, als ich mich eine Woche zuvor im „Big Bamboo“ unterhalten hatte, dass sie heute Braut auf ihrer Hochzeit wäre. Eher ganz im Gegenteil!
Da schien es für mich wieder als könnte man in dieser Gegend, gerade in Mondsee, gar nicht genug aufpassen, um nicht sofort wieder in eine schlimme Geschichte verwickelt zu werden. Aber nun war mir auch klar, weshalb die beiden anderen Lokale derart leer waren. Denn alle von dort wären wohl heute Abend auf dieser Hochzeit. Welche zudem nur wenige Meter entfernt in einer Gaststätte am Markt gefeiert wird.
Jedoch konnte ich es nun noch viel weniger verstehen, weshalb mich Klaus O. nicht gefragt hatte, was ich in diesen beiden Lokalen zu suchen hatte. Denn einen Teil davon hätte ich ihm ja erzählt. Und dabei wäre es um die Braut des heutigen Abends gegangen, welche ich dort anzutreffen vermutete. Da hätten wir. Aber vor allem er, richtig etwas zu lachen gehabt. Denn mit deren Heirat hätte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Für mich sah es eher so aus, als wäre sie, wenn nicht ohnehin längst wieder alleine, kurz davor jemanden den Laufpass zu geben. Aber umso mehr beunruhigte mich nun dessen offenbarer Groll auf mich.
Ich konnte mich den Rest des Abends gar nicht mehr richtig kriegen. Denn einerseits war da diese für mich doch etwas zum Nachdenken anregende Hochzeit, wo ich mir nicht vorstellen konnte, dass dies sehr lange halten würde, und andererseits war da dieses für mich völlig verstörende Erlebnis mit Klaus O. Weshalb ich immer mehr zur Ansicht kam, da muss wohl jemand aus meinem alten Heimatdorf die Finger mit im Spiel haben. Denn wenn mich schon die Mitarbeiterin meines Stamm Friseurladens schon letzte Woche gesehen hatte und dachte, ich würde die Braut so gut kennen, dass ich heute an ihrer Hochzeit wäre, könnte mich doch durchaus auch jemand anderer aus meinem alten Heimatdorf gesehen haben, der gleich wieder wer weiß Gott was für Geschichten in die Welt gesetzt hatte. Wie gesagt, Kandidaten dafür gab es doch einige aus meinem alten Heimatdorf, denen dies zuzutrauen wäre. Oder dieser Klaus O. hat etwas gegen mich. Das könnte natürlich auch der Fall sein. Es könnte allerdings erst recht der Fall sein, Klaus O. hat etwas gegen mich und deshalb hatte jemand aus meinem alten Heimatdorf, oder auch sonst irgendjemand, leichtes Spiel, ihn gegen mich aufzubringen.
(2022-09-30)