Unterach, Sonntag, der 30. August 1998:
An diesem Tag fand ich meinem alten Heimatdorf der Kirtag, das Fest der Kirchweihe, Kirmes, oder wie man es auch immer bezeichnen will, statt. Wie jeden letzten Sonntag im August, wenn dieser nicht auf den 31. August fällt. Dies ist allerdings der letzte Tag in der Sommersaison im Dorf. Am Tag darauf, auch wenn das Wetter noch schön und heiß ist, der See noch warm genug zum Baden ist, werden die Gehsteige im Dorf hochgeklappt und das wars dann für dieses Jahr. Zumindest war dies damals noch so. Heute ist in der Saison weniger los, daher fällt der Übergang in die Nichtsaison, von einer Nachsaison konnte man ja nicht sprechen, nicht mehr so deutlich auf.
Jedoch dieser Sommer war für mich eine einzige Katastrophe in diesem Dorf. Daher dachte ich mir schon, hier müsste ich mir etwas einfallen lassen. Ich passe offenbar einfach nicht in dieses Dorf. Was mir zwar selbst schon längst klargewesen war. Jedoch blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit diesem Dorf zu arrangieren, denn ich würde ihm nicht auskommen. Denn solange meine Mutter noch leben würde, und dies könnten noch sehr viele Jahre sein, würde ich dem Dorf wohl nicht auskommen. Und da war noch das Unternehmen, welches mein Bruder und ich nach dem Tod unseres Vaters 1989 übernommen hatte. Hier konnte ich auch nicht einfach aussteigen. Daher, ich werde wohl noch viele, viele Jahre mit diesem Dorf klarkommen müssen.
Allerdings wollte ich nun an, nach dieser Saison, etwas ändern. Mich einfach aus dem Dorfleben, in welches ich offenbar nicht so recht reinpassen sollte, zurückziehen. Dafür hätte ich ja auch meine Wohnung, mein kleines Appartement in Salzburg. Nun allerdings, sollte sich nicht doch noch etwas ändern, könnte es passieren, dass meine Tätigkeit in diesem Ingenieurbüro in Salzburg zu Ende geht. Daher hatte ich schon Befürchtungen, ich könnte mir dieses Appartement danach nicht mehr leisten und müsste dies wieder aufgeben. Aber etwas Geld hatte ich noch auf meinem Konto. Daher dachte ich mir, sollte meine Tätigkeit in diesem Ingenieurbüro tatsächlich zu Ende sein, dann würde ich mir eben verstärkt etwas anderes in Salzburg suchen. Und auch wenn dies nicht so schnell klappen würde, irgendwie würde ich es schon schaffen, mir mein Appartement in Salzburg behalten zu können. – Dann würde ich eben nicht mehr von Unterach nach Salzburg in die Arbeit fahren, so wie ich dies früher tat, sondern eben umgekehrt, täglich von Salzburg nach Unterach fahren, um zu Hause im Betrieb zu arbeiten. Irgendwie müsste das schon gehen. Aber aus dem öffentlichen Leben, den Lokalen im Dorf, von Festen, möchte ich mich künftig deutlich entfernen.
Daher sah es nun so aus, als wäre dies mein letzter Tag in diesem Dorf, an welchem ich mich fast ungehemmt bewegen könnte. Denn wenn danach nichts mehr los ist im Dorf, wäre es besser, wenn ich mich längst zurückgezogen habe, damit es nicht doch noch zu richtigen Konflikten in diversen Lokalen kommen könnte. Daher wollte ich mich zum Abschied noch einmal, ich möchte fast sagen so richtig gehen lassen im Dorf. Denn der Kirtag wäre dafür der geeignete Tag dazu.
Das tat sich dann auch. Es war beinahe wie am Kunsthandwerker Markt acht Wochen zuvor. Doch diesmal unter ganz anderen Voraussetzungen. Ich wollte mich nun nicht mehr weiter im Dorfleben einbringen, sondern mich davon verabschieden. Doch das Ergebnis war das Gleiche. Am Abend war ich deutlich betrunken und der Tag endete zu Fuß in jener Kneipe, in welcher sich alle abends noch treffen, die nach dem Kirtag nicht gleich nach Hause gehen wollen – in „Sigi’s Pub!“
Da saß ich dann von zehn Uhr abends alleine an der Bar. Wobei ich schon befürchtet hatte, dies würde der Wirt zum Anlass nehmen, mich aus dem Lokal nun endgültig hinauszudrängen. Aber dafür hätte ich gedanklich schon meine Worte vorbereitet, um ihm zu erklären, er würde mich nach diesem Tag ohnedies kaum mehr im Dorf antreffen, ausgenommen er käme zu uns in den Laden.
Doch kaum war es Mitternacht geworden, öffnete sich die Eingangstür in das Lokal und zwei junge, hübsche Frauen betraten das Lokal. Eine davon war „Michi“. Die zweite hatte ich zuvor noch gar nicht zu sehen bekommen, aber es schien eine ihrer Kolleginnen gewesen zu sein.
Aber nicht nur dies, beide setzten sich auch gleich neben mich an die Bar. Weshalb ich zunächst gar nicht wusste, was ich sagen sollte und erst einmal fragte, ob sie, „Michi“, heute alleine unterwegs wäre. Doch beide meinten, sie wären froh darüber, die ganze Truppe endlich einmal vom Hals zu haben, denn diese wären den ganzen Sommer über jeden Abend bei ihnen im Lokal gewesen.
Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, erklärte mir „Michi“, heute wäre ihr letzter Arbeitstag gewesen. Sie hätten auch längst gepackt, um morgen gleich in der Früh nach Hause zu fahren. Aber heute wäre sie noch einmal in Mondsee gewesen, in diesem „Big Bamboo“. Denn da hätte „Michi“ gehört, ich würde dort stets anzutreffen sein, weshalb sie an diesem Abend dieses Lokal besuchten, um mich dort vielleicht zu treffen. Und nun, da dies nicht der Fall war, sie wieder zurückgefahren waren, noch in diesem Lokal eingekehrt waren, da säße ich alleine hier an der Bar.
Hatte ich zuvor so richtig schlechte Laune, war regelrecht deprimiert, umso besser wurde nun schlagartig diese wieder. Daher erzählte ich ihr, weshalb dieser Abend nach dem Kunsthandwerker Markt so verlaufen war, da ich eben zuvor ab Mittag den ganzen Nachmittag im Dorf unterwegs war und ich sie mit dem Auto auf keinen Fall mehr nach Hause bringen konnte, wie sie es wollte. Es war eben ein Tag, wie dieser Kirtag, denn auch heute würde ich sie nicht mehr mit dem Auto nach Hause bringen können. Doch als ich sie zwei, drei Tage gleich noch einmal in diesem Lokal gesehen hatte, dachte ich mir, sie ohnedies immer wieder hier anzutreffen. Doch das geschah danach nicht mehr. Lediglich einmal mit dem Fahrrad hätte ich sie noch gesehen, das war es dann. Wobei sie meinte, sie hätte auch mich dabei gesehen, wusste allerdings nicht, ob sie deshalb bei mir stehenbleiben sollte, wegen dieses Abends nach dem Kunsthandwerker Markt.
Erst letztes Wochenende hätte ich erleben müssen, weshalb ich sie wohl den Sommer über nicht mehr zu sehen bekommen hatte. Doch darauf meinte sie sofort, dies wäre überhaupt nichts gewesen. Ihre Kollegin begann daraufhin zu erzählen, sie wäre sogar einmal abends durch das Fenster im WC des Lokals hinausgekrochen, nur um danach mit dem Fahrrad nach Weyregg zu fahren, wo sie im Sommer zuvor gearbeitet hatte, nur um dieser Truppe auszukommen. Sie mussten sie also regelrecht belagert haben, bis endlich etwas lief. Und dies war nun offenbar gar nichts, sodass dies gleich wieder zu Ende war.
Doch dann erzählte mir „Michi“, sie müsste nun zwar morgen unbedingt nach Hause fahren, dort die nächsten zwei Wochen verbringen, da sie im Oktober eine höhere Schule, ein Studium oder dergleichen, beginnen würde. Doch danach würde sie wieder in das Dorf für zwei Wochen zurückkommen, bis ihre Schule im Oktober beginnen würde. Denn eigentlich würde es ihr hier ganz gut gefallen. Deshalb hätte sie auch schon mit „Fritz“, „Schnurli“, ihrem Chef des Sommers, gesprochen, damit sie auch ihr Zimmer wieder bekommt. Dann würden wir uns aber gleich am ersten Tag hier wieder treffen.
Da es allerdings mittlerweile zwei Uhr morgens geworden war, verabschiedeten wir uns danach, denn schon morgen früh sollte es für sie nach Hause gehen. Zudem musste auch ich am nächsten Tag wieder arbeiten.
Somit schien es, als würde dieser Sommer für mich in diesem Ort doch noch ein gutes Ende nehmen. Allerdings hatte ich, wahrscheinlich weil ich schon wieder den ganzen Tag unterwegs war, diesmal wirklich einen Fehler begangen!
(2022-08-13)