Unterach, Freitag, der 3. Juli 1998:
Nun soll also der Sommer und auch die Saison im Dorf so richtig losgehen. Darauf hätte ich mich eigentlich gefreut, denn das ist die Zeit, in der in meinem alten Heimatdorf endlich ein wenig los ist. Auch wenn das nur ein paar Wochen dauert. Meist ist ohnedies nach dem Seefest, um den 15. August, gerade wenn danach ein paar Tage das Wetter nicht besonders gut ist, schon wieder alles vorbei. Aber die paar Wochen habe ich früher immer genossen und ich hätte gehofft, dies auch in diesem Sommer tun zu können.
Mir selbst ging es zu dieser Zeit gar nicht gut, denn erstens schien meine „freie Mitarbeiterschaft“ in diesem Ingenieurbüro in Salzburg in der Fürbergstraße schön langsam ganz zu Ende zu gehen. Was mich zwar nicht besonders störte, aber mir fehlte dazu eine Folgebeschäftigung, und zu Hause im Unternehmen arbeiten, das wollte ich ohnedies nie. Daher bleib mir nun also nichts anderes übrig, als mich um eine andere Stelle umzusehen, auch wenn dies in vielen Belangen bestens gepasst hätte. Gerade in Verbindung mit dem Unternehmen zu Hause. Wo ich beides wenigstens etwas miteinander Verbinden konnte. Abe zuletzt sind meine Stunden pro Monat derart zurückgegangen, sodass es sich eigentlich gar nicht mehr rentierte, für dieses Ingenieurbüro zu arbeiten. Zudem hatte der Chef des Büros derzeit auch kein weiters Projekt laufen. Lediglich ein Projekt in Aussicht, welches ich im Herbst wieder übernehmen sollte. Aber da traute ich ihm schon kaum mehr über den Weg.
Allerdings sollte ich nicht bald eine neue Beschäftigung abseits des Betriebs zu Hause finden, da würde ich wohl meine kleine Wohnung, dieses Appartement in der Gaisbergstraße, bald wieder aufgeben müssen, denn so könnte ich mir das nicht leisten. Aber ein paar Monate hatte ich dafür ja noch Zeit.
Auch sonst lief Vieles aktuell nicht gerade gut, weshalb ich fast regelrecht deprimiert war. Weil ich einfach nicht wusste, wie es nun weitergehen soll. – Und zu allem drauf kamen dann immer wieder die Probleme mit meiner Mutter, welche sich auch nicht mehr zu bessern schienen. Ganz im Gegenteil.
Aber da war wenigstens meine Bewerbung als Einkäufer im Landeskrankenhaus in Salzburg über das Amt der Landesregierung. Die verlief für mein Befinden eigentlich richtig gut. Sogar sehr gut. Auch wenn ich dafür gestern die Absage schriftlich erhalten hatte. Aber mit diesem Job hätte ich ohnedies nicht gerechnet. Auch hätte ich mir es nun nicht vorstellen können, von nun an in einem quasi Beamtenjob weiter tätig zu sein. Hätte mir dies jemand angetragen, ich hätte ihn glatt ausgelacht. Ich als Beamter, das wäre nichts für mich. Aber wer weiß, das kann sich unter anderen umständen auch schnell ändern. Deshalb hatte ich mich ja auf diese Stellenausschreibung auch beworben. Da es, wie es die Zuständige beim schriftlichen Eignungstest, bei welchem alle Bewerber für alle derzeit zu besetzenden Stellen im Zuständigkeitsbereich des Amtes der Landesregierung auch betonte, eine Basis für weitere folgende Bewerbungen beim Amt der Landesregierung wäre. Und meine Bewerbung lief dabei richtig gut. So zumindest hatte ich dies mitgekriegt. Für eine Anstellung beim besagten Job hatten auch zu viele Aspekte dagegengesprochen, als dass ich wirklich ernsthaft damit gerechnet hätte, eine Zusage zu bekommen. Aber, sollte mich jemand darauf ansprechen, wie es mir derzeit beruflich ginge, müsste ich die aktuelle Situation mit dem Ingenieurbüro ja nicht verleugnen und könnte über meine für meinen Geschmack äußerst positive Bewerbung als künftiger Beamte im Bereich des Amtes der Landesregierung in Salzburg erzählen. Dies natürlich mit einem ironischen Unterton, denn aktuell könnte ich mir dort eine Beschäftigung ohnedies nicht vorstellen.
Die nach über hatte ich schon in Unterach verbracht und so erledigte ich am Nachmittag meinen üblichen, gerade für Freitagnachmittage und Samstagvormittage, „Geschäftsdienst“ im Laden zu Hause. Wobei ich dabei meist direkt im Laden stand, nur um zu sehen, was im Dorf los ist. Welche und wie viele Leute auf der Straße umherlaufen. Und, nachdem nun die Sommersaison begonnen hatte, es waren tatsächlich viel mehr Leute als noch eine Woche zuvor.
Dabei sahen mich natürlich auch immer wieder Passanten, wie ich an der Kasse lehnend im Laden stand. Aber manchmal hatte ich dabei tatsächlich den Eindruck, als würden einige der Passanten darüber tuschen, dass ich nun ja keine Arbeit mehr hätte und von nun an ausschließlich zu Hause arbeiten müsste, da ich zudem eine schallende Absage vom Land erhalten hätte. Anfangs dachte ich mir, das kann gar nicht sein. Denn wie um alles in der Welt soll hier jemand über meine Bewerbung beim Amt der Salzburger Landesregierung etwas mitbekommen haben. Hatte ich doch dabei besonders darauf geachtet, niemals meine Adresse in Unterach anzugeben, sondern ausschließlich jene in Salzburg. Und auch telefoniert hatte ich nie mit jemanden darüber an Anwesenheit anderer Personen. Und erzählt hatte ich erst recht niemandem von meiner Bewerbung. Schon gar nicht hier im Dorf. Wusste ich doch längst, dass mein Bruder bei anderen ganz gerne einmal über mich zu erzählen beginnt und richtig Informationen über mich weitergibt. Vor allem anscheinend meine aktuelle finanzielle Situation. Wobei ich dies derzeit nicht ändern konnte, ohne mit ihm in Konflikt zu kommen. Denn all meine Kontoauszüge von meinem Konto bei der Volksbank im Dorf landeten im Schließfach der Firma und deshalb hatte er jederzeit die Einsicht über meine Kontobewegungen auf meinem Girokonto. Vor allem auch meinen aktuellen Kontostand. Und gerade dabei hatte ich meinen Bruder schon sehr oft in Verdacht, diesen bereitwillig weiterzugeben, wenn er danach gefragt wird.
Dass meine sonstige aktuelle berufliche Situation vielen bekannt sein könnte, das konnte ich mir sehr gut vorstellen. Denn darüber hatte ich mittlerweile so gut wie überall geklagt, fand ich doch das Vorgehen meines Chefs in diesem Ingenieurbüro in Salzburg einfach als nicht in Ordnung.
Am Abend ging ich dann wie üblich gegen halb zehn, zehn Uhr, in die Weinschänke am Hauptplatz. Dort setzte ich mich, auch wie üblich an die Bar zu Andi M. Wir verstanden uns zwar längst nicht mehr so gut wie früher, aber daran hatte ich noch nichts geändert. Wie auch. So viel Auswahlmöglichkeiten im Dorf gibt es nun mal nicht. Aber daher waren die Gespräche mit Andi M. auch sehr destruktiv. Nur gelegentlich wechselten wir ein paar Worte miteinander. Da war eben längst etwas.
Aber, da ich meist alleine an der Bar saß, fiel mir auf, dass sich Gäste in der Weinschänke tatsächlich über meine Bewerbung beim Amt der Salzburger Landesregierung für eine Stelle als Einkäufer im Landeskrankenhaus unterhielten und sich über meine schallende Absage, welche ich diese Woche erhalten hatte, amüsierten. Sogar darüber gemunkelt wurde, dass ich mich künftig beruflich äußerst schwertun würde, bis letztendlich Andi M., der Wirt der Schänke, mit einem breit grinsenden Gesicht wieder einmal hinter der Bar erschien, mich zudem erfreut ansah und dabei vor sich hersagte,
„der wird bald überhaupt keinen Job mehr erhalten!“
Und dann, als er wieder zu Gästen im Garten ging, dort meinte, dann würde ich nur mehr zu Hause arbeiten können – wenn überhaupt! Die Fenster waren ja geöffnet, sodass ich so gut wie alles schön hören konnte, was sich in diesem Lokal abspielte.
Nun war ich aber richtig schockiert. Denn, wie um alles in der Welt kann es sein, dass sich hier im Dorf Leute über meine Bewerbung für diesen Job und die darauffolgende Absage dafür, unterhalten? Von Diskretion bei einer Bewerbung kann hier wohl kaum eine Rede sein.
Zunächst hatte ich schon wieder meinen Bruder in Verdacht, er hätte darüber erzählt. Aber dann viel mir ein, der kann von mir darüber noch gar nichts wissen, denn mit ihm hatte ich darüber bewusst gar nicht gesprochen. Und das Schreiben und auch allen sonstigen Schriftverkehr darüber, hatte ich an meine Adresse in Salzburg erhalten. Daher muss dies über einen anderen weg ins Dorf gelangt sein. Wobei, es konnte für mich durchaus möglich gewesen sein, dass irgendjemand aus dem Dorf, der im Amt der Salzburger Landesregierung beschäftigt ist, oder auch im Landeskrankenhaus, da gibt es ja einige, davon mitbekommen hatte, und dies gleich freudestrahlend weitererzählt hatte. Aber ich fand es trotzdem eine Sauerei und hatte mich nicht nur darüber fürchterlich geärgert, sondern war regelrecht betroffen deshalb. Denn nun hatte ich, zu allem anderen obendrauf, auch noch das Gelächter meiner „Freunde“ im Dorf, wozu ja die Wirtsleute der Weinschänke gehörten, aber auch das gesamte Umfeld, was ja im Dorf nicht gerade klein ist. – Und zu allem obendrauf war nun wirklich die Saison losgegangen und auch dementsprechend mehr Leute unterwegs.
Das hat mich richtig niedergeschlagen. Denn mir ging es ohnedies aktuell nicht gerade gut und nun das auch noch. Da werde ich es in diesem Sommer auch wieder nicht gerade leicht haben im Dorf. Aber entkommen könnte ich dem auch nicht, habe ich doch das Problem mit dem Zustand meiner Mutter und vor allem das Unternehmen zu Hause regelrecht als Klotz am Beim hängen!
Hätte ich von mir aus darüber zu erzählen begonnen, dann würde ich sagen, nun bin ich selbst schuld, wenn sich das Dorf, gerade meine „Freunde“ im Dorf, das Maul über mich zerreißen. Aber das hätte ich bewusst vermieden!
Richtig deprimiert fuhr ich dann nach Mondsee und besuchte Ralphs Schlossbar. Aber dort hing ich nun auch nur deprimiert an der Bar herum, weil ich nun so gar nicht mehr wusste, wie das weitergehen soll. Denn es ist nämlich nicht gerade angenehm, wenn man ohnedies schon angeschlagen ist, dann auch noch gegen solch „Gerede“ anlaufen zu müssen.
(2022-08-04)