Unterach, Sonntag, der 5. Juli 1998:
Gesagt, getan. Beziehungsweise gesprochen hatte ich ja mit niemanden, aber an diesem tag wollte ich meinen am Vorabend in der Weinschänke gefassten Plan, irgendwie durch mehr und intensivere Kontakte, mich durch mehr in die Gesellschaft in meinem alten Heimatdorf einzubringen, etwas gegen solch ein Gerede, wie dies nun wegen der Absage auf meine Bewerbung im Landeskrankenhaus in Salzburg, das mich doch sehr getroffen hatte, etwas zu unternehmen. Denn mir ging es ohnedies, da es nun so aussah, als ob meine freie Mitarbeiterschaft in diesem Ingenieurbüro in Salzburg zu Ende gehen würde und ich nicht gleich danach keine weitere Beschäftigung hatte, schon schlecht genug. Dabei dachte ich mir nämlich schon, dies könnte beinahe kein Zufall mehr sein. Denn das setzte allem noch ordentlich eines drauf. Aber dabei war dies für mich eigentlich eine äußerst positiv verlaufene Bewerbung, wenn auch nicht mit positivem Ausgang. Aber auch damit hatte ich ja nicht gerechnet.
Also begab ich mich kurz nach Mittag auf ins Dorf, denn an diesem Tag fand im gesamten Dorfzentrum dieser „Kunsthandwerker Markt“ statt. Der mich zwar selbst so gut wie überhaupt nicht interessierte, aber dies war fast wie ein Kirtag im Dorf, bei dem jeder Dorfbewohner, zumindest die Einheimischen, zumindest einmal irgendwo zu sehen ist.
Wie üblich an so einem Fest begab ich mich erst einmal zur Weinschenke am Hauptplatz. Das war zwar jene Lokalität, mit welcher in zwar mittlerweile die größten Probleme im Dorf hatte, gerade mit den Wirtsleuten und deren engerer Umgebung, aber das war auch jene Lokalität, in welcher sich die meisten Dorfbewohner einfanden. Hatte doch Andreas M., der Wirt, sich dafür extra einen großen Grill für seine Verköstigung seiner Gäste mit Grillhühnern kommen lassen und viele dieser Biertisch Garnituren aufgestellt, um allen seiner Gäste Platz zu bieten. Dort stand ich zwar früher meist lediglich an der Schirmbar, welche Andreas M. den Sommer über vor seinem Lokal aufgebaut hatte. Aber diesmal wollte ich nicht dort stehenbleiben, sondern mich unter die Gäste mischen, mit anderen Dorfbewohnern auch an den Tischen reden – mich eben einfach mehr einbringen als bisher.
Also stellte ich mich zunächst erst einmal an die Bar. Doch, wie es eben so ist in solch einem Dorf, man muss immer aufpassen, wen man als erstes antrifft. Denn dort saß bereits die Mutter eines meiner Schulkollegen aus der Grundschule, Grete L. Eine richtige Nervensäge, wenn man sie zur falschen Zeit am falschen Ort trifft. Denn sie kann einem die Ohren vollquatschen, bis diese glühen und einem der Kopf brummt. Zudem ist sie auch noch die Frau eines ortsansässigen Polizisten, der zudem, wie auch noch dessen Bruder, in der örtlichen Dienststelle tätig ist. Aber da sie eben auch die Mutter eines meiner ehemaligen Schulkollegen ist, habe ich mich, wenngleich etwas widerwillig, unterhalten.
Doch kaum wechselten wir einige Worte, da liefen zwei etwas ältere Männer die Hauptstraße entlang. Wobei einer zu seinem Kollegen meinte,
„ist der eh schon wieder da!“
Dies allerdings so, sodass dies nicht nur mir aufgefallen war, sondern eben auch Grete L. Welche sich sofort umdrehte und zu den beiden sah und darauf zu mir lächelnd meinte, da ich über die beiden wohl auffallend irritiert war, schienen sie doch mich damit zu meinen,
„zwei Spione!“
Sie lächelte weiter und begann sofort wieder auf mich einzureden. Weshalb ich hoffte, jemanden an einem Tisch zu entdecken, um mich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Nicht nur, weil ich Grete L. endlich wieder loswerden wollte, sondern ich hatte eben an diesem Tag etwas vor.
Kaum hatte ich jemanden an einem der Tische entdeckt, mit dem ich mich auch etwas unterhalten könnte, saß ich schon mit am Tisch. Doch bei einem Tisch blieb es dann nicht, sondern ich wanderte von einem Tisch zum nächsten. Allerdings um niemandem auf den Wecker zu gehen, verabschiedete ich mich dann auch wieder und wanderte nicht einfach planlos weiter. Verließ ein Tisch, an dem ich gerade saß, das Lokal, so zahlte ich ebenfalls. Ging allerdings dann nicht nach Hause, wie vielleicht meine Tischnachbarn, sondern wanderte nun zum nächsten Lokal im Dorf. Ins Café S., in welchem zudem nun auch eine ehemalige Schulkollegin im elterlichen Betrieb arbeitete, danach zu meinen damaligen Nachbarn ins Café. So ging es den ganzen Nachmittag dahin. Ich wechselte von einem Tisch zum nächsten, von einem Lokal zum nächsten, und immer unterhielt ich mich mit Leuten, welche ich dort gerade getroffen hatte. Ich kannte ja mehr als genug der Dorfbewohner. Wobei ich auch nicht den Eindruck hatte, als wäre es ihnen unangenehm gewesen, sobald ich an deren Tisch kam. Manchmal sogar ganz im Gegenteil.
Den ganzen Nachmittag ging dies so dahin. Wobei ich mir schon bewusst war, dass dies ein sehr anstrengender, wie auch alkoholintensiver Tag werden würde. Daher hatte ich mir an diesem Tag auch nichts anderes vorgenommen. Bis ich am frühen Abend, nachdem ich jedes Lokal im Dorf mindestens einmal durch hatte, wieder im Garten der Weinschänke am Hauptplatz gelandet war. Aber dort hatte ich dann auch noch ein sehr interessantes Gespräch mit Engelbert G., dem Vater des Vizebürgermeisters und späteren Bürgermeisters der SPÖ. Denn da meinte dieser irgendwann doch glatt zu mir, er würde gar nicht glauben, dass ich ein so derart unmöglicher Mensch sei, wie dies immer behauptet werden würde. Worauf ich ihn fragte, wer denn dies über mich behaupten würde und er meinte, ja überall. Worauf ich ihm aber sagte, da hätte ich heute Nachmittag allerdings nichts davon mitbekommen und wenn, was würden jene über mich sagen, weshalb ich ein derart unmöglicher Mensch sein. Da erklärte er mir, es hieße, ich würde mich nur umhertreiben, ständig unterwegs sein, überall hätte ich irgendwo ein Mädchen laufen, aber trotzdem immer noch alleine leben. Doch darauf erwiderte ich ihm, komisch, mir gegenüber würde, wenn schon etwas über mich fallengelassen werden würde, stets behauptet werden, ich täte nicht. Ich wäre also vielleicht gar nicht am weiblichen Geschlecht interessiert.
Darauf meinte er dann, die einen würden eben so sagen, die anderen anders. Daher wäre er eben nun der Meinung, ich wäre eben ein gar nicht so unmöglicher Mensch, wie dies immer behauptet werden würde.
Allerdings schien es, als hätte ich nun einen Punkt erwischt, bei dem er mit mir nicht weitersprechen wollte. Denn, ebenfalls schon ordentlich betrunken, verließ er danach den Tisch und ließ mich alleine zurück. Fast fluchtartig verließ er den Tisch. Dabei hätte ich mich gerade darüber einmal so gerne mit einem Einheimischen unterhalten. Aber das ging nun nicht mehr.
Da ich mittlerweile seit Mittag unterwegs war, dementsprechend viel Alkohol zu mir genommen hatte, es zudem bereits etwas später wurde, es war so gegen halb 11 Uhr abends geworden, dachte ich mir, nun werde es auch für mich Zeit zu gehen und mich auch nicht mehr weiter an die Schirmbar zu stellen. Aber ganz nach Hause gehen wollte ich auch noch nicht. Denn es gab noch ein Lokal, welches ich an diesem Tag im Dorf noch nicht besucht hatte. Das „Sigi’s Pub“. Welches allerdings auch an einem Ausschank bei diesem Kunsthandwerker Markt nicht teilgenommen hatte und erst am Nachmittag ab 17 Uhr geöffnet hatte. Diese Kneipe liegt zudem auch etwas außerhalb des Zentrums.
Dorthin wollte ich nun noch gehen, um dort den Abend ausklingen zu lassen. Dies, wie meist, zu Fuß. Und sowieso, wenn ich tagsüber an solch einem Tag im Dorf unterwegs war. Dort angekommen stellte ich mich allerdings nicht wie sonst einfach an einen freien Platz an der Bar, sondern wie schon den ganzen Tag über, inmitten der Leute. Eben meist gleich am beginn der Bar. Dieser Tag verlief für mich derart positiv, sodass ich mich dachte, auch hier würde ich nun so weitermachen, denn das brächte mich meinem Ziel näher.
So war’s dann auch zu Beginn. Doch plötzlich öffnete sich die Eingangstür und ein ganzer Schwarm junger Leute betrat das Lokal. Darunter fast nur Leute, welche ich kannte. Sogar zwei Schulkollegen aus der Volksschule, Roland W. und Richard St., waren mit dabei. Daneben noch drei weitere, sowie eine junge Frau, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Gedanklich hatte ich nun schon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Denn dieser Tag verlief bisher für mich so positiv, da konnte ich dies nun gar nicht brauchen. Schien es doch nun so, als ginge die Keilerei mit anderen Junggesellen im Dorf schon wieder los. Zudem befand sich gerade mal eine einzige junge Frau unter diesen sechs, sieben Leuten, und dies hieß bisher für mich im Dorf nichts Gutes. Schon gar nicht in diesem Lokal.
Daher versuchte ich sie einfach zu ignorieren. Doch der ganze Schwarm stellte sich, wie zu befürchten war, ebenfalls an den Anfang der Bar, sodass sich nun alle um mich herum befanden, der ich nun direkt am Zugang zum Bereich hinter der Bar stand.
Aber nicht nur das. Die junge Frau unter der Gruppe setzte sich nur unweit von mir an die Bar und begann gleich ihre Begleiter, die sie ins Lokal brachen, zu fragen, wer denn ich sei. Worauf Roland W. ihr gleich meinen Namen nannte und uns gegenseitig bekannt machte. Zudem war auch gleich erkennbar, woher diese Gruppe nun kam. Es war jenes Gasthaus am Eingang in die Burggraben Klamm, dem Jägerwirt. Welchen erst kurz zuvor „Schnurli“, Fritz N., wie er mit bürgerlichem Namen heißt, ein Koch, der schon seit einigen Jahren im Dorf lebt, übernommen hatte. Und Roland W. mir zudem erklärte, dass „Michi“, wie diese junge Frau hieß, seit heute dort arbeiten würde.
Doch kaum waren die ersten Worte gewechselt, meinte diese junge Frau,
„der W., der bringt mich jetzt heim!“
Ich dachte, ich höre wohl nicht recht. Es waren gerade mal ein paar Minuten vergangen, da diese Gruppe das Lokal betreten hatte, da meinte sie schon, ich würde sie nun nach Hause bringen. Da hatte ich erst gar nicht zu überlegen begonnen, wer dies nun gesagt hatte, weshalb sie dies nun gesagt haben könnte, dachte ich mir schon, dies würde ihnen nun so passen, ich bringe diese junge Frau nun nach Hause und vorne an der Kreuzung rauf zur Bundestraße, die „OKA Kreuzung“, wie diese Kreuzung immer noch im Dorf genannt wird, wartet schon die Polizei, damals noch die Gendarmerie, auf mich, um mir den Führerschein abzunehmen, weil ich betrunken mit dem Auto fahre. Das wäre nun der Mega Lacher im Dorf, wenn dies so passieren würde.
Also habe ich darauf nur gelacht und gesagt, ich fahre heute nirgends mehr mit dem Auto hin. Zudem habe ich mein Auto gar nicht dabei. Doch diese junge Frau hatte immer wieder damit begonnen, ich sollte sie nun nach Hause bringen. Weshalb ich mich nun erst dadurch mit ihr und dem Rest der Gruppe so richtig zu unterhalten begonnen hatte. Ich allerdings der Meinung war, bei ihr würde es sich um eine der unzähligen Praktikantinnen handeln, welche über den Sommer in der Saison in der Gastronomie beschäftigt werden. Denn beinahe jeder Gastronom hatte im Sommer solche Praktikantinnen, meist Schülerinnen, beschäftigt. Kosten diese ja nicht viel und spätestens am Kirtag, dem letzten Sonntag im August, sind sie wieder weg. Daher dachte ich mir, hier hätte ich es mit einem sechzehn, siebzehn, vielleicht achtzehnjährigen Mädchen zu tun. Daher hatte ich es auch etwas seltsam, wenngleich auch bezeichnend, gefunden, als gleich so viele junge Männer mit ihr unterwegs waren.
Aber „Michi“, wie sie hieß, fing immer wieder damit an, ich sollte sie nun doch nach Hause bringen. Nun dachte ich mir, wäre der heutige Tag ganz anders verlaufen, ich, da mich dieser Kunsthandwerker Markt ohnedies nicht interessiert, zuvor erst nicht den ganzen Tag schon im Dorf unterwegs gewesen, dann hätte ich nun schon wieder ein weiteres Problem mit den Dorf Junggesellen und die Keilerei ging schon wieder los. Aber dies wäre mir ein derart junges Mädchen nicht wert gewesen.
Doch als dann auch noch der Rest der Gruppe begann, mich dazu zu überreden, „Michi“ nach Hause zu bringen, wurde ich regelrecht ungehalten. Zahlte und ging nach Hause.
Am Weg wartete ich schon regelrecht darauf, an der „OKA Kreuzung“ ein weißes Auto mit Blaulicht am Dach zu sehen. Aber da war nichts. Weshalb ich mir dachte, es wäre vielleicht bekannt gewesen, dass ich zu Fuß unterwegs war und man vielleicht davon ausging, ich würde nun tatsächlich nach Hause gehen, um mein Auto zu holen, nur um dieses, für mich zunächst, junge Mädchen nach Hause zu bringen. Schließlich gibt es nur einen einzigen Weg, um vom Dorf zu diesem „Jägerwirt“ zu gelangen – will man nicht den ganzen Attersee umrunden.
Verlief der Tag für mich sonst eigentlich so positiv, umso mehr hatte ich mich nun über das Ende des Abends geärgert. Aber je näher ich meinem Elternhaus kam, umso mehr kamen mir Zweifel, ob es sich bei diesem für mich zunächst jungen Mädchen tatsächlich um eine Schülerin handelte, welche hier in den Sommermonaten ihr Praktikum absolvierte. Und vielleicht wollte sie diese Gruppe einfach loswerden, da sie selbst nicht besonders glücklich über sie war. Aber umso mehr ärgerte ich mich dann wieder darüber, dass ich diesen Tag in so gut wie jedem Lokal im Dorf verbrachte, um mit möglichst vielen Dorfbewohnern Kontakt zu haben, nur wegen diesem dämlichen Gerede von Freitag und Samstag über meine schallende Absage für meine Bewerbung in Salzburg. Denn wäre dies nicht gewesen, dann hätte ich kaum den Tag so verbracht, wie ich ihn verbracht hatte. Zudem mit einem derart hohen Alkoholkonsum. Wobei ich mir schon dachte, zu oft darf ich das nicht tun, denn das würde ich gesundheitlich nicht durchstehen. Daher wurde mein Ärger immer größer, denn ich dachte mir, in diesem Dorf müsste ich als Mensch wie eine Maschine funktionieren. Wegen nichts auch nur die geringste Regung zeigen und stets voll da sein. Nur die kleinste Schwäche bringt dich schon in das nächste Problem, wie nun vielleicht wegen dem Ende dieses Abends.
Ich war allerdings dann richtig froh, als ich endlich im Bett lag.
(2022-08-08)